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Ukrainer, Polen, Balten und die selektive Amnesie

Von Peter Haisenko 

Wer die Geschichte kennt, kann sich nur verwundert die Augen reiben, wenn heutzutage polnische Politiker von ihrer Freundschaft mit der Ukraine sprechen. War doch spätestens nach dem Ersten Weltkrieg das Verhältnis gerade dieser beiden Ethnien von tiefem gegenseitigen Hass geprägt. 1945 – die Gelegenheit war günstig – haben (West !)-Ukrainer etwa 50.000 Polen ermordet. Sie hatten nur ein Motiv: Rache! Und heute sucht Polen Schutz ausgerechnet von denen, die sie 1945 an Stalin verschachert haben.

Mit dem Versailler Diktat wurde ein Staat Polen geschaffen, der viele nicht-polnische Ethnien innerhalb dessen Grenzen zusammenfasste – eben auch Ukrainer. Der Staat Polen wurde in diesen Verträgen verpflichtet, die Rechte seiner Minderheiten zu schützen. Daran hat sich die Regierung in Warschau jedoch nicht einmal ansatzweise gehalten. Es wurden nicht nur fast alle ukrainischen Universitäten geschlossen, vielmehr handelte die polnische Regierung in dem erklärten Ziel, Polen von allen nicht-polnischen Ethnien zu säubern. Das war auch im Britischen Parlament bekannt, wie ein Dokument belegt, das ich hier aus meinem Buch „England, die Deutschen, die Juden und das 20, Jahrhundert“ zitiere. Lord Noel-Buxton hat am 15. Juni 1932 folgenden Bericht dem Oberhaus in London vorgelegt:

Die britische Regierung wusste Bescheid

In den letzten Tagen sind auf den Tagungen des Rats des Völkerbundes wichtige Fragen, die die nationalen Minderheiten betreffen, behandelt worden. Vor allem wurde auf der Januartagung ein Bericht verhandelt, der sich mit der sogenannten Terrorisierung beschäftigte, die im Herbst 1930 in der Ukraine stattgefunden hat. ... Assimilierung durch Zerstörung der Kultur ist an der Tagesordnung. ... Aus dem Korridor und aus Posen sind bereits nicht weniger als eine Million Deutsche seit der Annexion abgewandert, weil sie die Bedingungen dort unerträglich finden. ... Im polnischen Teil Ostgaliziens wurden vom Ende des Krieges bis 1929 die Volksschulen um zwei Drittel vermindert. In den Universitäten, in denen die Ukrainer unter österreichischer Herrschaft elf Lehrstühle innehatten, besitzen sie jetzt keinen, obwohl ihnen 1922 von der polnischen Regierung eine eigene Universität versprochen worden war. In dem Teil der polnischen Ukraine, der früher zu Russland gehörte, in Wohlhynien, sind die Bedingungen noch härter: Hier gibt es ein umfangreiches System der Kolonisierung durch frühere Soldaten, und diese Leute verfolgen ihre Nachbarn in einer äußerst bedauernswerten Weise. ...

In der ganzen Ukraine gibt es überdies das System der polizeilichen Verfolgung. ... Wir können in diesem Zusammenhang eine besonders beklagenswerte Tatsache nicht beiseite lassen, nämlich die Folterung von Gefangenen in Gefängnissen und von Verdächtigen, die sich die Ungnade der polnischen Behörden zugezogen haben. Überzeugende Beweise dafür, dass in solchen Fällen mittelalterliche Foltern angewandt werden, liegen zu meinem Bedauern vor. Diese Darstellungen wurden im Völkerbund durch Lord Cecil als Delegiertem der britischen Regierung als das Gewissen der Menschheit erschütternd bezeichnet. Sie sind vom Rat nicht untersucht worden, wie das hätte erfolgen müssen. ... Ich möchte eure Lordschaften an ihre Not erinnern durch Verlesung der Worte eines ausgezeichneten Rechtsgelehrten, ... Sir Walter Napier, der folgendes schrieb: „Die Führer des Dorfes wurden umringt, in eine Scheune getrieben, entkleidet, niedergeschlagen und mit dicken Stöcken, die zum Dreschen gebraucht werden, geschlagen. Ärzten war es verboten, von den Städten in die Dörfer zu gehen. Und die Bauern, die den Versuch machten, sich zur Behandlung in die Städte zu begeben, wurden durch die Polizei zur Umkehr gezwungen.“ ... Wir dürfen nicht vergessen, dass Polen ganz besonders Ursache hat, diese Verträge zu beachten, denn die ihm zugestandenen Annexionen wurden ihm unter der Bedingung zugestanden, dass es diesen Gebieten Autonomie gewährt. Diese Bestimmung wurde von der Botschafterkonferenz 1923, in der unser Land führendes Mitglied war, aufgestellt. ...”

