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Die Neue Weltordnung 3.0 – Die Rückeroberung Südamerikas

Von Peter Orzechowski

Gut zehn Jahre lang sah es so aus, als ob die „einzige Weltmacht“ (Brzeszinski) Südamerika in die Unabhängigkeit entlassen habe. In den meisten Ländern waren linke Regierungen an die Macht gekommen und wandten sich von der bisherigen Hegemonialmacht ab. Doch seit zwei Jahren wendet sich der Trend, und die USA gewinnen ihren alten Einfluss Schritt für Schritt zurück. Jetzt dehnt sogar die NATO ihren Kompetenzbereich auf Lateinamerika aus.

Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos verkündete am 24. Dezember 2016 einer überraschten Öffentlichkeit, dass die NATO bereit sei, einen Assoziierungsvertrag mit Kolumbien zu vereinbaren. Erste Gespräche stünden bereits auf der Tagesordnung. Damit soll Kolumbien in Zukunft den gleichen Status wie Australien, Neuseeland, Japan, Südkorea und Afghanistan erhalten, ohne jedoch direktes Mitglied der NATO zu werden.

In dem vom kolumbianischen Parlament bereits 2014 dazu verabschiedeten Gesetz Nr. 1734 über die geplante Zusammenarbeit werden einige Ziele dieser Zusammenarbeit deutlich: Die von den USA hochgerüstete Armee des Landes mit ihren 550 000 Soldaten soll weiter an die Normen und Standards der NATO-Truppen angepasst werden. Kolumbien soll im Gegenzug seine jahrzehntelange Erfahrung im Kampf gegen „bewaffnete Gruppen in einem schwierigen Gelände“ in die NATO-Ausbildungsprogramme einbringen.

Im Wege der NATO-Zusammenarbeit wurde Kolumbien im Oktober 2014 auch schon zu zivilen und militärischen Einsätzen der Europäischen Union eingeladen, die den schönen Namen „Krisenbewältigung“ tragen. Als Erstes ging es in die Ukraine, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits mitten im Bürgerkrieg befand. Im Grunde läuft die Angelegenheit also auf eine Rundum-Verwendung der Soldaten aus Südamerika hinaus. Formal ist der ausschlaggebende Grund für die NATO-Kooperation Kolumbiens hingegen in dem Strategiepapier des US-Südkommandos unter dem Titel „Partnerschaften in Amerika 2018“ zu finden. Darin wird gefordert, in Lateinamerika Sicherheitspartnerschaften aufzubauen. Man solle den Ländern, die dafür in Frage kommen, den höchsten Status eines Verbündeten ohne NATO-Mitgliedschaft anbieten – Major Non-NATO Ally –, und das ist die Assoziierung.

NATO gegen den friedlichen Zusammenschluss der Südamerikaner

Die NATO-Partnerschaften stehen im völligen Gegensatz zum Konzept der Staatenintegration Südamerikas und der Karibik, in der die Konfliktlösung durch Verhandlungen absoluten Vorrang hat. Der Zusammenschluss der Union der Südamerikanischen Staaten (UNASUR)  im Jahr 2008 legte Diplomatie als einzig denkbare Form der Auseinandersetzung zwischen den Staaten des Kontinents fest und ächtete den Einsatz militärischer Mittel. Diese Verpflichtung zum Frieden in ganz Mittel- und Südamerika bestimmten auch die gemeinsame Staatenerklärung von Havanna aus dem Jahre 2014, mit der die Region feierlich als „Friedenszone“ deklariert wurde.

Die Nachbarstaaten Kolumbiens wie Venezuela, Bolivien, Ecuador und Brasilien haben wiederholt die Zusammenarbeit mit der NATO und der Europäischen Union scharf kritisiert. Sie sehen darin eine direkte militärische Bedrohung der Sicherheit in der Region. Sie befürchten, dass durch eine Beteiligung an den Kriegen der NATO, etwa im Nahen Osten, auch Kolumbien und dessen Nachbarstaaten ins Visier terroristischer Bedrohungen geraten könnten. Auch die atomwaffenfreie Zone, die einst feierlich erklärt worden war, könne durch eine NATO-Anbindung in Gefahr geraten. Eine unklare und unvorhersehbare militärische Entwicklung an ihren Grenzen ist an sich schon ein Sicherheitsrisiko.

Momentan sind die US-amerikanischen Streitkräfte auf der südlichen Halbkugel nicht nur mit ihren 70 Militärstützpunkten präsent. Ihre Anwesenheit ist auch in verschiedenen bi- und multilateralen Sicherheitsabkommen verankert, wie zum Beispiel: Plan Colombia, Regionale Anden-Initiative, Mérida-Initiative, Initiative für Regionale Sicherheit in Zentralamerika usw. Diese Abkommen umfassen unter anderem Trainings- und Ausbildungsprogramme, Waffen- und Munitionshandel und beziehen darin einerseits US-amerikanische Lieferanten, Sicherheitsbehörden wie DEA und FBI und andererseits lateinamerikanische Regierungen, Firmen und Polizeibehörden ein.

