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In eigener Sache: Kontroverse Diskussion um einen „Offenen Brief“

Der Beitrag von Hubert von Brunn „Das kollektive Vergessen in Ostdeutschland – Ein offener Brief“ vom 08. Oktober hat einen ziemlichen Shitstorm gegen den Autor ausgelöst. Es erreichten uns zahlreiche Mails von AnderweltOnline-Lesern aus dem Osten der Republik, die sich von den kritischen Anmerkungen des „arroganten Wessis“ zu Unrecht angegriffen, verunglimpft und von oben herab behandelt fühlen. Das zu bewirken, war nicht die Absicht des Autors und wenn man seinen „Offenen Brief“ aufmerksam liest, wird man feststellen, dass er an vielen Stellen relativiert und letztlich Denkanstöße liefern wollte zu seiner zentralen Fragestellung: „Wie einig Vaterland sind wir eigentlich?“.

AnderweltOnline ist ein Portal, das journalistischen Pluralismus ermöglicht, kritisches Denken fördert und unterschiedliche Meinungen zulässt – so auch zu der von Hubert von Brunn mit seinem „Offenen Brief“ angestoßenen kontroversen Diskussion. Diesem Grundsatz – an Stelle eines einengenden Redaktionsstatuts – folgend hat unser Autor Peter Haisenko mit seinem Beitrag „Der Zorn im Osten hat tiefere – und berechtigte – Gründe“ vom 13. Oktober die Ursachen hinterfragt, weshalb der Unmut gegen die Politik der letzten 26 Jahre bei der Bevölkerung im Osten stärker ausgeprägt ist als im Westen. Als weiteren Beleg dafür, dass bei AnderweltOnline kritische Meinungsfreiheit keine leere Floskel ist, wollen wir unseren Lesern – stellvertretend für die negativen Reaktionen auf von Brunns Beitrag – auch die unmittelbare Reaktion unseres Autors Bernd Biedermann mit seiner „Offenen Antwort auf einen offenen Brief“ nicht vorenthalten.

Eine offene Antwort auf einen offenen Brief

Berlin, den 14.10.2015

Sehr geehrter Herr von Brunn,

Ihr offener Brief über das kollektive Vergessen in Ostdeutschland hat bei mir nicht nur Verwunderung ausgelöst. Deshalb antworte ich Ihnen umgehend und ebenso offen.

Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass es keine objektive, allgemeingültige Antwort auf die Frage gibt „Wie einig ist Deutschland heute?“ Ihre „kritische“ Bestandsaufnahme und Ihr offener Brief an die Bevölkerung in den neuen Bundesländern werden dabei allerdings kaum helfen, diese Frage schlüssig zu beantworten. Ich frage mich: Welche realen, ungetrübten Wahrnehmungen von der Situation in Dresden und anderswo im Osten haben Sie eigentlich?

Sie hätten die Dinge besser nüchtern betrachten sollen. Mit Verlaub: Bei allem Verständnis für Ihre Empfindungen, diese arrogante Art der Beurteilung von Menschen, die Sie nur oberflächlich kennen, kotzt mich an. Sie lassen in Ihrem Brief fast keines der Klischees aus, die im Westen unseres Landes im Laufe der 40-jährigen Teilung entstanden sind und gepflegt wurden. Die meisten davon haben mit der Realität nichts zu tun. Mein leider schon verstorbener bayerischer Freund Hermann B. wollte immer wissen, warum man im Osten anders dachte und fühlte als im Westen. Nach jedem klärenden Gespräch stellte er fest: „Wir werden euch wohl nie ganz begreifen.“ Ihr offener Brief bestätigt diese Einsicht.

Sie haben die Ereignisse im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 26. Jahrestag der deutschen Einheit in Dresden zum Anlass für Ihren Brief genommen. Um es gleich zu sagen: Ich lehne solche Aktionen, wie sie von einer gewissen Anzahl von Leuten im Umfeld der Frauenkirche lauthals zum Ausdruck kamen, ebenso ab wie die meisten meiner Landsleute. Aber im Unterschied zu Ihnen kann ich nachempfinden, warum es dazu kam. Es ist in der Hauptsache die wachsende soziale Unsicherheit und Ungerechtigkeit, die die Menschen mehr und mehr spüren und die sie zutiefst verunsichert. Vergessen Sie nicht, dass nach 1990 das gesamte Volkseigentum, meistens für einen Appel und ein Ei, wieder in private Hände kam. Seit dem ist die Schere zwischen arm und reich immer größer geworden. Sie schreiben von einem gewissen Wohlstand zu dem wir – wie auch immer – nach der Wende gekommen sind. Die Frage ist doch, was versteht man unter Wohlstand und wie hoch ist der Anteil derer im Osten, die wohlhabend sind? Wenn Sie erwarten, dass ein wenig Dankbarkeit dafür angebracht sei, muss ich Sie enttäuschen. Kollektive Dankbarkeit gibt es ebenso wenig, wie es kollektives Vergessen gibt.

