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Der bestirnte Himmel über mir – und der Teufel in mir
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Der Aufklärer Immanuel Kant möge es mir nachsehen, wenn ich seinem ehrwürdigen Leitgedanken nicht das „moralische Gesetz in mir“ entgegensetze – sondern den „Teufel in mir“. In den großen religiösen Traditionen ist der Satan der Fürst der Finsternis, der Architekt der Lüge, das metaphysische Gegenbild zur göttlichen Ordnung.
Doch könnte dieser Höllenfürst nicht auch ein dialektischer Sparringspartner im Ringen um das Gute sein? Ein theologischer Antikörper, der das menschliche Böse nach außen verlagert – um es somit überhaupt erst zu begreifen, zu verhandeln?
Im Islam etwa, sind es die Schayāṭīn, dämonische Wesen, die die Boshaftigkeit unter sich aufteilen. Doch wenn Gott als einzig schöpferisches Prinzip gedacht wird, wie kann dann neben ihm ein Teufel existieren – es sei denn, er wäre göttlich erschaffen? Ein Widerspruch, der die Allmacht des Schöpfers in metaphysische Untiefen stürzt.
Statt religiöse Mythen aufzubereiten, greifen wir tiefer: Wie wandelte sich das teuflisch Böse über die Zeitalter hinweg? Welche Masken trägt es heute – und wie verkleidet erscheinen die Sünden von einst in unserer Gegenwart?
Von Wollust zu Weltzorn – das Gewand der neuen Sünden
Die Idee der Todsünden, geboren im klösterlichen Kosmos des fünften Jahrhunderts, entstand aus dem Wechselspiel von Enthaltsamkeit und Versuchung. Im Labyrinth aus Kontemplation und asketischer Arbeit, aber auch aus menschlichem Miteinander, wurden jene Triebe und Schwächen destilliert: Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Trägheit. Ein Katalog der Abgründe, geformt zwischen Weihrauch und Beichtstuhl.
Anekdotisch wird sogar vom geheimen Tunnel zwischen einem bayrischen Mönchskloster und einem Nonnenkloster geraunt – pikante Erzählungen, die die scheinheilige Keuschheit mit einer Prise fleischlicher Wahrheit würzen. Denn selbst im Schatten von Kreuz und Kutte sind die Begierden nicht verstummt.
Die neuen Sünden unserer Zeit wirken subtiler, aber nicht weniger toxisch: Denkfaule Trägheit, kalkulierte Gleichgültigkeit, soziale Heuchelei, egoistische Selbstsucht, aggressive Intoleranz, kalte Grausamkeit, zynische Überlegenheit. Die klassischen Sünden existieren weiter – nur ihr Vokabular hat sich verfeinert, ihre Inszenierung modernisiert.
Religionen wie Judentum, Christentum und Islam haben das Böse personifiziert, um Gottes Güte zu bewahren: Der Teufel wird zum Schauspieler des moralischen Scheiterns, zum Sinnbild für Versuchung und inneren Zerfall. Dabei ist Satan weniger Figur als vielmehr Metapher – ein Spiegel, der uns unsere Abgründe zeigt.
Im Mittelalter war dieser Spiegel oft brutaler: Hexenverfolgung, Ketzerprozesse – der Teufel als Funktionsträger der Gewalt, als juristische Lizenz zur Grausamkeit unter dem Deckmantel der Frömmigkeit.
Und im Buddhismus? Da gibt es keinen personifizierten Teufel. Dort steht „Māra“ für Ablenkung, für weltliche Versuchung, für das unbeständige Flackern unserer Begierden. Ein inneres Störfeuer, kein äußerer Feind.
Für den nüchternen Denker ist der Teufel ein Instrument der Angst. Denn Angst ist ein machtvolles Werkzeug – sei es in Religion oder Politik. Die Metapher des Widersachers ist nicht göttlich, sondern menschengemacht. Ein mentaler Wächter im Dienst der Kontrolle.