Auf der Webseite des Südlichen Kommandos der Vereinigten Staaten (SOUTHCOM) kann man lesen, dass SOUTHCOM den befreundeten Nationen Trainings, Mechanismen zum Austausch von Informationen sowie technische und infrastrukturelle Assistenz anbietet.

Statistiken zeigen die Abhängigkeit der lateinamerikanischen Streitkräfte von den USA: In den letzten Jahren verkauften die USA an die Staaten Lateinamerikas und der Karibik Waffen im Gesamtwert von etwa zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Daneben wird die „Standardisierung der Streitkräfte“ gemäß den Bedürfnissen der Vereinigten Staaten seit dem Anfang des Kalten Krieges bis in die Gegenwart betrieben. 

Das goldene Jahrzehnt Südamerikas ist vorüber

Dabei sah es vor gut zehn Jahren ganz anders aus: Fast in allen südamerikanischen Ländern wurden linke Regierungen gewählt. Das größte Land des Subkontinents, Brasilien, scherte gar aus der westlichen Phalanx aus und schloss sich Russland und China an. Im Rahmen der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) -Vereinbarungen sollte ein globales Gegengewicht gegen die „einzige Weltmacht“ USA geschaffen werden.

Nun droht das südamerikanische Demokratisierungs-Experiment zu scheitern. Die Weltmacht will die Auflehnung in ihrem Hinterhof nicht länger hinnehmen. Es ist kein Zufall, dass der US-Geheimdienst NSA fast alle elektronischen Mitteilungen aus Lateinamerika abfängt. Das wissen wir, seit WikiLeaks-Gründer Julian Assange Anfang Juli 2015 eine Reihe von Dokumenten veröffentlicht hat, die offenlegen, dass die NSA Mails von brasilianischen Regierungs- und Wirtschaftsbeamten der höchsten Ebene abgefangen hat.
 „98 Prozent der lateinamerikanischen Kommunikationen werden von der NSA abgehört, während sie durch die USA in den Rest der Welt gelangen“, sagte Assange in einem Interview für die Tageszeitung El Mostrador
Außerdem betonte Assange die Rolle des Internet-Giganten Google und des sozialen Netzwerkes Facebook in dieser Spionageaffäre. Ihm zufolge stehen die beiden Internetplattformen dem NSA stets zur Verfügung.  „Sie befinden sich physisch in den USA und unter ihrer Rechtshoheit, mit dieser Strafgesetzgebung, die dazu genutzt wird, sie zu zwingen, die Nutzerdaten zu übergeben, die sie sammeln“, so Assange damals.

Dass die NSA den ganzen Kontinent überwacht, ist kein Zufall. Denn die USA hat mit der Rückeroberung Südamerikas begonnen – wie man an den drei wichtigsten Staaten des Subkontinents sehen kann.

Argentinien – der neue US-Verbündete

Richten wir unseren Scheinwerfer zunächst nach Argentinien, dem zweitgrößten Land Lateinamerikas. Hier regiert nach vorangegangener Staatspleite und der linken Familiendynastie der Kirchners ein neuer rechtsgerichteter Präsident. Interessant ist, dass der jahrelange Schuldenstreit nach seiner Wahl ganz plötzlich beigelegt werden konnte. Der Vorgang zeigt, wie der Welt-Hegemon politisch unliebsame Regierungen mit dem Druck der Finanzmärkte abstrafen und politisch genehme Regierungen belohnen kann.

Der neue US-folgsame Präsident heißt Mauricio Macri und hat soeben eine Militärdelegation nach Washington gesandt, die dort ein Abkommen mit der US-Führung unterzeichnete, wonach beide Staaten eine militärische Kooperation eingehen wollen. Konkret wurde beschlossen, dass die US-Streitkräfte eine Basis auf Feuerland (Tierra del Fuego) im äußersten Süden in der Provinzhauptstadt Ushuaia errichten werden.

Eine strategisch wichtige Maßnahme, denn Washington hat damit zwischen dem Pazifik und dem Atlantik einen kompletten Sperrriegel zur Verfügung: Im Norden den Panama-Kanal und jetzt im Süden Kap Hoorn – bisher war diese Schiffspassage nur gesichert durch die britischen Falkland Inseln. Zudem können infolge der neuen US-Militärpräsenz in Argentinien leichter Fakten geschaffen werden, sollte das argentinische Volk den neuen Präsidenten wieder mit Schimpf und Schande loswerden wollen.

Putsch in Brasilia

Der zweite US-Vorstoß gilt Brasilien. Im größten südamerikanischen Land spitzte sich die Lage im Sommer letzten Jahres dramatisch zu: Am 31. August 2016 ist Präsidentin Dilma Rousseff vom Senat ihres Amtes enthoben worden. Der Präsidentin war vorgeworfen worden, Haushaltszahlen geschönt und Geld ohne Zustimmung des Kongresses ausgegeben zu haben – eine Praxis, die auch unter ihren Amtsvorgängern weit verbreitet war. Die 68-Jährige und auch viele Experten sahen die Begründung für das Amtsenthebungsverfahren deshalb als vorgeschoben an – und zwar von den Konservativen, um die Macht im Land auch ohne Wahlen zu übernehmen.

