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Schuldenschnitt? Ja bitte – wir sind alle Griechen!

Von Peter Haisenko 

Wie realitätsfern muss man sein, gegenüber Griechenland eine „harte Haltung“ zu fordern? Wie ignorant gegenüber der eigenen Situation? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jedes europäische Land einen Schuldenschnitt braucht. Griechenland ist uns da nur ein paar Jahre voraus. Wir sind alle Griechen.

Die Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt, das steht außer Frage. Dass sie das überhaupt konnten, haben wir zu verantworten. Wir, das heißt die Politik und die Bankenwelt des gesamten Westens. Sobald sich die Gelegenheit bot, haben die Europäer den Griechen verboten, ihre restriktiven Zollgesetze beizubehalten, die verhinderten, dass in Griechenland Importgüter konsumiert werden, die sich das Land eigentlich nicht leisten kann. „Großzügig“ wurden Kredite angeboten, mit denen beispielsweise unsere teuren Autos nach Griechenland verkauft werden konnten. Früher unterlag das strengen Auflagen.

Griechenlands Probleme sind auch die unseren

Die Globalisierung war für Griechenland eine Katastrophe. Die einst leistungsfähige griechische Textilindustrie ist chinesischen Wanderarbeitern und der „Geiz ist geil“-Mentalität zum Opfer gefallen. Die Werftindustrie, einst der Stolz der Hellenen, gibt es nicht mehr. Das Letzte, was Griechenland noch exportieren könnte, wollen wir nicht mehr haben: Das gute griechische Olivenöl, weil die profitgierigen Kaufleute die Deutschen lieber mit dem billigsten, schlechtesten und gesundheitsschädlichen Rapsöl vergiften. Griechenland hat ein akutes Problem, das die armen Griechen aber nicht aus eigener Kraft lösen können.

Die Griechen werden ihre Schulden niemals begleichen können, soviel steht fest. Im Insolvenzrecht steht geschrieben, dass ein Insolvenzverfahren einzuleiten ist, wenn abzusehen ist, dass ein Schuldner seine Schulden nicht in absehbarer, vernünftiger Zeit begleichen kann. Das trifft auf Griechenland zweifelsfrei zu. Allerdings ist an dieser Stelle die Frage zu stellen, auf welchen Staat das nicht zutrifft. Nehmen wir als Beispiel das „gesunde“ Deutschland.

Die „schwarze Null“ steht auf tönernen Beinen

Die Staatsschulden Deutschlands sind immer schneller angewachsen auf mittlerweile etwa 3.000 Milliarden Euro. Schäuble brüstet sich jetzt mir einer „schwarzen Null“, zu deren Entstehung er nichts, aber auch gar nichts beigetragen hat. Schulden tilgen kann er aber nicht. Und selbst wenn er könnte, dann sollte man eine kleine Rechnung aufmachen: Angenommen, und das ist eine absolut unrealistische Annahme, Deutschland würde ab diesem Jahr jedes Jahr Schulden tilgen in Höhe von 50 Milliarden Euro, dann würde es 60 Jahre dauern, bis alle Schulden getilgt sind. Realistisch betrachtet, wird Deutschland selbst in tausend Jahren nicht schuldenfrei sein, so lange nicht wirklich einschneidende Maßnahmen ergriffen werden, wie zum Beispiel ein radikaler Schuldenschnitt. Wir sind alle Griechen!

Schäubles schwarze Null steht auf tönernen Beinen. Nicht nur Griechenland ist abhängig von äußeren Kräften, Deutschland nicht weniger. Es sind unter anderen die US-Ratingagenturen, die mit einem Federstrich Schäubles schwarze Null in ein Defizit von 60 Milliarden verwandeln können, und Schäuble könnte nichts, aber auch gar nichts dagegen tun. Die Ratingagenturen müssen nur die Bonität Deutschlands herunterstufen und schon steigen die Zinsen auf unsere Schulden. Welches Damoklesschwert da über uns hängt, zeigen einfache Rechnungen: Schuldenstand Deutschland – 3.000 Milliarden Euro. Bei einem Schuldzinssatz von nur einem Prozent sind 30 Milliarden jährlich fällig, nur um die Zinsen zu bedienen. Da ist noch kein Euro getilgt. Unser Glück, unser vergängliches Glück ist, dass gerade für Deutschland die Zinsen zur Zeit extrem niedrig sind – im Gegensatz zu Griechenland.

