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Donald Trump, Außenhandelsbilanzen und die „Agenda 2010“

Von Peter Haisenko

Donald Trump behauptet, die USA würden – in wirtschaftlicher Hinsicht – übervorteilt. Obwohl ich hierzu die gegenteilige Meinung vertrete, halte ich es für angebracht, sich mit dem Standpunkt des mächtigsten Mannes der Welt zumindest auseinanderzusetzen. Objektiv betrachtet, kann man seine Sichtweise nicht pauschal verdammen.

Begonnen hat das Drama mit dem stetig ansteigenden US-Außenhandelsdefizit in den 1960-er Jahren, verursacht durch die immensen Kosten für den Vietnamkrieg, der aus dem Ruder gelaufen war. 1971 musste Präsident Nixon dann die Goldbindung für den US-Dollar, die Leitwährung, aufgeben und eigentlich hätte zu diesem Zeitpunkt das Weltfinanzsystem von Grund auf neu aufgelegt werden müssen. Warum das nicht geschehen ist und welche Auswirkungen das bis heute hat, können Sie hier Die verschwiegenen Ursachen der Jahrhundertkrise ausführlich nachlesen. Fakt ist, dass von 1971 an US-Firmen ihre Produktion zunehmend ins lohngünstigere Ausland verlegt haben. So ist das Außenhandelsdefizit der USA beschleunigt angestiegen, bewegte sich aber bis 1990 in beherrschbarem Rahmen.

Ab 1990 konnte sich der Kapitalismus schamlos austoben

Bis 1990, solange die Sowjetunion und der kommunistische Block existierten, musste der Westen, der Kapitalismus, immer beweisen, dass er das bessere System für die Menschen ist. Deutschlands Soziale Marktwirtschaft bescherte den Deutschen immer bessere Lebensbedingungen. Mit dem „Sieg über den Kommunismus“ ist auch die wirtschaftliche Welt unipolar geworden und der Kapitalismus konnte sich schamlos austoben. Das US-Außenhandelsdefizit feierte einen Höchststand nach demselben und analog dazu die Außenhandelsüberschüsse Chinas und Deutschlands. Dass das nicht gut gehen kann, haben neuerlich auch die verbohrtesten Systemökonomen erkennen und zugeben müssen.

Betrachten wir dazu kurz die einfachste Variante, die Handelsbilanz zweier Länder. Beide Länder können bestimmte Produkte besser, günstiger herstellen als das jeweils andere. Man tauscht die Waren, und zwar so, dass der Wert der getauschten Waren in etwa gleich hoch ist. Die Handelsbilanz ist ausgeglichen, es gibt kein Problem. Was geschieht aber, wenn eines der beiden Länder seine Produktionskosten senkt, indem es den Lohnkostenanteil durch Lohnsenkungen, längere Arbeitszeiten und Sozialabbau verringert? – Die exportierten Waren werden jetzt billiger, deswegen im Importland mehr nachgefragt und das Gleichgewicht ist gestört. Dem kann auf zweierlei Weise begegnet werden. Das andere Land betreibt auch Sozialabbau oder erhebt Importzölle, weil es diesen Sozialabbau seinen Bürgern nicht zumuten will. Die zweite Variante wird von den Befürwortern der Globalisierung strikt abgelehnt, obwohl mittlerweile dem Letzten aufgegangen sein müsste, dass alles andere nur zu einem fatalen Wettlauf nach unten führen kann, unter dem wir in zunehmenden Maß zu leiden haben.

Von fairem Wettbewerb kann keine Rede sein

Deutschland ist ein sehr exportstarkes Land. Dies wegen seiner hervorragenden Ingenieursleistungen und den bestens ausgebildeten Fachkräften, also der Qualität seiner Produkte und der Effizienz deren Herstellung. Das ist so seit etwa 150 Jahren und das gilt bis heute. Die Handelsbilanz war und ist stets positiv – und auch in den 1990-er Jahren war das der Fall. Es gab also nicht den geringsten Anlass, die deutsche Exportstärke durch Sozialabbau zu verbessern. Unter diesem Aspekt muss man sich fragen, warum dann die Regierung Schröder/Fischer genau das getan hat mit der „Agenda 2010“. Die weitere Verbilligung deutscher Produkte hat zu großen Verwerfungen der Handelsbilanzen geführt, und zwar nicht nur gegenüber den USA, sondern vor allem innerhalb Europas unter dem Euro. Auf Letzteres will ich hier nicht weiter eingehen. Werfen wir stattdessen einen kurzen Blick auf China.

