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Krieg, Wasserstoff, Ammoniak und das Haber-Bosch-Verfahren

Von Wilfried Schuler 

Dieses über hundert Jahre alte großtechnische Verfahren zur Herstellung von Ammoniak geriet im Zuge der Gas Krise in das Blickfeld der Öffentlichkeit, da es ein Großverbraucher von Erdgas ist. Gleichzeitig mit den beginnenden Zweifeln am hoch gepriesenen Wasserstoff, tauchten Berichte über den grünen Ammoniak auf.

Sozusagen, das neue Schwein, dass durch das Dorf gejagt wird und anscheinend das schwächelnde grüne Wasserstoffschwein vor sich hertreiben soll. Wunder-Ammoniak noch grüner als der Wasserstoff. Bevor wir uns also mit diesen grotesken, lächerlichen PR-Aktionen befassen, wollen wir zunächst nach guter Sitte mit den theoretischen Grundlagen beginnen.

Der technische Hintergrund

Der Haber-Bosch-Prozess läuft bei Temperaturen um 500°C bei einem Druck von 200 bar und höher ab. Mit einem Verbrauch von 2% der weltweit verfügbaren Primärenergie ist dieses Verfahren einer der bedeutendsten Einzelverbraucher überhaupt. Wobei der Schwerpunkt des Energieverbrauchs bei der Wasserstofferzeugung liegt. Die Weltproduktion an Ammoniak beträgt etwa 190 Millionen Tonnen jährlich. Als Rohstoff dazu sind 34 Millionen Tonnen Wasserstoff nötig. Dieser Wasserstoff wird zu einem großen Teil durch Wasserdampf-Reforming aus 90 Millionen Tonnen Methan gewonnen. In Gasform sind das 126 Milliarden Kubikmeter Methan. Etwa das Doppelte der Nord Stream 1 Pipeline-Kapazität pro Jahr. Die oben genannten 34 Millionen Tonnen Wasserstoff bedingen den Zwangsanfall von über 350 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Dieses kann zum Teil in der Verbund-Fabrikation zur Herstellung von Harnstoff genutzt werden. Weitere Mengen gehen in die Lebensmittel und Getränkeindustrie. Der Rest in die Luft. Weitere Energieeinträge eingeschlossen, werden pro Tonne Ammoniak etwa 2 Tonnen Kohlendioxid erzeugt.

Diese Zahlen machen verständlich, dass das Haber-Bosch-Verfahren ein vorrangiges Ziel aller Bemühungen ist, grünen Wasserstoff herzustellen. Gleichzeitig sucht man nach gänzlich neuen Wegen, die den hohen Energiebedarf des Verfahrens vermeiden können. Also eine Substituierung des Verfahrens an sich. Diese Suche hat noch keine technisch verwertbaren Resultate erbracht. Auf absehbare Zeit geht kein Weg am Haber-Bosch-Prozess vorbei.

Die Historie des Haber-Bosch-Verfahrens

Man hat in den letzten Monaten gelernt, dass mit diesem Prozess die Erzeugung von Düngemittel steht oder fällt und damit die Aussichten auf eine gute Ernte. Auch, dass der Harnstoff im Agent Blue für den Diesel Motor am Haber-Bosch-Verfahren hängt, hat sich herumgesprochen. Das Ammoniak aus dem Prozess hat den gewaltigen Aufschwung der Landwirtschaft und damit das Wachstum der Bevölkerung seit 1900 sehr gestützt. Nicht, dass große Teile der Menschheit ohne die Erfindung von Dr. Fritz Haber Hunger leiden müssten, nein. Es hätte schon ihre Großeltern nie gegeben. Dieses segensreiche chemische Verfahren wurde aber nicht aus Gutherzigkeit heraus entwickelt. Es ging, was Wunder, vor allem um den Krieg.

Sehr kluge Geschichtslehrer haben uns - vielleicht - erzählt, dass die Chinesen lange vor den Europäern Schießpulver besaßen. Das war der Besonderheit geschuldet, dass es in einer entlegenen Gegend in China bescheidene Mengen an Salpeter gab. Er wurde in Salzmarschen gewonnen. Dieser sogenannte „Chinesische Schnee“ gelangte um das Jahr 1000 auch in die Hände der syrischen Alchimisten und war eine sehr rare und teure Substanz.  Der Salpeter in der regenlosen Atacama dagegen, wurde erst im um 1840 entdeckt. Ansonsten sind Nitrate wegen ihrer guten Löslichkeit in der Natur praktisch nicht als Mineral zu finden.

