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Nicht nur die NATO ist hirntot

Von Peter Haisenko 

„Hirntot“ ist die fast politisch korrekte Umschreibung für „total bescheuert“ oder auch ohne Ziel und Plan. Der französische Präsident Macron hat recht damit und verweigert deswegen eine Entschuldigung. Der Punkt ist, die NATO braucht unbedingt einen Feind für ihre Existenzberechtigung. Jetzt hat man sich China auserkoren.

Bis 1949 hatte „der Westen“ die Sowjetunion und den gesamten Ostblock unter totaler Kontrolle. Die USA hatten als einzige die Atombombe zur Verfügung und die Trägersysteme, diese ins Ziel zu bringen. Dann zündete die UdSSR ihre erste Atombombe und die USA verloren so ihr diesbezügliches Monopol. Es herrschte Alarmstimmung, obwohl das tatsächlich erst mal nichts veränderte. Die Sowjets verfügten nämlich nicht über die Trägersysteme, um ihre Atombomben über fremden Ländern abzuwerfen, schon gar nicht über dem amerikanischen Kontinent. Dennoch war abzusehen, dass sich das ändern würde. Um dem größten Land der Erde weiterhin Paroli bieten zu können, wurde 1949 das größte Militärbündnis aller Zeiten gegründet, die NATO. Sie hatte den Zweck „to keep the Russians out and the Germans down“, also die Russen raus zu halten und die Deutschen klein.

Das alte Feindbild Russland wird mit allen Mitteln gepflegt

Die Gründung der NATO beruhte also auf einem klar definierten Feindbild: alle kommunistischen Staaten. Das funktionierte gut bis 1990, dem Ende der Sowjetunion. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland und den anderen osteuropäischen Staaten und der Auflösung des Warschauer Pakts wurde dann auch verhalten darüber gesprochen, dass auch die NATO jetzt aufgelöst werden könnte. Beflügelt wurde dieser Ansatz durch den Zustand der russischen Föderation, die sich mit dem Trunkenbold Jelzin an der Spitze und seinen 28 westlichen Beratern in einem jämmerlichen Zustand befand und praktisch vollständig unter Kontrolle des westlichen Kapitals war. Der Militärisch-Industrielle Komplex war in Panik, denn ohne Feindbild war schwer zu begründen, warum weiterhin riesige Summen für Militärtechnik ausgegeben werden sollten. Es brauchte dringend ein neues Feindbild.

Betrachtet man dazu die Hollywoodproduktionen und nicht zu vergessen die „James Bond Filme“ der 1990-er Jahre, ist zu beobachten, dass sowohl skrupellos unkontrolliert agierende Russen als auch fanatische Araber als neue Feindbilder aufgebaut wurden. Russen, die die Sowjetmacht wieder herstellen wollten und per se gefährlich waren und Araber, die Terrorismus direkt in die USA bringen wollten. Das alles gipfelte dann 2001 in dem Anschlag auf das WTC in New York, mit dessen Hilfe die USA den Bündnisfall ausgerufen haben und den „Krieg gegen den Terror“. Das kam sehr gelegen, denn mit dem Bündnisfall konnte die Diskussion über eine Auflösung der NATO nicht mehr weiter geführt werden. Das gilt bis heute. Dann machte Russland der NATO ein Geschenk, indem Putin Präsident wurde.

Putin hat Russland in atemberaubendem Tempo wieder auf Vordermann gebracht und so war es bald ein Leichtes, das alte Feindbild Russland wieder aufleben zu lassen, das sowieso seit Jahrzehnten in den westlichen Köpfen fest verankert ist. Der Westen, die NATO, hatte das alte Feindbild zurück und das wird mit allen Mitteln gepflegt. Das Problem dabei ist nur, dass immer mehr erkennen, dass das propagandistisch gepflegte Attribut „aggressiv“ für Russland einfach nicht mit der realen Politik Moskaus in Einklang zu bringen ist. Auch die an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen gegen Moskau und natürlich Putin selbst, er befehle Morde an Russen, die im Ausland leben, verfangen nur noch bei notorischen Russlandhassern.

Das Prinzip der Unschuldsvermutung wir a priori ignoriert

Wie zufällig kann es da noch sein, dass Kanzlerin Merkel ausgerechnet termingenau auf dem NATO-Gipfel verkündet, man habe zwei russische Diplomaten ausgewiesen, eben wegen der Anschuldigung eines Auftragsmords. Dass man dafür wie im Fall „Skripal“ keine handfesten Beweise vorlegt, reiht sich ein in die gegenüber Russland übliche Umkehrung eines der grundlegendsten Prinzipien der Demokratie: Der Unschuldsvermutung bis das Gegenteil bewiesen ist. Man beschuldigt Russland einfach und verhängt Sanktionen und Strafaktionen, ohne irgendwelche Beweise vorlegen zu müssen. Besonders im letzten Fall wird Russland vorgeworfen, eine Mitarbeit bei der Aufklärung zu verweigern. Es wird dabei einfach ignoriert, wenn aus Moskau die Botschaft dazu kommt: Wir wissen nichts darüber. Ob das nun wirklich so ist, sei dahin gestellt, aber wenn es so ist, wie kann dann Moskau bei der Aufklärung hilfreich sein? Nochmals: Die Unschuldsvermutung besagt, dass jeder als unschuldig zu gelten hat, bis seine Schuld bewiesen ist. Für Russland gilt das aber offensichtlich nicht.