Paradoxe Unterwürfigkeit Polens

Wen kann es da noch verwundern, dass die West(!)-Ukrainer Rache an Polen genommen haben, sobald sich die Gelegenheit dafür bot? Wenn also heute polnische Politiker von ihrer Freundschaft mit Ukrainern sprechen, dann können diese nur Opfer einer selektiven Amnesie geworden sein. Dasselbe gilt natürlich auch für westliche Politiker, denen die geschichtliche Wahrheit bekannt sein sollte. Weniger beachtet, weil es in geringerem Ausmaß stattgefunden hat, ist die Tatsache, dass auch Litauern dasselbe Schicksal unter polnischer Herrschaft zuteil wurde. Auf das Schicksal deutscher Minderheiten im damaligen Polen will ich an der Stelle nicht weiter eingehen. Das ist ein Kapitel für sich.

Quelle: Dieter Rüggeberg, Geheimpolitik

Betrachten wir nun das Verhältnis Polens zu den USA nach 1990. Wie ist diese geradezu hündische Gefolgschaft der polnischen Regierung zu den USA zu erklären? Mir erscheint diese Unterwürfigkeit geradezu paradox angesichts der Tatsache, dass Polen von den Alliierten des Zweiten Weltkriegs brutal verraten worden ist. Hierzu einige historische Fakten: In London residierte nach 1939 die polnische Exilregierung – und diese war unzweifelhaft antikommunistisch. Dennoch haben Churchill und Roosevelt auf der Konferenz in Jalta im Februar 1945 Polen in den Machtbereich Stalins gegeben, also dem kommunistischen Terror überantwortet. Beschönigend wird kolportiert, das sei eine strategische Notwendigkeit gewesen. Das ist eine Lüge, denn es entsprach weitestgehend einem alten Plan des British Empire. Bereits im Jahr 1890 ist eine Karte in England veröffentlicht worden, die die Ziele der Briten für eine Aufteilung Europas beschreibt (siehe Karte 1 rechts). Die Beschlüsse von Jalta entsprechen ziemlich genau diesem Plan.

Gigantische Materiallieferungen an Stalin

Im Mai 1945 war Nazi-Deutschland besiegt, und zwar nicht von Großbritannien oder den USA, sondern von der Sowjetunion. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Stalin hätte diesen Sieg nicht erringen können, ohne die massivste Unterstützung von England und den USA. Beginnend 1940 haben beide Länder Kriegsmaterial in beispiellosem Umfang an Stalin geliefert. Ohne diese Lieferungen hätte Stalin den Krieg nicht gewinnen können. Hier eine unvollständige Aufstellung der Material- und Waffenlieferungen, wiederum entnommen meinem o.g. Buch:

427.284 Armeelastwagen, 50.501 Jeeps, 595 Schiffe, 13.303 Zugmaschinen und Schützenpanzer, 35.041 Kräder, 8.089 Gleisverlegemaschinen, 1.981 Lokomotiven, 11.155 Eisenbahnwagons, 113.000 Tonnen Sprengstoff, 3.820.906 Tonnen Lebensmittel (haltbar), 2.317.694 Tonnen Stahl, 15.010.900 Paar Lederstiefel, 9.681 Jagdflugzeuge, 3.632 Bomber ….