Schießpulver wurde noch bis in die napoleonische Zeit mit haarsträubenden Methoden hergestellt und war knapp. Der Stolperstein war stets der Salpeter. Wenn es verbraucht war, war der Krieg aus. Mit dem steigenden Angebot des Chile Salpeters, das um 1860 einsetzte, kamen die neuen Super Sprengstoffe auf und es wurde ein Potential der Zerstörung erreicht, von dem selbst ein Napoleon nicht hätte träumen können. Sowohl qualitativ als auch quantitativ, war ein neues Zeitalter der Zerstörung angebrochen. In den Jahrzehnten der Hochrüstung, ab etwa 1890, war man sich in Berlin und in London klar, was die Glocke geschlagen hatte. Die Deutschen schafften mit ihren Windjammern 4000-Tonnen-Ladungen Salpeter um das Kap Hoorn. Die Royal Navy auf den Falkland Inseln zählte die Segler und die Admirale in London rechneten aus, wie lange man Deutschland im Kriegsfall blockieren musste, bis der Salpeter und damit das TNT usw. usw. zur Neige ging. Zur Spitzenzeit 1913, importierte Deutschland 800.000 Tonnen jährlich.  Zunächst, noch verschwommen, erschien das Menetekel der Blockade an der Wand. Einer konnte es lesen. Und handelte.

Wilhelm Ostwald gab den Anstoß

Der Mitbegründer der neuen Disziplin „Physikalische Chemie“ Wilhelm Ostwald war Professor in Riga und später in Leipzig. Er war eine der vornehmsten Adressen in der deutschen Wissenschaft. Nicht nur ein brillanter Theoretiker, auch ein Mann der Praxis. Deshalb nutzte er die Erkenntnisse seiner bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Katalyse und stellte mit seinem Schüler und Schwiegersohn Max Brauer in einer kleinen Fabrik ab 1903 Salpetersäure her. Die Grundlage dieser Arbeiten schuf Frédéric Kuhlmann, ein führender Chemiker und Industrieller in Lille um 1838. Kuhlmann verbrannte damals Ammoniak an einem Platinkontakt, absorbierte das entstehende Stickstoffdioxid in Wasser und erhielt Salpetersäure. Für die praktische Verwertung seiner Erfindung sah er keinen Anlass. Man setzte auf den Chile Salpeter und Kuhlmann verfolgte die Sache nicht weiter.

Da Ostwald politisches Gespür hatte, versäumte er nicht, 1903 bei der kaiserlichen Heereskriegsleitung vorstellig zu werden und den Generälen vorzurechnen, dass ein Großkrieg ohne autarke Versorgung mit Salpetersäure nach 8 oder 10 Monaten zum Stillstand käme. Die Royal Navy würde den Windjammern schon im Südatlantik auflauern, den Rest in der Nordsee kapern und sich für den frei Haus gelieferten Salpeter sogar bedanken.

General von Falkenhayn war von Ostwalds Vortrag beeindruckt und die Idee wurde in den Rang einer Strategie erhoben.

Fritz Haber, Carl Bosch, und Alwin Mittasch setzten den Meilenstein

Ostwald und sein Schüler Brauer brachten unverzüglich das nach ihnen benannte Verfahren zur Herstellung von Salpetersäure zur technischen Reife. Das Interesse richtete sich nun auf das dafür nötige Ausgangsprodukt. Ammoniak war knapp, es war nur in begrenzten Mengen aus den Koks/Teerdestillaten verfügbar. Ein elektrochemisches Verfahren konnte sich wegen der hohen Stromkosten nicht durchsetzen. Zwar hatte Ostwald bereits einige fruchtlose Versuche unternommen, war aber an den Hürden, die die Reaktion aufweist, gescheitert.

Als Leiter des Ammoniak Projektes wurde Fritz Haber, Professor in Karlsruhe, ausgewählt. Die Arbeiten fanden im Werk und auf Rechnung der BASF statt. Nach einer ersten Phase von 1904 bis 1908 wurde ein Patent angemeldet.