Abhängig von der Willkür der Ratingagenturen

Griechische Staatsanleihen müssen mit hohen Zinsen bedient werden. Es waren schon mal bis zu 16 Prozent und auch heute gibt niemand Geld an Griechenland unter 5 Prozent. Übertragen wir das doch mal auf Deutschland: Ein Prozent auf 3.000 Milliarden ist 30 Milliarden Euro. 5 Prozent würde bedeuten, dass Deutschland allein an Zinsen 150 Milliarden Euro pro Jahr abdrücken müsste. An wen auch immer, denn diese Frage ist seit Jahrzehnten ungeklärt – aber das ist ein anderes Thema. Diese 150 Milliarden wären dann etwa 30 Prozent des deutschen Staatshaushalts. Hat darüber schon mal einer der Ignoranten nachgedacht, die jetzt eine harte Haltung gegenüber Griechenland fordern?

Mit ihrer Wahl haben die Griechen der Welt eine wichtige Botschaft gesendet: Wir machen diesen Wahnsinn nicht mehr mit! Den Wahnsinn, dass irgendwelche privaten (!) Finanzhaie Volkswirtschaften ausplündern mit Hilfe eines perfiden Systems. Erst wird ein Land in Schulden getrieben und dann lässt man es Frondienste leisten, deren Ausmaß man nahezu beliebig steuern kann mit der Höhe der Zinsen. Diese wiederum werden wiederum nahezu beliebig festgeschrieben von wiederum privaten US-Ratingagenturen, die keinerlei vernünftiger Kontrolle unterliegen. Eines muss dabei dem Letzten ins Stammbuch geschrieben werden: Es gibt kein westliches Land, das jemals seine Schulden begleichen kann. (Außer Bayern vielleicht?) Schulden, die nicht beglichen werden können, sind nicht nur unmoralisch, sie müssen, und ich wiederhole, sie müssen in einem Insolvenzverfahren geklärt werden.

Staatsanleihen sind hoch riskante Papiere

Betrachten wir dazu kurz die Gläubigerseite. Entsprechend der Einschätzung der Ratingagenturen sind (nicht nur) griechische Anleihen Hochrisikopapiere. Genau deswegen bringen sie auch Renditen in unanständiger Höhe. Das heißt, dass jeder, der mit diesen Papieren eine hohe Rendite einfahren will, diese Papiere kauft im vollen Bewusstsein, dass er einen Totalverlust erleiden kann. Jeder Privatinvestor weiß das, und wenn das Schlimmste eintritt, dann muss er das zähneknirschend hinnehmen. Warum sollte das mit Staatsanleihen anders sein? Kann es überhaupt Staatsanleihen geben, die dieses Risiko nicht beinhalten? Denn es steht vollkommen außer Frage, dass kein Staat jemals seine Schulden wird begleichen können. Früher oder später werden alle Staatsanleihen wertlos sein, nämlich dann, wenn zum Beispiel Deutschland seine Zinsen nicht mehr bezahlen kann, weil eine US-Ratingagentur Deutschland sein AAA-Rating in einem Akt der Willkür genommen und vielleicht auf BBB zurückgestuft hat. Dann ist Schluss mit den billigen Zinsen, auch für unser Land.

Was jetzt in Griechenland mit der neuen Regierung geschehen könnte, sollte wegweisend für ganz Europa sein und eigentlich für die ganze Welt. In den letzten hundert Jahren hat es eine ganze Menge an „Staatspleiten“ gegeben und die Welt ist nicht untergegangen. Man bedenke, wenn von heute auf morgen alle, restlos alle Schulden und Guthaben annulliert würden, dann würde von dieser schönen Erde nichts verschwinden – außer eben diese völlig irrsinnigen Geldmengen und, ich denke hier liegt das Problem, mit dem Geld die Macht, die dieses Geld ausübt. Es würde aber etwas ganz anderes, Positives geschehen: Alles, alle Waren würden über Nacht um etwa 30 Prozent billiger werden. Wie bitte? Es ist ganz einfach: Die allgemeine Zinslast – der Staaten und im privaten Bereich – macht alles teurer und zwar um den Zinsanteil für Kredite, die aufgenommen worden sind und sich akkumulieren, um Investitionen tätigen zu können. Diese Zinsen fließen in die Taschen derjenigen, die – auf welchem (unanständigen) Weg auch immer – Unmengen von Geld angehäuft haben und sich so ein Luxusleben auf Kosten der fleißigen Menschen ergaunern.

