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Kuriose Sprachlogik aufs Korn genommen

Eine Glosse von Hans-Jörg Müllenmeister 

Wenn Worte Waffen entwaffnen

Krieg liegt bleischwer in der Luft, die Waffen brüllen – gerade jetzt. Redet endlich vernünftig miteinander: klar, deutlich, respektvoll. Lasst die Waffen schweigen. Denn nur durch offene und ehrliche Kommunikation lassen sich Missverständnisse vermeiden und ein gedeihliches Miteinander gestalten.

Doch während die Welt um Verständigung ringt, stolpern Wortjongleure über die kuriosen Eigenheiten der deutschen Sprache. Mit einem Augenzwinkern nehmen wir einige dieser sprachlichen Sonderlinge unter die Lupe. 

Wortungeheuer und Artikelakrobatik

Die deutschen Komposita – jene aufgeblähten Wortgewölle – feiern vor allem in der steifen Kanzleisprache ihre Premiere. Paradebeispiel:
die Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung – ein 67-buchstabiges Wortmonster, das selbst Silbenakrobaten ins Schwitzen bringt.

Und dann wären da noch die Artikelkapriolen: der Joghurtdie Kecksdas Bonbon – oder gar der, die, das Dschungel. Besonders raffiniert ist das Wort Bandder Band (männlich, Buchreihe), die Band (weiblich, Musikgruppe), das Band (sächlich, Bindemittel). Ein semantisches Chamäleon par excellence. 

Affixe mit Schlagkraft

Affixe – jene Wortanhängsel – verleihen Begriffen ihren Wesenskern. Präfixe stehen vorn, Suffixe hinten, doch beide prägen den Charakter eines Wortes. Besonders das Suffix -schlag hat es in sich: HitzschlagStromschlagTotschlag – allesamt plötzliche Ereignisse. Doch beim Taubenschlag sucht man vergeblich nach Vehemenz.

Auch -fall ist ein spannender Kandidat: RegenfallDurchfall, ModellfallZufall. In einer Fallstudie zeigt sich: Fallobst fällt aus Fallhöhe auch ohne Fallwind durch eine Fallstrecke und landet als Abfall auf dem Kompost. 

Der -stand hingegen wirkt bilanzierend: WissensstandNotstandEhestand. Manchmal vergällt ein Blütenstand den Geldbestand. Doch mit Anstand wird aus dem Tatbestand ein Eintrag im Zeugenstand. Der Ganove hingegen steht mit einem Standbein auf wackligem Grund – dem des Lügens. 

Voll, los und gut – semantische Gegenspieler

Die -voll und -los-Paare sind semantische Gegenspieler: tatenvoll vs. tatenlosgnadenvoll vs. gnadenlos. Doch qualvoll kennt kein „quallos“. Ein kummerloses Gesicht steht dem kummervollen gegenüber. Und ein wolkenloser Himmel kann sich jederzeit bewölken – über baumloser Steppe oder baumvollem Urwald.

Die -gut-Wörter sind Kollektiva mit Understatement: Leergut bleibt leer, Erbgut bringt nicht immer Genialität hervor, Kulturgut ist nicht immer kultiviert. Doch das -stück adelt: MeisterstückErbstückGlanzstück – bis es zu Bruchstücken zerfällt. Selbst das Frühstück ist ein Stückgut des Tages. Ein spätes Frühstück? Logisch: Spätstück oder gar Spätgut.

Bisheriges Fazit: 
Wer volltrunken bei Vollmond mit Schlagseite auf Streugut einen Unfall baut, vollbringt kein Husarenstück, sondern verliert seinen Vollkaskorabatt

Samtweiche Suffixe und haftige Härte

Die -sam-Wörter wirken sanft: behutsamduldsamfolgsam. Doch grausam ist kein Balsam. Die -haft-Wörter hingegen sind oft drastisch: hünenhaftroboterhaftmumienhaft. Doch auch herzhaft und naschhaft dürfen nicht fehlen – besonders bei nahrhafter Kost. 

