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Einohr und die Golddukaten

Von Hans-Jörg Müllenmeister

Wenn man mit Menschen und Gold zu tun hat, begegnen einem oft rührende Geschichten, die das Leben so schreibt. So wie diese:

Hochbetagt starb Erbtante Luise. Sie hinterließ jedem der fünf Nichten und dem einzigen Neffen ein Sparbuch mit 1000 Euro. Aber da steckte noch ein baufälliges Bauernhaus samt uraltem Hausrat in der Erbmasse und: ihr geliebter Dackel Hinkefuß. Den, so bat Tante Luise posthum, sollte ihre jüngste Nichte Uschi weiter versorgen und nach seinem Ableben genau an seinem angestammten Lieblingsplatz unter den Kirschbaum begraben. Uschi war geistig etwas zurückgeblieben, aber dem Tierchen sehr zugetan. Das zeigte sich schon damals als Tante Luise gleichzeitig zwei Dackelfindlinge eines selten hässlichen Wurfs in ihre Obhut nahm. Uschi kümmerte sich immer rührend um die struppigen Kreaturen, wie gesagt, es waren Dackel Hinkefuß und Dackel Einohr. Der notorische Ausreißer Einohr war eines schönen Tages – zum Leidwesen Tante Luises – auf und für immer davon, und war seitdem verschwunden.

Ach ja, in Tante Luises Testament stand noch jene bohrend einfache Empfehlung „Schaut mal nach, irgendwo im Haus hat euer Onkel Franz seine irdene Tabaksdose voller Golddukaten eingemauert. Wo, das weiß ich nicht mehr. Aber auch in der schlechten Zeit hatten wir nie dieses Golderbe unserer Eltern angerührt“.

In den nächsten Monaten verging kaum ein Tag, wo nicht der eine oder andere einen triftigen Grund fand, alle stickigen Zimmer gründlich zu lüften, besser zu inspizieren. Wie Säure frass sich die goldene Aussicht in die Köpfen der Erben. Man wollte ja nur die alten Möbel dem Sperrmüll übergeben, um Luft zu schaffen. Alleine, oder als Zweckgemeinschaft vereint, klopfte man wissbegierig die Wände ab nach dem vermeintlichen Goldschatz. Neffe Rolf der Schlaue, erschien bei Nacht und Nebel mit einem Metalldetektor bewaffnet. Was er an Metallischem zu seiner Enttäuschung fand, waren ein paar rostige Nägel, die noch im Lehmgemäuer steckten. Die geldgierige Nichte Monika hetzte sogar einen Rutengänger auf den Goldschatz. Statt dessen fand er ein uraltes Bleirohr, das bis in den Keller zu einem eingetrockneten Brunnen führte.

Nach einigen Monaten glichen die Kammerwände des verfallenen Hauses eher einem Schweizer Käse. Nein, ohne den Schatz gehoben zu haben, wollte man die Bruchbude noch nicht zum Verkauf freigeben. Den Erlös wollte man durch fünf teilen – natürlich stand bei dieser Teilung der Anteil der geistig beschränkten Schwester Uschi nicht zur Diskussion. Das Dummchen war so unbekümmert und eh immer mit allem zufrieden. Geld hätte nur gestört. Überhaupt konnte es die gierigen Suchaktionen der Geschwister nach dem Golde nicht verstehen. Man konnte ja mit der glänzenden Pracht, wie man ihr versicherte, nicht einmal spielen.

Während allmählich Unmut und gegenseitiges Misstrauen bei den Geschwistern hochkroch, schenkte Uschi dem Hundchen von Tante Luise weiterhin ihre liebenswürdigen Zuwendungen. Beide spielten oft und gern unter dem geliebten Kirschbaum. Aber Dackel Hinkefuß war in die Jahre gekommen. Und eines Morgens fand Uschi ihr Dackelchen für immer friedlich eingeschlafen unter dem Kirschbaum, genau an jener magischen Stelle, die Tante Luise im Testament bestimmt hatte. Inständig betete sie, Hinkefüßchen solle doch wieder aufwachen. Schweren Herzens holte Uschi eine Schaufel und begrub ihren Hundefreund an diesem magischen Ort der ihr so viel bedeutet hatte. In zwei Schaufeltiefe stieß sie plötzlich auf die gesuchte mysteriöse Tabaksdose, angefüllt mit lauter Golddukaten. Sie barg den Goldschatz, um auch Platz zu schaffen für ihr geliebtes Hinkefüßchen. Behutsam hob sie das Hundchen in sein frisches Erdenbett und schaufelte es wieder zu. Bitterlich weinend und tränenüberströmt verbrachte sie noch Stunden am Grabe...

Ein lautes Streitgespräch der Geschwister zerriss die Trauerstimmung. Schreiend rannten sie wild gestikulierend auf Uschi zu, denn sie hatte inzwischen die gehobenen Golddukaten schmückend um das Grab ausgelegt. Alle Geschwister grabschten danach. „Gern gebe ich Euch alle Glitzerstücke. Nehmt sie nur, aber seid wieder nett zueinander, bitte streitet nicht mehr“, sagte Uschi flehend. Verstört schaute Uschi dem gierigen Treiben zu. Goldbeschwert entfernten sich die Geschwister, ohne sich um die Trauernde zu kümmern, die am Grab sitzend, bald in einen tiefen Schlaf fiel. Als sie erwachte, war so etwas wie ein Wunder geschehen: Neben ihr winselte vernehmlich Dackel Einohr, der notorische Ausreißer. Unglaublich, aber Einohr war wieder heimgekehrt! Glückselig schloss sie den Ausreißer herzend in ihre Arme. Noch lange rätselten die Dorfbewohner über die unverhoffte Heimkehr des Tieres. Wie konnte Einohr nach so langer Zeit zurück finden – und das gerade zu Uschis schwersten Stunde. Einohr bedeutete ihr mehr als Tausend Golddukaten.

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