Zwar ist die Reaktion zwischen Stickstoff und Wasserstoff hin zu Ammoniak thermodynamisch begünstigt, nur läuft sie bei Raumtemperatur unmessbar langsam ab. Erhöht man die Temperatur, um die Reaktionsgeschwindigkeit zu vergrößern, so gerät man allerdings in ein Dilemma. Das gebildete Ammoniak zersetzt sich umgehend. Nach vielen Versuchen gelang es, die Reaktion zu verstehen und zu steuern. Da das Endprodukt Ammoniak nur das halbe Volumen der Ausgangs-Gase hat, konnte man durch Druckerhöhung seine Bildung forcieren. Im Bestreben den Zwang zu vermeiden, verschiebt sich das Gleichgewicht von den Ausgangsprodukten hin zum weniger voluminösen Reaktionsprodukt und minimiert so den Zwang. Ein universelles Gesetz der Natur. Erstmals formuliert von Henry Le Chatelier 1888. Der zweite wichtige Punkt war die Verwendung eines Katalysators.

Schließlich gab es eine erste Apparatur. Sie musste 200 bar und über 500°C aushalten. Was sie anfänglich nicht schaffte. Es kam zu Unfällen und deprimierenden Rückschlägen. Der Wasserstoff löste den Kohlenstoff aus dem Stahl, der zu Weicheisen wurde und der Reaktor platzte. Man baute daraufhin einen inneren Reaktor aus inertem Weicheisen. Dieser war mit einem Stützgewebe aus raffiniert geflochtenen Stahldrähten umwickelt. Das Ganze eingepasst in den äußeren Mantel. Feine Bohrungen in dieser Hülle erlaubten es den Spuren an Wasserstoff, die unvermeidbar waren, gefahrlos zu entweichen. Das waren die sogenannten Bosch-Löcher. Zwar war Chrom sehr inert, aber auch zu hart und spröde. Nickel war zwar weich aber sehr resistent, deshalb unverzichtbar. Man musste die konträren Eigenschaften der Stähle gegeneinander ausbalancieren. Jemand fragte die Schlachtschiffbauer von Krupp um Rat.  Diese brachten Molybdän ins Spiel. Damit hielten die Reaktoren stand.

Der BASF-Ingenieur Carl Bosch meisterte die Technik. Pumpen, Messgeräte, Regler. Er benutzte Legierungen und Werkstoffe, die es zuvor nicht gab. Eine neue Art der Entwicklung, die die gesamte Chemische Industrie für die nächsten 30 Jahre nachhaltig beeinflusste. Fritz Haber wurde maßgeblich von seinem Kollegen Alwin Mittasch unterstützt, der viele tausend Mischungen auf Ihre Tauglichkeit zum Katalysator untersuchte. Hinweise zu diesem wichtigen Thema lieferte selbstverständlich Ostwald, der Nestor der Katalytischen Chemie. Er fungierte auch als Organisator der Verbindungen nach oben. Der Kaiser selbst beobachtete die Arbeiten aus der Ferne.  Ab 1912 zeigte sich, dass der Prozess laufen würde. Das klassische Beispiel einer Gleichgewichtsreaktion. Man entfernte ständig die gebildeten 15 % Ammoniak, führte das Rest-Gas im Kreis zurück und setzte frischen Wasserstoff und Stickstoff zu. Der Idealfall eines kontinuierlichen Prozesses.

Produktionsbeginn war im Sommer 1914. Gegen Jahresende schloss die Regierung einen Vertrag mit der BASF ab und stellte 35 Millionen Reichsmark als Kredit zur Verfügung, um die Versorgung zu sichern. Das war das sogenannte Salpeterversprechen. Die englische Blockade kam im Herbst 1914 wie befürchtet. Der Chilesalpeter wurde knapp, man musste kurzzeitig zu vorindustriellen Methoden der Salpetergewinnung greifen, aber das Verfahren stand und erfüllte alle Erwartungen. Es konnte weitergeschossen werden.

Da man französische Luftangriffe fürchtete, wurde die fällige Erweiterung weit weg in Merseburg gebaut, das Leuna Werk. Der Baubeginn war am 25.Mai 1916. Der erste Kesselwagen mit flüssigem Ammoniak rollte Ende April 1917. BER lässt grüßen. Diese exzellente Leistung vollbrachte einmal mehr Carl Bosch, der parallel zu diesem Projekt ein Verfahren für die Vergasung der im Vergleich zur Steinkohle eher minderwertigen Braunkohle entwickelte. Das war der erste Schritt zum späteren Leuna Benzin. 