Globales Insolvenzverfahren ist überfällig

Man muss also nicht nur darüber diskutieren, ob man Griechenland einen neuerlichen Schuldenschnitt „genehmigen“ will, sondern darüber, wann, nicht ob, wann genau so ein Schuldenschnitt für alle Länder anzuwenden ist. Und mit Schuldenschnitt meine ich nicht 50 Prozent, ich fordere 100 Prozent. Alles, was unter 100 Prozent liegt, schreibt nur den jetzigen Zustand weiter fest, auf einem etwas niedrigeren Niveau und es ist dann nur eine Frage der Zeit, wann wir wieder an derselben Stelle sein werden, wie Griechenland heute ist.

Griechenland hat uns einst die Demokratie geschenkt. Vielleicht, und ich hoffe dass das so ist, kann uns jetzt Griechenland die Augen öffnen und die Erkenntnis schenken, in was für einem System des Wahnsinns wir (freiwillig?) leben. Kein Land ist davor gefeit, das nächste Opfer der willkürlichen Zinspolitik zu werden. So muss ich unseren Hardlinern gegenüber Griechenland Ignoranz, Arroganz und vor allem vollkommene Fantasielosigkeit vorwerfen. Oder aber schlimmer: Wessen Geschäft betreiben diese Transatlantiker, diese Knechte der Finanzindustrie? Betreiben es wider besseres Wissen, denn ich will nicht annehmen, dass unsere Vorbeter so beschränkt sind, dass sie nicht auch ganz genau wüssten, was ich dargelegt habe.

Unseren Wohlstand verdanken wir nicht den Banken

Jeder hat in Deutschland, und nicht nur hier, das Recht, ein Erbe auszuschlagen. Wenn ein Kind in Deutschland – beispielsweise – geboren wird, dann „erbt“ es mit der Geburt Schulden in Höhe von etwa 30.000 Euro. Bis dieses Kind 30 Jahre alt ist, werden seine ererbten Schulden auf das Doppelte angewachsen sein. Wie lange wird es noch dauern, bis diese Schulden-Erbe-Generation ihr Erbe ausschlägt? Bis sie, nach griechischem Vorbild, die Rückzahlung der Schulden ihrer Vorfahren einfach verweigert? Wer wollte behaupten, dass die unfreiwilligen Schulden-Erben dazu kein Recht haben? Die Zeit ist überfällig, ernsthaft darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre, ein weltweites Insolvenzverfahren durchzuführen, ehe sich der Unmut über diesen Finanzwahnsinn in blutigen Aufständen entlädt? Dass das passieren wird, wenn wir einfach so weiter machen, steht außer Frage. Da müssen wir nicht nur nach Griechenland sehen.

Wenn die Banken zusammenbrechen, wird die Welt nicht untergehen. Aber die Macht, die die Bankenwelt ausübt, die wird untergehen. Wäre das so schlimm? Sicher nicht! Wie verblödet oder nachhaltig indoktriniert muss man sein anzunehmen, dass unser Wohlstand von irgendwelchen Banken abhängt? Unser Wohlstand hat eine einzige Grundlage: Die Arbeit, die wir leisten und die immer effektiver wird, weil es Ingenieure gibt, denen es gelungen ist, immer mehr Arbeit von Energie leisten zu lassen. Sie sind es, die unseren Wohlstand geschaffen haben, und nicht ein einziger Bankster. Warum also wollen uns die Geldknechte immer noch weiß machen, dass sie es sind, deren Untergang unbedingt zu vermeiden sei?

Griechenland wird ohne radikalen Schuldenschnitt – Schuldenerlass – nie auf die Beine kommen. Wir aber letztlich auch nicht. Ich weiß nicht, ob wir alle „Charly-Hebdo“ sind, wie so schön skandiert worden ist. Aber ich weiß: Wir alle sind Griechen, was unsere Schuldensituation anbelangt. Deswegen sollten, müssen wir jetzt Solidarität mit Griechenland üben und der Bankenwelt die rote Karte zeigen. Die Kunst wird sein, die Schulden abzuwickeln, ohne blutige Aufstände und in einer Weise, die es den Geldgewaltigen nicht erlaubt, unseren mühsam erarbeiteten Wohlstand im Finanzchaos zu vernichten. Lasst uns die Wahl in Griechenland zum Anlass nehmen, das ungerechte Finanzsystem genau zu analysieren und konstruktive Lösungswege zu diskutieren.

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