Mit der Amtsübernahme durch den 75-jährigen Konservativen Michel Temer endeten 13 Jahre linker Regierung im größten Land Lateinamerikas. Nach seinem Amtseid versprach er bei einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung eine „neue Ära“ für das Land. Temer gilt als Marionette Washingtons. Vor seinem Amtsantritt hatte er mit einflussreichen US-Senatoren über einen Machtwechsel in Brasilien gesprochen. Es ging dabei vorrangig um die Interessen der US-Konzerne in Brasilien.

Auch hier hat die Enthüllungsplattform WikiLeaks Licht ins Dunkel gebracht:

Temer sei früher US-Informant gewesen, hieß es auf der offiziellen Twitter-Seite der Plattform. Er habe 2006 als Abgeordneter und Präsident der Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (PMDB) dem Nationalen Sicherheitsrat der USA und dem US-Militär Aufklärungsmaterial über das „Innenleben“ der brasilianischen Politik  zur Verfügung gestellt. Er habe außerdem seine Ansichten zur Lage innerhalb der Partei und den kommenden Präsidentschaftswahlen gegenüber den US-Vertretern geäußert, hieß es.

Kurz nach seiner Amtsübernahme, genau am 13. September 2016, hat Brasiliens neuer Präsident sofort ein massives Programm von Privatisierungen angekündigt. „Wir müssen uns der Privatwirtschaft zuwenden, weil der Staat nicht alles machen kann“, sagte Staatspräsident Michel Temer vor seinen Ministern. So will die Regierung Genehmigungen zum Betrieb von Flughäfen sowie von Straßen im Süden und im mittleren Westen des Landes verkaufen. Des Weiteren sollen Betriebsgenehmigungen für Öl-, Gas- und Elektrizitätsprojekte vergeben werden. Damit will Brasilien 24 Milliarden Dollar erlösen, elf Milliarden davon allein aus dem Öl- und Gassektor. Zudem steht die Privatisierung von sechs Netzverteilern des staatlichen Energiekonzerns Electrobras an. Temer hat darüber hinaus weitreichende Reformen des Rentensystems, des Arbeitsrechts und der Wirtschaft insgesamt angekündigt. Auch ein Sparprogramm gehört zu seinen Plänen.

Wirtschaftskrieg gegen Venezuela

Das Land mit den weltweit größten Vorräten an Erdöl ist der dritte Schwerpunkt der US-Rückeroberung. Nachdem Venezuelas linker Präsident Hugo Chavez auf mysteriöse Weise an Krebs erkrankt und daran gestorben war, befürchtet sein Nachfolger Nicolás Maduro eine US-Invasion im Land.

Es sei eine Kampagne mit dem Ziel einer Militärinvasion im Gange, deren Epizentrum in Sachen Planung und Ausführung in Washington liege, meinte Maduro bei einer Pressekonferenz in Caracas. Venezuela sollte erst mit Hilfe von externen Agenten und internen Faktoren in eine Konfliktsituation gebracht werden. Da dies nicht erreicht worden sei, werde nun nach Gründen gesucht „für eine Invasion“, meinte er. Alle US-Botschafter in der Welt hätten die Aufgabe, „Lobby gegen uns zu machen und uns Schaden zuzufügen“.

Durch die zuletzt höchste Inflation der Welt, Devisenknappheit und eine enorme Rezession ist die Wirtschaftsleistung des Landes abgestürzt. Unternehmen klagen über fehlende Devisen, um Importe aus dem Ausland bezahlen zu können. Leere Regale und lange Schlangen vor den Geschäften prägen das Bild. In Krankenhäusern fehlt es an Medikamenten, die medizinische Versorgung steht vor dem Zusammenbruch. Hinzu kommen durch einen drohenden Kollaps des unter Wassermangel leidenden größten Wasserkraftwerks des Landes ständige Stromabschaltungen.

Maduro gibt den durch den Preissturz fehlenden Öleinnahmen die Schuld. Er hat den Ausnahmezustand verhängt und dem Militär sowie den mit den Sozialisten verbündeten Bürgerwehren per Dekret die Weisung erteilt, „die Verteilung und Vermarktung von Lebens- und Grundnahrungsmitteln“ zu garantieren. Er wirft obendrein den privaten Lebensmittelproduzenten vor, die Regierung mit einem „Wirtschaftskrieg“ destabilisieren zu wollen.

Man wird die nächsten Wochen abwarten müssen, um zu entscheiden, ob Donald Trump die alte Hegemonialpolitik gegenüber Südamerika fortsetzen wird. Nachdem er sich bisher nicht explizit dazu geäußert hat, darf damit gerechnet werden, dass er weiter auf einer US-Vorherrschaft über den Hinterhof der USA besteht.

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