Obwohl gerade England während dieser Zeit selbst unter katastrophalem Mangel litt, ist Stalin derart massiv unterstützt worden. Darf hier eine Parallele zur Gegenwart gesehen werden? Die USA wollen Waffen an die Ukraine liefern – einen Blutzoll von nicht-amerikanischem Leben für ihre geopolitischen Ziele in Kauf nehmend. Doch zurück zur Situation von 1945. Mit dem 8. Mai 1945 haben die Alliierten ihre Lieferungen an Stalin gänzlich eingestellt. Die USA verfügten als einzige über die ultimative Waffe, die Atombombe, und auch mit konventionellen Waffen war die Überlegenheit der USA gegenüber der Sowjetunion erdrückend. Tausende Bomber, die bereits deutsche Städte in Schutt und Asche gelegt hatten, standen immer noch in Europa. Dem hatte die ausgeblutete und jetzt nicht mehr unterstützte Sowjetunion nichts entgegenzusetzen. Die Macht der USA in Europa war absolut. (Anmerkung: Das dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass Stalin der Siegesparade auf dem Roten Platz ferngeblieben ist. Er wusste, dass er gegenüber den USA verloren hatte.)

Die USA haben Osteuropa an Stalin verschachert

Quelle: Wikipedia

Man betrachte dazu die damals (Januar 1945) geheime Karte (siehe rechts). Sie zeigt die Einschätzung der USA zur militärischen Lage und den daraus folgenden Möglichkeiten der USA, inklusive der weit östlich verlaufenden Grenze zur Sowjetunion. Die USA waren sich folglich schon vor (!) der Konferenz in Jalta ihrer Macht und damit der Gestaltungshoheit über die Sowjetunion bewusst, und dennoch haben sie Osteuropa an Stalin verschachert. Interessant an dieser Karte ist auch, dass – abgesehen von einer vollkommen an der Realität vorbeigehenden Planung für Litauen – die baltischen Staaten überhaupt nicht existieren, die heute vor Russland “beschützt” werden sollen.

Warum also haben die Alliierten Stalin nicht daran gehindert, die Macht über die osteuropäischen Länder zu übernehmen? Sie, die angeblich für Frieden, Demokratie und Freiheit kämpfen, haben ohne Not oder militärische Notwendigkeit Polen, Tschechen und vor allem die baltischen Staaten dem stalinistischen Terror ausgeliefert, inklusive der Ukraine, die es allerdings zu dieser Zeit als eigenständigen Staat noch nicht gegeben hat? Dann die Geschichte mit den DP´s (Displaced Persons, also Menschen, die während des Krieges ohne Schuld in Deutschland gestrandet waren und sich unter Aufsicht der USA befanden).

Noch 1945 haben die USA (kriegsgefangene oder zur Zwangsarbeit verschleppte) Russen, Kosaken (durch “James Bond” bekannt – die Linzer Kosaken), die Männer der Wlassow-Armee und Ukrainer an Stalin ausgeliefert in dem Wissen, dass sie dort nur ein grausamer Tod erwartet. Ich erinnere hier an den Massenselbstmord russischer DP´s in Wildflecken. (Siehe Schilderung eines Augenzeugen in dem Buch “Der Weg vom Don zur Isar” von Vadim Grom.) Einzig in Deutschland gestrandete Polen durften selbst über ihre Zukunft bestimmen und sie sind selbstverständlich nicht in das jetzt kommunistische Polen zurückgekehrt. Ich stelle fest: Die USA haben 1945 nicht nur nicht verhindert, dass alle Länder östlich der Elbe unter kommunistische Herrschaft kamen, sie haben vielmehr aktiv dafür gesorgt, dass erklärte Feinde des Kommunismus aus diesen Ländern von Stalins Schergen gefangen genommen und ermordet wurden. Ist es zu verwegen anzunehmen, dass die USA dem britischen Plan aus dem 19. Jahrhundert zur Realität verholfen haben? Ein Plan, der durchaus den geopolitischen Zielen der US-Kapitalisten förderlich war? (Kalter Krieg und Förderung des militärisch-industriellen Komplexes.)