Die von Ihnen explizit erwähnte Autobahn A 71 Erfurt-Schweinfurt, die nach meinem Empfinden zu den schönsten Autobahnen weltweit gehört, ist eben kein Geschenk des Westens, um die strukturschwachen Regionen im Thüringer Wald an das Autobahnnetz anzubinden. Sie ist vor allem ein wesentliches Element zur Entwicklung der Infrastruktur der gesamten Republik und insofern für ganz Deutschland von Bedeutung.

Nahezu uneingeschränkt zustimmen kann ich Ihren Auffassungen zum Soli – voraus gesetzt Sie wissen, dass die Ostdeutschen von Anfang an den Solidaritätsbeitrag genauso gezahlt haben wie Sie im Westen. Da meine Wahrnehmung eben nicht getrübt ist, wäre ich auch überhaupt nicht empört, wenn der Soli entweder abgeschafft oder anders verteilt würde.

Im Zusammenhang mit dem gerade gestarteten Versuch, die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit auch im Westen vorzunehmen, darf ich Sie daran erinnern, dass die DDR das konsequent getan hat. Inzwischen sind allerdings die meisten von denen, die schuldig waren und dennoch in allen Bereichen der westdeutschen Gesellschaft wieder in Amt und Würden waren, verstorben. Nach meiner Wahrnehmung sind allerdings viele ihrer Kinder und Kindeskinder politisch stark von ihnen geprägt. So hat das unselige Erbe der Wehrmacht die Bundeswehr bis in die späten 1960er Jahre maßgeblich geprägt und ist bis heute nicht völlig überwunden.

Gleichwohl empfinde ich bis zum heutigen Tage eine gewisse Dankbarkeit allein dafür, dass die deutsche Wiedervereinigung ohne Blutvergießen verlaufen ist. Dazu haben nicht zuletzt die Soldaten der Nationalen Volksarmee beigetragen, die der demokratisch gewählten Regierung von Lothar de Maiziere loyal gedient haben, die Waffen unter Verschluss hielten und nicht bereit waren, auf das eigene Volk zu schießen.

Der Sozialismus, für den ich vorher gestanden habe, war für mich vor allem mit der Schaffung einer gerechteren Gesellschaft verbunden. Dass uns das nicht gelungen ist, lag hauptsächlich an uns selbst. Wenn aber die Freiheit in der bürgerlichen Demokratie dazu führt, dass es in der Gesellschaft Menschen gibt, die einen sinnlosen Reichtum anhäufen können, während eine Mehrheit sehen muss, dass sie nicht in die Armut abrutscht, dann ist das nicht die Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt.

Gerade eben las ich im Internet einen Beitrag unter der Überschrift „Was ist denn wieder in Sachsen los?“ Warten wir mal ab, was demnächst in Köln, Hamburg und Berlin los ist, wenn die bereits bestehenden Parallelgesellschaften zum Angriff auf die bürgerliche Demokratie übergehen. Ich habe im Januar 2015 am Hamburger Steintor erlebt, wie man sich als Fremder im eigenen Land fühlt. Als mir in abendlicher Stunde auf dem Gehweg fünf dunkelhäutige Riesen in geschlossener Formation entgegen kamen, habe ich es vorgezogen, auf die Straße auszuweichen. Einer hinter mir, der es nicht tat, wurde brutal angerempelt und musste sich anhören „Pass auf, Du Penner!“

Als einer der Autoren von AnderweltOnline schreibe ich seit geraumer Zeit gegen die Medien an, die sich hauptsächlich den Interessen der Herrschenden verpflichtet fühlen. Das sind inzwischen wohl die meisten. Schauen Sie sich die Namen an, die auf der Liste der Atlantikbrücke stehen und Sie werden staunen, wen Sie da alles finden.

Üben Sie Contenance, seien Sie sachlich und gerecht, damit AnderweltOnline ein Portal für die Vernünftigen in diesem Land bleibt.

Herzlichst

Ihr

Bernd Biedermann

 

Hier können Sie den offenen Brief von Hubert von Brunn lesen:

Das kollektive Vergessen in Ostdeutschland ­– Ein offener Brief 

 

 

Und hier ein weiterer Beitrag, der bereits kontrovers diskutiert, gelobt und geschmäht worden ist: Das Buch „Wundersame DDR“. Man kann es so oder so sehen: Als eine Beschreibung skurriler Erlebnisse einer Diplomatengattin in der DDR oder als Dokument, wie arrogant Diplomaten im Arbeiter und Bauernstaat Recht und Gesetz einfach ignoriert haben. In jedem Fall wird der Leser in Ost und West Dinge erfahren, die er so noch nicht wusste. Im Buchhandel oder direkt vom Verlag hier.

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