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Warum übernimmt Russland die BUK-Version bei der MH17-Katastrophe?

Von Bernd Murawski 

Viele Fakten sprechen dafür, dass der Absturz der MH17 nicht durch ein BUK-System erfolgt ist. Da der Start einer BUK-Rakete kilometerweit zu sehen und zu hören ist, müsste es zahlreiche Zeugen geben. Diese wurden aber auf keiner Seite der Kriegsfront gefunden. Stattdessen haben viele Anwohner nahe dem Absturzgebiet Militärflugzeuge beobachtet. Ebenso wenig befinden sich an den Wrackteilen Spuren, die eindeutig einer BUK-Rakete zuzuordnen wären. Schließlich hatten die Separatisten keinerlei Bedarf an derartigen Flugabwehrsystemen, da sich handgestützte Waffen als ausreichend und praktikabel erwiesen.

Weshalb hat sich Russland dann auf die Version mit der BUK-Rakete eingelassen? Nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts durch das Dutch Safety Board (DSB) am 13.10.2015 wurde die Variante eines Abschusses durch ein ukrainisches Kampfflugzeug von offizieller russischer Seite fallen gelassen. Stattdessen streitet sich Moskau mit den niederländischen Ermittlern darüber, an welchem Ort das für den Abschuss verantwortliche BUK-System gestanden haben soll. Was verbirgt sich hinter dieser Taktik?

Argumentation mit Radaraufzeichnungen

Russland blieb auch bei dieser Position, als das Joint Investigation Team (JIT) letzte Woche die ostukrainischen Rebellen für den Abschuss der MH17 verantwortlich machte. Ein paar Tage vorher wurden unbearbeitete Radardaten präsentiert, die bei Almaz-Antey aufbewahrt wurden. Mit diesen glaubt die russische Seite belegen zu können, dass die vermeintliche BUK-Rakete nicht aus südöstlicher Richtung und somit aus einem von den Separatisten kontrollierten Gebiet abgeschossen wurde. Unter Hinweis auf Russlands einseitigen Schritt wurden die Ukraine und die USA aufgefordert, eigene Daten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Nun wurde mancherorts die Frage aufgeworfen, weshalb auf dem Radarschirm weder ein Militärflugzeug, noch eine ukrainische BUK-Rakete zu sehen sind. Dies wird mit der begrenzten Reichweite des Radars erklärt, da der Flughafen in Rostow, von dem die Daten stammen, ungefähr 150 km von der Absturzstelle entfernt liegt. Der Ort bei Sischne, an dem nach Auffassung der Ermittler des JIT der Abschuss der BUK-Rakete erfolgt ist, befindet sich um ein Drittel näher zum Radarsystem. Nur einige Kilometer davon entfernt ist auf dem Radarbild eine russische Drohne zu erkennen, auf die der Moderator bei der Vorstellung der Daten explizit verweist. Demnach wäre eine BUK-Rakete im Separatistengebiet zumindest während der Startphase vom Radar erfasst worden.

Dass Passagierflugzeuge dennoch in größerer Entfernung lokalisiert werden können, lässt sich durch die Mitführung eines Transponders erklären. Jedoch passt nicht ins Bild, dass auf dem Radarschirm nahe der Absturzstelle kleine Kreuze zu sehen sind, die als fliegende Wrackteile identifiziert wurden. Müssten dann nicht auch andere Objekte vergleichbarer Größe sichtbar sein? Weiß Moskau möglicherweise mehr und gibt nur die Belege an die Öffentlichkeit, die als gerade notwendig erscheinen?

In Zusammenhang mit seinen Recherchen hält Billy Six es für recht wahrscheinlich, dass Russland über flächendeckende Aufzeichnungen durch militärische Radarsysteme verfügt und somit über den Ablauf der Geschehnisse informiert ist. Darüber hinaus existieren US-amerikanische und wohl gleichermaßen russische Satellitenaufnahmen, auf denen sowohl der Kondensstreifen einer BUK-Rakete, als auch Militärflugzeuge klar erkennbar sein müssten.

Riskante Veröffentlichung von Rohdaten

Was könnte die russische Regierung daran hindern, alle verfügbaren Primärdaten zu veröffentlichen? Tatsächlich ist eine allgemeine Zurückhaltung bei der Bereitstellung von Rohdaten sowohl der Radar- als auch der Satellitenüberwachung zu beobachten. Dies wird dahingehend interpretiert, dass es sich um Materialien handelt, die höchster Geheimhaltung unterliegen. Mit ihnen ließen sich Rückschlüsse auf die Funktionsweise der Überwachungssysteme anstellen, so dass ihr Bekanntwerden der Gegenseite bedeutende strategische Vorteile gewähren würde. Ebenso verwies der russische Sprecher auf den geheimen Charakter der veröffentlichten Primärdaten, obwohl sie in diesem Fall nur kommerziellen Zwecken dienten.

