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Fragwürdige Hybridkrieg-Vorwürfe an Russland

Von Bernd Murawski

Glaubt man unserer politischen Elite, dann hat Russland eine neue Kriegsfront errichtet. Über Medienpropaganda und Hackerattacken würde Moskau die Absicht hegen, im Westen Verwirrung zu stiften und Demokratiefeinden zu helfen. Sind die Ängste tatsächlich begründet, oder handelt es sich bei den Vorwürfen vielmehr selbst um Propaganda? Fakt ist doch, dass westliche Medien das Handwerk der Meinungsbeeinflussung bravurös beherrschen und seit Jahrzehnten erfolgreich praktizieren. Sendeanstalten wie CNN und BBC dominieren im globalen Streit um die Gunst der Fernsehkonsumenten. Der Mainstream war noch nie so bestimmend wie in der Gegenwart, potentielle Quertreiber konnten weitgehend integriert werden.

Offenbar haben sich nun aber Nischen geöffnet, die von RT, Sputnik und anderen russischen Internetportalen besetzt wurden. Dass deren Publikum rapide gewachsen ist, beruht nicht allein auf einem ansprechenden Outfit und hoher journalistischer Qualität. Die Reportagen und Analysen der russischen Medien erscheinen vielfach ausgewogener und fundierter als vergleichbare westliche Berichte. Dabei verschweigen sie nicht einmal, dass sie einseitig Position beziehen. Sie begreifen sich als Korrektiv, als Ergänzung zum westlichen Informationsangebot, was auch der Name der RT-Sendung „Der fehlende Part“ illustriert.

Feindseliges Hochschaukeln

Westliche Medien haben sich mit ihren Artikeln über die globalen Brandherde der letzten Jahre wie dem Ukraine-Konflikt und den Regime-Change- und Anti-Terror-Aktionen in islamischen Ländern wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Das „Sündenregister“ reicht vom Verschweigen unangenehmer Fakten und manipulativem Sprachgebrauch bis zur bereitwilligen Übernahme von fingierten Informationen und gefaktem Bildmaterial. In Bezugnahme auf die emotionsgeladene Berichterstattung zur Lage Ost-Aleppos drückt Albrecht Müller seine Empörung über die Mainstream-Presse wie folgt aus: „In diesen Tagen ist mir klargeworden, wie das feindselige Hochschaukeln hierzulande vor dem Ersten Weltkrieg und dann vor dem Zweiten Weltkrieg möglich (war) und betrieben wurde“.

Tatsächlich dürften Politikern und Medienvertretern die Fakten zu Syrien durchaus bekannt sein. Bereits 2013 verfügte die Nato über Erkenntnisse, dass 70 Prozent der Bürger hinter Assad stehen, während bei einem neutralen Anteil von 20 Prozent nur 10 Prozent die Rebellen unterstützen. Dennoch bekunden Repräsentanten der westlichen Wertegemeinschaft unverhohlen Sympathie für den bewaffneten Kampf einer Minderheit und setzen sich für den Sturz der vom Volk gewählten Regierung ein. Dass sich bei einem solchen Hintergrund viele Bürger von Mainstream-Medien abwenden und nach anderen Informationsquellen Ausschau halten, ist einem Glaubwürdigkeitsschwund geschuldet, hinter dem sich ein moralischer Bankrott verbirgt.

Doppelte Standards im hybriden Krieg

Parallel zu einer Einflussnahme mittels Medienberichterstattung wird Russland vorgeworfen, in Computernetze westlicher Staaten eingebrochen zu sein. Ein Zielobjekt soll die Datenbank der Demokratischen Partei der USA gewesen sein. Beweise sind in diesem Fall wie allgemein naturgemäß schwer zu erbringen. Allein schon deshalb sind Drohungen wie jene Hillary Clintons in einer Rede auf ihrer Wahlkampftour, dass die USA auch zu einer militärischen Antwort bereit sein sollten, brandgefährlich.

Die ganze Debatte erscheint absurd, zumal es zum Handwerk der Geheimdienste weltweit gehört, sich auf nahezu jede erdenkliche Weise Informationen zu beschaffen. Noch in frischer Erinnerung dürfte der NSA-Überwachungsskandal sein. Zwar konzentrierte sich die Empörung auf das „Ausspionieren unter Freunden“, wie Angela Merkel es ausdrückte. Dennoch kann angenommen werden, dass politische Kontrahenten wie Russland und China zu den Hauptadressaten US-amerikanischer Spionagetätigkeit gehören. Auch die fünf Milliarden Dollar, die nach einem geleakten Telefongespräch für den Machtwechsel in der Ukraine eingesetzt wurden, sind wohl zu einem nicht unerheblichen Teil für geheimdienstliche Aktivitäten verwendet worden.