Propagandistisches Meisterwerk

Alle Länder östlich der Elbe sind 1945 von den USA und den Alliierten verraten und an den Kommunismus ausgeliefert worden. Es war wohl vor allem der deutschen Ostpolitik geschuldet, die 1990 dazu geführt hat, dass diese Länder ihre Eigenständigkeit zurück erhielten. Ich kann nicht verstehen, wie diese Länder heute darauf bauen, genau von diesen USA geschützt zu werden. Nur eine selektive Amnesie könnte das erklären. Russland ist nicht mehr kommunistisch, seit 25 Jahren. Russland hat während dieser Zeit keine Anstrengungen unternommen, seinen Herrschaftsbereich auszuweiten. Russland sucht den Schulterschluss mit Europa – und wird wieder und wieder abgewiesen. Russland wird als Bedrohung für die Sicherheit der osteuropäischen Staaten dargestellt. Wie kann man in diesen Staaten heute davon ausgehen, dass sie von den USA “beschützt” werden vor Russland, angesichts der Tatsache, dass sie 1945 von genau diesen USA an die Sowjetunion verschachert worden sind?

Ost- und Westukrainer haben sich schon 1944 blutig bekämpft, als Partisanen. Mein Vater – seine Mutter aus Moldawien, sein Vater aus Weißrussland, aufgewachsen in Bessarabien/Ukraine/Sowjetunion – ist nur knapp einer Erschießung durch Westukrainer entgangen, weil er mit einem polnischen Freund polnisch gesprochen hat. Dieser polnische Freund hat nebenbei bemerkt einige Westukrainer gerettet vor der Erschießung durch polnische Horden, weil mein Vater ihm einst das Leben gerettet hat. (Siehe “Der Weg vom Don zur Isar”) Der Hass zwischen Polen und West- und Ostukrainern schien 1944 unüberwindbar. Genauso zwischen Litauern und Polen. Heute prügeln sich dieselben Parteien im Kiewer Parlament und behaupten, Freunde zu sein.

Ich bin Europäer. Meine Wurzeln führen zurück auf deutsche, österreichisch/böhmische, französische, weißrussische und moldawische Vorfahren. Als Europäer habe ich gelernt, dass die USA noch niemals ein Interesse daran hatten, den Weg zu einem friedlich vereinten Europa zu unterstützen. Im Gegenteil versuchen sie seit mehr als 100 Jahren die deutsch-russische Zusammenarbeit und Freundschaft zu hintertreiben. (Dazu dieses Video ansehen als Beweis; 14 Minuten). Es ist ein propagandistisches Meisterwerk, jetzt die osteuropäischen Staaten glauben zu machen, sie bräuchten den “Schutz” vor Russland ausgerechnet von demjenigen, der sie schändlich verraten hat, fortlaufend und nachweisbar lügt. Deswegen ist es so wichtig, europäische Geschichte wirklich zu kennen. Die selektive Amnesie und daraus folgende Amerikahörigkeit der Osteuropäer ist für die Zukunft Europas keine gute Basis.

In meinem Buch “England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert” habe ich mich vor allem dem Thema gewidmet, der einseitigen Darstellung der Geschichtsschreibung in Deutschland eine unvoreingenommene Sicht gleichsam von außen gegenüber zu stellen. Mittlerweile haben mich eine Fülle von Rückmeldungen erreicht, die mir bestätigen, dass ich hiermit ein unterschwellig bewusstes Vakuum füllen kann. Beispielhaft sei die Mail eines Lesers angeführt. Herr Christian B. aus München schreibt:

Sehr geehrter Herr Haisenko,

ich habe gerade Ihr Buch "England, die Deutschen...." gelesen und bin sehr angetan davon. Sie haben Wertevorstellungen und eine Denkweise, die Welt zu analysieren, die der meinen sehr entspricht. Natürlich sind sie hier mit mehr Gaben als ich versehen. Jedenfalls haben Sie meinen Horizont über dieses Thema sehr erweitert und dafür bin ich Ihnen dankbar. Wenn mehr Menschen die Welt so sehen könnten, wäre sie wahrscheinlich besser, menschlicher. Aber das kann ja noch werden.

Ihnen alles Gute und herzliche Grüße

Christian B.


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