Betrachtet man dazu Umfrageergebnisse, ist festzustellen, dass das Feindbild Russland und Putin abgeschliffen ist. Eine überwältigende Mehrheit wünscht ein gutes Verhältnis zu Russland und misstraut eher den USA. Also was tun, NATO? Da kommt doch China sehr gelegen. China ist auf dem letzten NATO-Gipfel offiziell zum potenziellen Feind erklärt worden. Da stellt sich mir gleich die Frage, was dieser Pazifikstaat mit dem Nordatlantikbündnis zu tun hat. In welcher Weise bedroht China militärisch irgendeinen NATO-Staat? Gibt es Anzeichen, dass China eine militärische Invasion Europas vorbereitet oder gar der USA? Das China, das wie Frankreich sein Atomwaffenarsenal freiwillig auf etwa 300 Sprengköpfe begrenzt hat und so demonstriert, dass es sich um reine Abschreckung zur eigenen Verteidigung handelt? Soll hier ein Fehler berichtigt werden, den man im Umgang mit dem größten kommunistischen Staat seit Jahrzehnten gemacht hat?

Bei den Kommunisten kursierte die Auffassung, „die Kapitalisten werden uns die Schaufeln liefern, mit denen wir ihr Grab ausheben werden“. Für die Sowjetunion hat das nicht funktioniert, für China schon. Maos China wurde gnadenlos unterschätzt. Beginnend in den 1970-er Jahren wurde Produktion aus den USA nach China verlagert, wegen der niedrigen Löhne dort. Das ging aber zwangsläufig einher mit einem Transfer an Produktionswissen und Technologie. Wie naiv oder besser gierig muss man sein zu glauben, dass eineinhalb Milliarden Chinesen nicht in der Lage sein werden, dieses Wissen und die Technologie nicht nur schnell zu lernen, sondern selbstständig weiter zu entwickeln? Genau das ist geschehen und so ist China in wenigen Jahrzehnten zur größten Wirtschaftsmacht aufgestiegen. Es gibt heute kaum ein Land, das nicht in irgendeiner Weise von Produkten aus China abhängig ist. Besonders die USA.

China – das neue Bedrohungspotenzial für die NATO

Die Entwicklung Chinas ist in besonderer Weise interessant. Es ist nach wie vor ein kommunistischer Staat. Aber anders als mit allen anderen kommunistischen Staaten hat man China den Zugang zu westlicher Technologie und Produkten nicht verweigert, sondern geradezu aufgedrängt. Eben mit der Verlagerung von Produktionsstätten ins Reich der Mitte, die schnell auch Hochtechnologie betrafen, wie Computer, Chips und Elektronik. Betrachtet man also die Entwicklung in China, muss die Doktrin von der Überlegenheit des kapitalistischen Systems infrage gestellt werden – zumindest was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Was da in China während der letzten Jahrzehnte abgelaufen ist, findet keinen Vergleich in einem kapitalistischen Land. Das wiederum wirft die Frage auf, wie denn die Entwicklung in anderen kommunistischen Ländern verlaufen wäre, wenn diesen nicht der freie Zugang zu Welthandel und Technologie verwehrt worden wäre. Diese Betrachtung muss theoretisch bleiben, aber am Beispiel Kuba wird erkennbar, dass es trotz der Beschränkungen den Menschen dort eher besser geht, als zum Beispiel in dem im Westen verankerten Haiti.

Noch ist China von der NATO nicht offiziell zum Feind erklärt worden. Aber der Text der Abschlusserklärung des NATO-Treffens von London erwähnt China zum ersten Mal als mögliche Bedrohung für das Bündnis. "Wir erkennen an, dass Chinas wachsender Einfluss und seine internationale Politik sowohl Herausforderungen als auch Chancen bedeuten, die wir zusammen als Allianz angehen müssen", heißt es in dem Dokument. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg will China aber (noch) nicht als neuen Gegner oder gar Feind der NATO ansehen. "Es geht nicht darum, dass die NATO jetzt an das südchinesische Meer vorstößt. Aber wir sollten bedenken, dass China näher an uns heranrückt", sagte Stoltenberg in London und meinte chinesische Aktivitäten in der Arktis, in Afrika und in Europa, die erst einmal nichts mit klassischer militärischer Rüstung zu tun haben. Dieser Satz in der Abschlusserklärung "bedeutet nicht, dass China jetzt bereits ein Feind ist", sagte auch US-Verteidigungsminister Mark Esper. China sei eine strategische Herausforderung. Aber: "Wir müssen vorbereitet sein für den Fall, dass sich die Dinge nicht so entwickeln, wie wir möchten."