Bedeutungswandel und semantische Täuschung

Früher war höchstens das Getreide reif – oder geil. Heute ist alles geil, sogar hammergeil. Einst sprach man da von süperb oder der Wucht in Tüten.

Auch Metze wandelte sich: einst ein Hohlmaß, dann Kosename für Mathilde, später abwertend für eine Liebesdienerin. Selbst Goethe lässt Mephisto von einer „alten Metze“ sprechen.

Die Diäten (lat. diaeta) täuschen: Statt magerer Bezüge kassiert der Abgeordnete satte 11.227,20 Euro. Und der Minister (lat. ministrare = dienen) dient oft sich selbst. Klar – ein Zitronenfalter faltet ja auch keine Zitronen. 

Die Ling-Dynastie

Wortfindlinge wie MieslingNaivling oder Brätling sprießen wie Pilze. 
Doch auch SäuglingSprösslingJüngling gehören zur Familie. Der Greisling wäre ein seniler Sonderling, der Däumling ein Winzling, der Mutling ein Held wider die Feiglinge. Und der Nettling? Ein Kontrast zum Fiesling.

Im Frühling blüht das Ling-Schlaraffenland, nicht nur im Chinesischen Garten: 
NestlingEngerlingFrischlingSetzlingKohlweißling. Nur der Winterling blüht nicht im Mai – gottlob, sonst hieße er Frühlingling! 

Redundanzen und Sprachblähungen

Managerdeutsch ist gespickt mit leistungsspezifischen Eckdaten. Der Euro sackt „diametral entgegengesetzt“ – ein Pleonasmus par excellence. Optimalst ist ebenso unsinnig wie Intensivität. Vor allem Politiker reden viel und sagen dabei: nichts. Neulich fragte ein Abgeordneter seinen Kollegen: Was sagten Sie doch neulich in ihrer großartigen Rede über die Einwanderungsdurchsetzungsproblematik?“ 
„Ich? Nichts.“ „Das ist mir schon klar. Ich wollte nur wissen, wie Sie es formuliert hatten…“   

Psychologischer Sprachwitz

Die Plaudertasche ist ein sprachliches Juwel: ein Behältnis, das Geheimnisse preisgibt. Sie ist redselig, verplappert sich, plaudert aus dem Nähkästchen. Ein Plauder-Korb? Gibt’s nicht. Aber ein Maulkorb schon. Die Ratschkattl — ein bayerisches Original – ist die Schwester im Geiste. 

Bratkartoffelverhältnis – Liebe durch den Magen

Das Bratkartoffelverhältnis zergeht auf der Zunge – mit Mutterwitz und Magenwärme. Es beschreibt ein vorübergehendes Liebesverhältnis mit guter Verpflegung und heimeliger Atmosphäre. Keine „wilde Ehe“, sondern ein genussvolles tête-à-tête. Die deutsche Sprache vermag es, Gaumenfreude und Gefühl in einem Wort zu vereinen. Dieses fast vergessene Sprachjuwel verdient eine Renaissance – denn ein Bratkartoffelverhältnis unterhält, nährt und verbindet. 

Sprachwitz als Lebenskunst

Die deutsche Sprache ist ein Schatzkästchen voller Überraschungen – mal sperrig, mal verspielt, mal tiefgründig, mal albern. Wer sich mit ihr einlässt, entdeckt nicht nur Bedeutungen, sondern auch Befindlichkeiten. Zwischen Bratkartoffelverhältnis und Plaudertasche, zwischen Schlagwetter und Pfiffikus, offenbart sich ein Kosmos, der weit über Grammatik und Semantik hinausgeht. Sprache ist nicht nur Werkzeug – sie ist Weltgefühl. Und wer mit einem Lächeln auf den Lippen durch diesen Wortgarten spaziert, der weiß: Ein gutes Wort ist manchmal mehr wert als ein guter Rat.

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