Immer noch führend in der Großchemie

Nach Versailles musste die BASF ihre Geheimnisse offenlegen. Es entstanden zahlreiche neue Fabriken auf der ganzen Welt. Höhere Drücke, niedrigere Drücke, andere Temperaturen, Variationen beim Katalysator. Der Urahn aber bleibt bei allen noch heute sichtbar.  Auch nach 100 Jahren arbeitet die Mehrheit aller Anlagen noch nach dem originären Verfahren.  Optimiert und modernisiert, aber unverkennbar.

Zwar wird weltweit mit Hochdruck an Verfahren gearbeitet, die den hohen Energieaufwand dramatisch senken sollen, doch das ist leichter gesagt als getan. Wir werden uns mit diesem Thema in einem Folgebeitrag beschäftigen und dabei auch das Thema des „Grünen Ammoniaks“ abhandeln. Für die kommenden Jahre wird das Haber-Bosch-Verfahren und seine Varianten der Standardprozess bleiben.

Last but not least. Die Menschen die dahinter standen.

Fritz Haber wurde 1868 in Breslau geboren. Er war einer der größten Chemiker in einer an Könnern bereits reichen Periode der Chemie. Seine Beiträge zur physikalischen Chemie, Elektrochemie und Thermochemie, machten ihn schon vor seiner Großtat berühmt. Er studierte ab 1886 in Berlin und Karlsruhe. Er unterbrach sein Studium für den Wehrdienst und promovierte 1891. Er war Assistent und Lehrer an der Universität in Karlsruhe, später Professor, bis er 1904 bei der BASF in das Ammoniak Projekt eintrat.

Während seiner Militärzeit wurde ihm das Leutnantspatent wegen seines jüdischen Glaubens versagt. Er konvertierte später, um weitere Repressalien zu vermeiden. Sein ungebrochener Patriotismus verleitete ihn bedauerlicherweise 1916 zur unseligen Idee des Gaskrieges. Sein Vorschlag, Chlor in Stahlflaschen an die Flandernfront zu bringen und bei passender Windrichtung über die feindlichen Linien ziehen zu lassen, war der Eintritt in das Zeitalter der Massenvernichtungswaffen. Umso tragischer, dass seine Frau diese Dinge nicht billigt und die bereits angespannte Beziehung noch mehr litt. Sie erschoss sich später mit seiner Dienstwaffe. Er war mittlerweile zum Hauptmann befördert worden. Clara Immerwahr, die erste Frau, die in Deutschland in der Männer Domäne Chemie promovierte. Dr. Fritz Haber erhielt 1919 den Nobelpreis für Chemie. Er war viele Jahre eine Institution bei der BASF und später bei IG Farben. Als sich die Naziadministration für ihn zu interessieren begann, verließ er 1933 Deutschland und ging nach Frankreich. Er starb 1934 auf einer Reise in der Schweiz. 