Das von den Niederlanden geleitete Ermittlungsteam könnte nun versichern, dass alle aus Russland erhaltenen Dokumente ausschließlich für Untersuchungszwecke benutzt und nicht weitergereicht würden. Kann sich die russische Seite aber darauf verlassen? Wohl kaum. Da alle Teilnehmerstaaten – mit Ausnahme von Malaysia – enge Verbündete der USA sind, dürften Garantien wenig wert sein. Auch wenn momentan keine Weitergabe der Daten erfolgen würde, bestünde dennoch ein Erpressungspotential, auf das die Nato bei Bedarf zurückgreifen könnte.

Zudem wurden vor zwei Jahren schon einmal Erwartungen enttäuscht. Nachdem die ostukrainischen Rebellen die Black Box der abgestürzten Boeing gesichert hatten, bestanden sie auf einer Übergabe an malaiische Vertreter. Sie vertrauten darauf, dass die Daten von einer neutralen Stelle ausgewertet würden. Doch schon bald gelangte die Black Box in britische Hände. Dort wird sie seitdem unter Verschluss gehalten. Entgegen gängiger Praxis bei Flugzeugabstürzen wurde der Inhalt bislang nicht veröffentlicht.

Des Weiteren wurden viele Dokumente, die Russland der Untersuchungskommission überreicht hat, aus dessen Sicht nicht angemessen berücksichtigt. Dies wäre ebenfalls bei Primärdaten der Radar- und Satellitenaufzeichnungen zu befürchten. Sollte die russische Regierung dann nicht gleich das gesamte verfügbare Material an die Öffentlichkeit übergeben? 

Schwerer Stand gegen die westliche Propagandafront 

Erwartungen, dass sich daraufhin Empörung ausbreiten würde und die ukrainische Seite in die Ecke gedrängt werden könnte, würden sich vermutlich nicht erfüllen. Auch wenn unbearbeitete Rohdaten von Sachverständigen als nicht manipulierbar betrachtet werden, wissen dies ja nicht die Bürger. Nun hat die antirussische Propaganda der letzten Jahre einen geeigneten Nährboden geschaffen, um Misstrauen und Zweifel an allem zu wecken, was aus Moskau kommt. Wenn die Mainstream-Medien unisono behaupten sollten, dass die Materialien gefakt seien, dann würde ein breites Publikum daran glauben. 

Jemand könnte nun einwenden, dass es im Westen anerkannte Experten gibt, die an die Öffentlichkeit treten könnten, indem sie sich über alternative Medien Gehör verschaffen. Wer will sich aber freiwillig das Siegel eines Putin-Verstehers aufdrücken lassen, wenn er zwar zu einer fachkundigen Stellungnahme bereit ist, sich jedoch aus politischen Debatten heraushalten möchte? Zudem gibt es bereits jetzt eine Vielzahl fundierter kritischer Analysen zum MH17-Absturz, ohne dass führende Medien oder Politiker darauf reagiert hätten.

Gleichsam gehört die Vorstellung, dass russische Regierungsvertreter nichts lieber täten, als die ukrainische Führung vor der Weltöffentlichkeit bloßzustellen, ins Reich der Phantasie. Vielmehr zeugt die bisherige Praxis der politisch Verantwortlichen von einem hohen Maß an Realismus. Unabhängig davon, ob sich ein breites Publikum überzeugen ließe, stellt sich in der Politik die Notwendigkeit der Gesichtswahrung für alle Seiten, sollen konstruktive Ergebnisse erzielt werden. Selbst wenn ein Austausch der politischen Elite in der Ukraine erzwungen werden könnte, würde dies Russland kaum nützen. 

In den politischen Konflikten der letzten Jahre hat die russische Führung bewiesen, dass sie gewillt und in der Lage ist, verantwortungsvoll und besonnen zu agieren. So steht wohl auch im Fall des Absturzes der MH17 das Bestreben im Vordergrund, Wogen zu glätten und Schuldzuweisungen zu vermeiden. Die Variante eines BUK-Abschusses mit unbekanntem Täter wäre dabei für beide Seiten akzeptabel.

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