In China sowie in den Ländern der Dritten Welt gab es keine Notwendigkeit für Sozialabbau, denn in dieser Hinsicht waren sie sowieso unterentwickelt. Unterbewertete Währungen und ein für unsere Verhältnisse unvorstellbar niedriges Lohnniveau haben Firmen aus aller Welt – und eben ganz vornean aus den USA – verführt, großflächig Produktionsstätten dorthin zu verlagern. Von  einem fairen Wettbewerb kann hier überhaupt keine Rede sein. Vielmehr hat diese Ausbeutung der armen Welt zu unserem Wohlstand beigetragen.

Über die miserable Qualität von US-Produkten darf Trump nicht laut reden

Hier muss man nun Trumps Standpunkt einbeziehen. Die Vorteile der beschriebenen Praxis beschränken sich dauerhaft nämlich nur auf exportstarke Länder. Speziell Deutschland hat dadurch kaum Arbeitsplätze verloren, ganz im Gegensatz zu den USA und – ich merke es jetzt doch an – zu den südeuropäischen Ländern. Offensichtlich sieht Trump den „Betrug“ an den USA darin, dass zum Beispiel Deutschland seine Produktionskosten durch Sozialabbau gesenkt und auf diese Weise vermehrt Arbeitsplätze aus den USA nach Deutschland abgezogen hat. Diesen Vorwurf kann er China nicht machen, denn die Umstände dort waren von Anfang an bekannt. In dieser Hinsicht sind die amerikanische Wirtschaftspolitik und der unkontrollierte Freihandel für das Debakel verantwortlich. Nicht zu vergessen der Umstand, dass das gierige Kapital keine Heimatliebe kennt, wie schon Adam Smith feststellen musste. Mit China ist es im Gegenteil sogar so, dass im Laufe der letzten Jahre dort die Löhne gestiegen sind, was aber durch Effizienzsteigerungen weitgehend ausgeglichen werden konnte.

Trump verschweigt – natürlich aus gutem Grund, dass die Probleme der US-Wirtschaft zu ganz wesentlichen Teilen der miserablen Qualität amerikanischer Produkte geschuldet sind. Das aber kann er den amerikanischen Bürgern nicht an den Kopf werfen. Darüber wird, wenn überhaupt, nur im kleinen Zirkel der Wirtschaftsführer und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesprochen. Donald Trump muss also an zwei Fronten arbeiten, um „America great again“ zu machen: Er muss Importsteuern erheben, wo durch zu unterschiedliche Umwelt- und Sozialstandards Wettbewerbsverzerrungen existieren. Und er muss ganz speziell Deutschland dazu bewegen, die Politik des Lohndumpings und des Sozialabbaus zu revidieren. „Dann wird aber alles teurer“, höre ich den Aufschrei. Ist das wirklich so und wenn ja, um wie viel?

Deutscher Außenhandelsüberschuss ist schädlich für die Weltwirtschaft

Der Anteil der Lohnkosten am Produktpreis beträgt bei den meisten Industrieprodukten nur etwa zehn Prozent. Selbst wenn man also die Löhne verdoppelte, müsste der Endpreis nur um etwa zehn Prozent steigen. In einer Wirtschaft, wo alles „auf Kante genäht“ ist, ist das natürlich ein Wettbewerbsfaktor. Dagegen steht aber auch, dass diese zehn Prozent die Wirtschaft nicht stören können, wenn die Löhne um ein Vielfaches gestiegen sind. Das Problem für Trump ist folglich, dass er für einen Übergangszeitraum durch protektionistische Maßnahmen Arbeitsplätze und Know-how ins Land zurückholen muss, bis die Handelsbilanz wieder ausgeglichen ist. Das muss er auf eine Weise tun, die den Durchschnittsamerikaner nicht in seinem Stolz verletzt. Deshalb bedient er sich der Rhetorik, dass Amerika betrogen werde, obwohl man es auch genau andersrum sehen kann, weil die USA ihre Importe zu großen Teilen nur mit Geld bezahlen, das einfach aus dem Nichts hergestellt wird.

Ohne den Betrugsvorwürfen Trumps beipflichten zu wollen, muss man trotzdem gerade Deutschland die größten Vorwürfe machen. Langsam mehren sich die Stimmen, dass die Agenda-2010-Politik der Regierung Schröder ganz wesentlichen Anteil an den Problemen der Weltwirtschaft hat – an den innereuropäischen sowieso. Der deutsche Außenhandelsüberschuss bedingt zwangsweise, dass andere Länder Defizite haben müssen. Deutsche Produkte müssen folglich solange teurer werden, bis die sinkende Nachfrage zu einer ausgeglichenen deutschen Handelsbilanz geführt hat. Zielführend sind zwei Maßnahmen: Die Löhne müssen steigen, im unteren Segment um etwa dreißig Prozent, und die Arbeitszeiten müssen gekürzt werden bei vollem Lohnausgleich, wegen der sinkenden Nachfrage. Damit würde auch das Rentenproblem gelöst, das im Wesentlichen wegen des Lohndumpings entstanden ist. Mehr darüber hier Deutschland kann und muss den Euro retten