Alwin Mittasch kam 1869 in Großdehsa in der Lausitz zur Welt. Er schloss 1889 das Lehrerseminar ab und arbeitete als Lehrer. In seiner Freizeit studierte er ab 1892 Chemie und Philosophie und promovierte 1901 bei Wilhelm Ostwald in Leipzig. Nach einer Anstellung bei der Stolberger Zink und Bleihütte wurde er 1903 Assistent von Carl Bosch bei der BASF. Unter seiner Leitung wurden ab 1909 etwa 4000 Mischungen in 20.000 Versuchen auf ihre Eignung als Katalysator getestet. Sein auf Eisenoxid basierter Katalysator ist noch heute im Einsatz. Er verbesserte und verbilligte später auch den Katalysator für das Ostwald-Bauer Verfahren und schuf die ersten Katalysatoren, mit deren Hilfe Kohlenmonoxid in die Organische Chemie eingeführt wurde. Die Grundlagen der Methanol Synthese und der Oxo-Synthese gehen ebenso auf ihn zurück, wie der Anstoß zur Kohlehydrierung nach Bergius und Fischer-Tropsch. Eine Leistung, deren Bedeutung damals nicht im Mindesten erahnt werden konnte. Er leistete auch Großes auf dem Gebiet der Metallcarbonyle. Zwar bewährte sich Eisenpentacarbonyl nicht als Konkurrent zu Bleitetraäthyl als Antiklopfmittel, aber seine Umwandlung in hochreines Eisen wurde kommerziell genutzt. BASF ist immer noch ein führender Hersteller von Reinsteisen für die Elektronik-Industrie. Bemerkenswert seine Gewohnheit, viele Patente nicht solo, sondern gemeinsam mit seinen Mitarbeitern anzumelden. Seinen Leistungen angemessen, wurde er später Forschungsleiter der BASF. Der frühe Tod seines Sohnes bewog ihn 1932 in den Ruhestand zu gehen. Er lebte zurückgezogen in Heidelberg. Von dort schrieb er über Philosophie, nicht zuletzt über die Philosophie der Wissenschaft. Er war der stetige, kluge Schaffer im Hintergrund. Obwohl noch heute in der Wissenschaft hoch angesehen, Preise und Auszeichnungen werden in seinem Namen vergeben, blieb ihm der Olymp des Nobel-Preises bedauerlicherweise verschlossen. Mittasch starb 1953 in Heidelberg. 

Carl Bosch, wurde 1874 in Köln geboren. Sein Onkel war der Industrielle Robert Bosch. Nach seiner Schulzeit absolvierte er ab 1893 eine Lehre in einer Metallhütte in Schlesien und studierte Maschinenbau. Dieses Studium schloss er 1896 in Charlottenburg ab. Im Sommer 1896 begann er sein Studium der organischen Chemie in Leipzig. Dort hörte er auch bei Wilhelm Ostwald. Er promovierte 1889 und trat ein Jahr später in die BASF ein, wo er einen Betrieb für Farbstoff Zwischenprodukte leitete. In dieser Zeit bekam er die Aufgabe ein Patent von Ostwald zu prüfen, nach dem Ammoniak aus Metallnitrid hergestellt wurde. Er wies nach, dass der große Ostwald sich geirrt hatte. Im Anschluss daran versuchte er ab 1903 selbst Ammoniak aus Metallnitriden durch Hydrolyse mit Wasser herzustellen. Dieses prinzipiell mögliche Verfahren, scheiterte jedoch an den hohen Kosten für den benötigten Strom. Wie weiter oben erwähnt, war er der „Macher“ des Ammoniak Projektes. Und auch mit seinem späteren Wirken schrieb er für Jahrzehnte Industriegeschichte. Er wurde 1916 in den Vorstand der BASF berufen und wurde 1919 Vorsitzender. Bei den Verhandlungen von Versailles konnte er die Demontage der BASF abwenden, musste aber eine umfangreiche Vereinnahmung von Patenten und allgemeinen Betriebsgeheimnissen hinnehmen.

1921 kam es zur bisher größten Explosion in der Geschichte. Ein Silo mit Ammon Sulfat-Salpeter explodierte. Es gab 550 Tote und 2000 Verletzte. Das halbe Werk und 7000 Wohnungen waren zerstört. Die Explosion wurde in München gehört. Bosch war der Mann, der auf dem Friedhof Trost sprechen musste, aber auch der, der die Wohnungen der Menschen binnen Jahresfrist wieder aufbaute. Auf den ersten Blick ist man geneigt, die Chemiker und Ingenieure in diesem Salpeter Betrieb zu verurteilen. Sie fielen aber einer Tücke des Objekts zum Opfer, die neu und nie zuvor aufgetreten war. Carl Bosch leistete weiterhin Großes auf dem Gebiet der Hochdruck-Synthesen und erhielt 1931 zusammen mit Bergius den Nobelpreis. Von 1925-1935 war er Vorstandsvorsitzender der IG Farben. Ohne Zweifel war er einer der wichtigsten Köpfe in der deutschen Industrie dieser Zeit. Wie viele andere, konnte er sich der Einflussnahme der NSDAP nicht entziehen. Die vorausplanenden Kriegsmanager der Nazis brauchten allerdings keine Salpeter Notlage zu fürchten. Dieses Mal ging es um Benzin, Diesel, Schmieröl und Kautschuk. 1934 gab es in Analogie zu 1914 ein Kohlebenzin Versprechen und massive Subventionen für die Industrie. Carl Bosch zog sich 1935 ins Privatleben zurück und starb 1940. Neben seinen überragenden Leistungen als Ingenieur und Chemiker war er ein Mann, der auch in anderen Disziplinen sehr bewandert war. Er war Mechaniker, Schreiner und Glasbläser. Kundig in Zoologie, Botanik und allgemeiner Naturwissenschaft. Sein Herbarium war berühmt. Er war aber sehr unglücklich über die politische Entwicklung. Seine Gesundheit verfiel, er wurde depressiv und verstarb 1940 in Heidelberg. 