Obwohl der Vorwurf einer Involvierung von offizieller russischer Seite zurückgewiesen wird, kann sogar die kürzlich geäußerte Vermutung zutreffen, dass Putin persönlich über den Cyberangriff auf die Demokratischen Partei informiert war. Trotzdem wäre dies kein politischer Eklat, zu dem es in den Medien aufgebauscht wird. Zwar gelangten die Hacker an heikle Informationen, jedoch wurden von US-Ermittlern keine Schäden registriert. Datenmaterial wurde weder verändert noch vernichtet. Für die zur gleichen Zeit stattgefundene Lahmlegung mehrerer Internetseiten wurde Russland ausdrücklich nicht verantwortlich gemacht.

Durch eine Veröffentlichung belastender Dokumente wird zweifellos die Meinungsbildung der Bürger beeinflusst. Dies könnte selbst die US-Wahl entschieden haben, folgt man den Behauptungen aus dem Clinton-Lager. Werden aber Enthüllungen nicht dann überschwänglich gelobt, wenn die publizierten Fakten politisch opportun sind? So nennt die Bild-Zeitung Julia Stepanowa, eine Kronzeugin in der Untersuchung zum russischen Doping-Skandal, die „mutigste Sportlerin der Welt“. Augenscheinlich handelt es sich bei der Beurteilung von Whistleblowing um einen Paradefall für doppelte Standards.

Gestörtes Vertrauen schürt berechtigte Ängste

Die Furcht der Bundesregierung vor russischen Versuchen einer Einflussnahme auf die bevorstehenden Bundestagswahlen ist sicher berechtigt. Aber wurden nicht ebenso bei Wahlen in Russland prowestliche Oppositionsparteien propagandistisch aufgewertet und Regierungsstellen durch Verweis auf Geheimquellen unlautere Absichten unterstellt? Anstatt Beschuldigungen zu erheben, sollten effektive Schutzvorkehrungen getroffen werden, damit Hacker nicht an politisch brisante Informationen gelangen.

Dass Russland sogar beabsichtigen könnte, mittels Cyber-Angriffen den Netzverkehr lahmzulegen, etwa um Panik zu verbreiten, ist eine ungeheure Unterstellung, für die es keine Belege gibt. Erst recht sind Behauptungen über eine drohende Manipulation von Wahlergebnissen, über bevorstehende Angriffe auf das Elektrizitätssystem oder andere Formen von Vandalismus reine Propaganda. Sie rufen nicht nur unbegründete Ängste bei den Bürgern hervor, sondern vergiften auch das politische Klima.

Die gewachsene Bereitschaft, auf geheimdienstlichem Weg erlangtes belastendes Material an die Öffentlichkeit durchsickern zu lassen, erklärt sich aus der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Pauschale Unterstellungen, Misstrauensbekundungen und Konfrontationsgebärden vertiefen die Kluft und erschweren die Rückkehr zu einem Vertrauensverhältnis. Dieses ist aber Voraussetzung dafür, dass durch Geheimdienste beschaffte Informationen, die bei einer Publizierung der Gegenseite politisch schaden könnten, ausschließlich intern verwertet werden.

Hoffen auf Whistleblower

Nun gibt es andererseits Kräfte, die nicht darüber erfreut sind, wenn brisantes Material aus Gründen diplomatischer Rücksichtnahme unter Verschluss gehalten wird. So schwingt sich die AfD zum Anwalt kritischer Bürger auf, die ein Höchstmaß an Offenheit fordern, wohl wissend dass sie selbst von Enthüllungen am meisten profitieren würde. Wie russische Medien dafür gelobt werden, dass sie hierzulande unterdrückte Fakten präsentieren, so hoffen rechte wie auch linke Oppositionskräfte inbrünstig, dass Whistleblower Mitglieder der politischen Elite bloßstellen.

Ein Wahlerfolg der Randparteien würde die parlamentarische Arbeit und die Tätigkeit einer künftigen Regierung beeinträchtigen, was durchaus in russischem Interesse sein dürfte. Ohne die politische Eiszeit, die US-amerikanischem Druck geschuldet ist und in Angela Merkel eine eifrige Befürworterin gefunden hat, wäre die russische Sichtweise jedoch eine völlig andere. Einem Partner, mit dem man vertrauensvoll und in freundschaftlichem Geist kooperieren kann, wünscht man vielmehr eine gefestigte Position im eigenen Land.

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