Aha, kann man da nur sagen, China rückt also näher an die NATO heran, etwa so, wie Russland in Europa? Und ja natürlich, wenn sich die Dinge nicht so entwickeln, wie wir das wollen, dann haben wir einen neuen Feind. Eigentlich ist es ganz einfach. Jedes Land, dass nicht seine Kehle zum Biss der NATO anbietet, das sich nicht bedingungslos dem Diktat des Westens unterwirft, muss ein Feind sein. Koexistenz auf Augenhöhe? Das hat es für das British Empire und die USA noch nie gegeben. Beide haben dabei das gleiche Problem: Im fairen Wettbewerb würden sie gnadenlos untergehen. Folglich müssen sie militärisch dominieren und genau die Kosten dafür verschlechtern ihre Chancen im fairen Wettbewerb noch weiter. Ein Teufelskreis. Ja, China hat seine Rüstungsausgaben erhöht. Das stellt dann schon eine echte Bedrohung dar, wenn China jetzt Ausgaben für sein Militär hat, die gerade mal ein Viertel dessen sind, was allein die USA aufwenden. Ach ja, Russland ist ja auch aggressiv, weil es für sein Militär nur etwa ein Zehntel dessen ausgibt wie die gesamte NATO.

Die Rüstungsindustrie bangt um ihre fetten Geschäfte, wenn die Feindbilder fehlen

Vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Deutsche Reich die geringsten Rüstungsausgaben, verglichen mit allen anderen Teilnehmern (einzeln!) an dieser Urkatastrophe. Da ist es nur logisch, dass es der deutsche Kaiser war, der diesen Krieg geplant und unbedingt gewollt hat. Dieselbe Logik wird nun von denselben angewendet auf Russland und China. Russland und China, die ebenso viele militärische Stützpunkte in der Welt betreiben, wie die USA oder auch Großbritannien? Die mit ihren Schiffen und Stützpunkten andauernd ganz dicht an der US-Küste operieren? Die überall hin ihre Aggressionswaffe Flugzeugträger entsenden? Nein, es ist wohl genau anders herum. Wer den Anspruch der USA auf alleinige Weltherrschaft nicht widerspruchslos akzeptiert, seine Produktionsmittel nicht für Micky-Maus-Geld an die USA verscherbeln will, der kann nur ein Feind sein, der letztlich vernichtet werden muss.

Nicht nur die NATO ist hirntot, sondern vor allem alle Politiker, die uns verkaufen wollen, dass wir noch mehr Geld für sinnlose Rüstung ausgeben sollen. Wie gesagt, ohne Feindbild kann die NATO nicht existieren und schon gar nicht die fetten Geschäfte der Rüstungsindustrie, die alles andere als förderlich für unseren Wohlstand sind. Wie bescheuert oder besser kriegsgeil muss man sein zu behaupten, China oder Russland wären (militärisch) aggressiv? China, Russland und auch Deutschland und Japan geht es vergleichsweise gut, weil sie nur relativ geringe Rüstungsausgaben haben. Wie gut könnte es den USA oder Großbritannien gehen, wenn diese ihre Rüstungsausgaben drastisch kürzten? Ihre Technologie in zivilen Projekten konzentrierten und so vielleicht wieder wettbewerbsfähig sein könnten? Aber nein, die Ausgaben fürs Militär müssen weiter gesteigert werden. Da kann ich nur sagen: Wer dem das Wort spricht, ist nicht nur hirntot, sondern dessen Kopf kann nur Inhalte haben, die eigentlich ausschließlich im Enddarm zu finden sein sollten. 

Nachtrag: Das aggressive Russland, Putin, hat eine Verlängerung des START-Vertrags zur Begrenzung atomarer Waffen angeboten, der im kommenden Jahr ausläuft. Eine Antwort darauf ist der Westen, die NATO, bislang schuldig geblieben. 

 

1938 hat London einen Aufstand gegen Hitler vereitelt. Die „Appeasementpolitik“ war keineswegs ein Zeichen der Schwäche oder ungeplant. Man wollte Hitler solange an der Macht halten, bis er den ersehnten Krieg mit der Sowjetunion beginnt. Nur so bestand die Möglichkeit, das Deutsche Reich endgültig zu vernichten. Mehr darüber hier.

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