Wilhelm Ostwald, geboren 1853 in Riga, in Livland. Das Lexikon führt ihn als deutsch-baltischen Wissenschaftler. Seine Vorfahren waren deutsche Emigranten. Per Gesetz war er russischer Staatsbürger. Nach seiner Schulzeit in Riga studierte er ab 1872 in Dorpat und promovierte 1878. Er lehrte in Dorpat und ab 1881 in Riga, wo er 1882 zum Professor berufen wurde. Ab 1887 wirkte er in Leipzig.

In alten Büchern kann man noch lesen, dass die Physik eine exakte, die Chemie dagegen eine beobachtende Wissenschaft sei. Ostwald war es, der die Mathematik in die Chemie einführte. Ein Mitbegründer der neuen Disziplin, der Physikalischen Chemie. Zusammen mit Nernst, Berzelius und van´t Hoff leistete er Großes in der Forschung zur Osmose, der Hydrolyse und der Dissoziation. Als Glasbläser fertigte er ein sehr brauchbares Viskosimeter. Legendär seine Arbeiten über Reaktionsgleichgewichte bei Gasen und Gleichgewichte allgemein. Er war auch ein Vordenker auf dem Gebiet des Dualismus, wobei er der Energie eine höhere Bedeutung als der Materie beimaß. Er war im Gedankenaustausch mit Einstein. Als er selbst Preisträger wurde, hatte er das Recht, zukünftige Kandidaten vorzuschlagen und förderte Einstein. Bemerkenswert seine Gedanken zur Nutzung von fossilen Energien. Er hielt die übermäßige Nutzung für bedenklich und verglich sie mit dem Verprassen eines Erbes. Gedanken, die zu den Ideen des Club of Rome und späterer Zirkel führen. 1906 wurde er emeritiert und arbeitete als Privatgelehrter. Er unternahm Vortragsreisen in Europa und besuchte auch die USA. Seine Arbeit wurde 1909 mit dem Nobelpreis gekrönt. Er verfasste zahlreiche Lehrbücher, sein Nachlass an Berichten und Arbeitsnotizen ist ebenso legendär wie die lange Liste seiner Schüler, von denen viele selbst bekannte Professoren wurden. Wilhelm Ostwald starb 1932 in Leipzig. 

Gerhard Ertl ist ein 1936 in Stuttgart geborener Chemiker und Physiker, der in seiner langen Laufbahn als Spezialist für die Chemie der Oberflächen in den 1970-er Jahren die letzten Details des äußerst komplizierten Reaktionsverlaufs, der Ammoniaksynthese, aufklärte. Er gilt als einer der Begründer der Oberflächen Chemie. Die Ammoniak Reaktion ist eine komplizierte Folge von Adsorption der Reaktanten an der festen Oberfläche des Katalysators, der in Abschnitten verlaufenden Reaktion und der Desorption des gebildeten Ammoniaks. Man kann hoffen, dass seine umfangreichen Arbeiten nicht einfach ein akademischer Schlusspunkt des Haber-Bosch-Verfahrens sind. Siebzig Jahre früher hatte Ostwald bereits nachgewiesen, dass die Nitrid Bildung an Metalloberflächen zur Darstellung von Ammoniak dienen kann. Es ist durchaus möglich, dass das dringend gesuchte neue Verfahren aus den Arbeiten von Gerhard Ertl entstehen wird. Schließlich lagen auch fast 60 Jahre zwischen den ersten Versuchen von Frederic Kuhlmann und der technischen Umsetzung durch Ostwald und Brauer. Für seine Arbeiten erhielt Gerhard Ertl 2007 der Nobelpreis. 

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