Der angelsächsische Block druckt Geld nach Belieben

Quelle: Der Spiegel 5/17

Hinterfragen wir doch einmal ganz allgemein, wer Überschuss- und wer Defizitsünder ist. Damit man hier klar sehen kann, verwende ich die Zahlen der Weltbank, des IWF, und zwar umgerechnet auf den einzelnen Bürger. An der Grafik der Exporteure wird sichtbar, dass China so kaum eine Rolle spielt. Erstaunt darf man sein über die Schweiz. Betrachtet man nun die Defizitsünder fällt auf, dass es sich mit einer Ausnahme, nämlich Saudi-Arabien, nur um anglophone Länder handelt und dabei Großbritannien und Australien die USA sogar deutlich übertreffen. Wie ist das möglich? Alle diese Länder betreiben ein Zentralbankensystem, das es ihnen gestattet, Geld nach Belieben zu drucken. Dieses Privileg hat sich der angelsächsische Block 1944 in Bretton Woods gesichert. Das kann Griechenland im Euro zum Beispiel nicht. In diesem Sinn muss Trumps Betrugsvorwurf eben auch diese Seite entgegengehalten werden.

Man mag von Trump halten, was man will. In jedem Fall hat er mit seiner hemdsärmeligen Art, den Finger politisch inkorrekt in Wunden zu legen, das gesamte Establishment zum Nachdenken gezwungen. Er hat offensichtlich die Ursachen der großen Probleme richtig erkannt, beschreibt sie aber naturgemäß unter dem Filter der amerikanischen Notwendigkeiten. Wann hat man denn vor Trump irgendeinen „Wirtschaftsweisen“ gehört, der den übergroßen deutschen Handelsüberschuss kritisch betrachtet? Auch finden jetzt die Stimmen, die das deutsche Lohndumping kritisieren, es als das größte Problem für die Rentenpolitik brandmarken, endlich Gehör. Trump spaltet die Gesellschaft nicht. Genauso wie die als „rechtspopulistisch“ Diffamierten hat er lediglich die seit Jahren existierende Spaltung thematisiert und diese Problematik  unübersehbar gemacht. Es sind jetzt die „Etablierten“, die die Spaltung vertiefen, indem sie alles,  was ihre Macht und ihr Meinungsdiktat gefährden könnte, verdammen und mit populistischen Etiketten aus der hasserfüllten linken Ecke belegen.

Das gesamte System muss verändert werden

Ja, es war Deutschland unter Rot-Grün, das es zugelassen, sogar gefördert hat, dass mit Jugoslawien der Krieg innerhalb Europas zurückgelehrt ist. Es war dieselbe deutsche Regierung, die mit dem Sozialabbau der Agenda-2010 den Grundstein für die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Verwerfungen in Europa und letztlich der Welt gelegt hat. Und es sind dieselben Akteure, die jetzt Donald Trump pauschal verdammen, weil er die Akzente setzt, die den globalen Wahnsinn heilen könnten. Man spricht von „Industrie 4.0“ und steht dem ratlos gegenüber. Man ist bei den Etablierten nicht bereit, darüber nachzudenken, wohin die falschen Lehren der Vergangenheit geführt haben und dass diese grundrenoviert gehören.

Donald Trump gibt den Anstoß zu Diskussionen, wie das gesamte System verändert werden muss, damit nicht länger acht Einzelpersonen über mehr Kapital verfügen als die untere Hälfte der Menschheit. Es ist genau seine Respektlosigkeit, die notwendig ist, eben wirklich alle Paradigmen auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, wie zum Beispiel den untragbaren aber stillschweigend akzeptierten Zustand, dass die angelsächsischen Staaten ihr unglaubliches Handelsdefizit einfach fortführen. In diesem Sinn verweise ich hier nochmals auf „Die Humane Marktwirtschaft“ nach Haisenko/von Brunn. In diesem vollständig durchdachten Werk ist auch ein Weg enthalten, wie die zerstörerischen Handelsbilanzdifferenzen auf schonende und marktwirtschaftliche Weise sukzessive auf Null abgebaut werden können. Der Weg, den Donald Trump eingeschlagen hat, geht durchaus in eine ähnliche Richtung, aber es mangelt ihm an der Eleganz und Konsequenz, die „Die Humane Marktwirtschaft“ nach Haisenko/von Brunn vorschlägt.
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