Was für ein Euphemismus: Die Zivilisierung der Sünde
Was einst als sündhaft galt, als gott- und menschenfeindlich, als moralisch verwerflich – das ist heute vielerorts zum gesellschaftsfähigen Verhaltensmuster geworden. Einige Todsünden wurden – fast wie im Märchen – mit neuen Gewändern versehen: nicht mehr als Makel, sondern als Triebfedern einer zivilisatorischen Dynamik. Ein Wandel, der sich nicht auf einen flüchtigen Zeitgeist stützt, sondern auf eine langsame Mutation ethischer Maßstäbe.
Die Wurzeln der Sünde liegen im Menschen selbst – in seinen biologischen Trieben, seinen sozialen Reflexen, seiner Suche nach Lust und Sicherheit. Neid etwa kann als Antrieb zur „Selbstoptimierung“ dienen, Stolz als identitätsstiftende Kraft. Doch wenn diese Impulse die Grenzlinien des Zusammenlebens verletzen, beginnt die Moralphilosophie zu glühen.
In frühen Stammesgesellschaften war „Sünde“ noch ein praxisnahes Konzept: Es zählte nicht die Absicht, sondern das abweichende Verhalten gegenüber der Gruppe. Sanktioniert wurde, was die Gemeinschaft gefährdete – nicht das innere Begehren. Heute dagegen verhandeln wir nicht nur Handlungen, sondern auch Motive. Die Seele ist zum Gerichtssaal geworden.
Schon die Renaissance wagte die kühne Aufwertung einzelner Laster zur Tugend. Und spätestens mit der industriellen Revolution wurden Stolz, Gier und Ehrgeiz zu den Triebkräften kapitalistischer Produktivität. Der Kulturhistoriker Lewis Mumford bemerkte pointiert, dass die Todsünden zum Motor einer neuen Weltordnung wurden – moralisch fragwürdig, ökonomisch funktional.
Wie entsteht das Böse – die Umkehr der Werte?
Das Böse ist kein schlichter Schatten – es ist ein komplexes Geflecht aus individueller Erfahrung und kollektiver Fehlentwicklung. Genetik, Psychiatrie, Sozialisation – sie alle liefern Erklärungsansätze. Verletzungen der Kindheit, toxische Bindungen, Drogen, Machtmissbrauch: Der Nährboden ist oft ein Gemisch aus Schmerz und Orientierungslosigkeit.
Ein altes Sprichwort warnt: „Der Teufel hat vier Diener – Bosheit, Dummheit, Macht und Gier.“ Wer in ihrem Takt marschiert, verliert das Gespür für die eigene Menschlichkeit.
So taumelt die Menschheit durch eine doppelte Kernschmelze – ökonomisch und moralisch. Wenn korrupte Akteure sich gegenseitig Friedensurkunden stricken, klingt das nach Groteske, nicht nach Diplomatie. Moral, einst unser innerer Kompass, ist vielfach ersetzt worden durch Opportunismus und Inszenierung.
Die Geschichtsschreibung ist gesäumt von paradoxen Ehrungen. Winston Churchill, Träger des Internationalen Karlspreises, gefeiert als „Hüter menschlicher Freiheit“ – und doch auch Kommandeur jener Feuerhölle über Dresden am 13. Februar 1945. Die Zahl der Opfer? Ein Tabu. Ich selbst war drei Jahre alt, als ich das Grauen erlebte. Makaber: Der Tag der bedingungslosen Kapitulation – der 8. Mai – war mein dritter Geburtstag.
Und inmitten dieser Finsternis steigt sie wieder auf – die Goldene Konstante Aurum. Wie ein Phönix aus der Asche, als stiller Zeuge und ethischer Anker. Gold – nicht nur als Wertanlage, sondern als Erinnerung daran, dass etwas Beständiges in uns leuchten kann, wenn alles andere verblasst.
Welch ein Fortschritt: Die Sünde hat ausgedient
Der Teufel ist arbeitslos. Wir haben seine Geschäfte übernommen – effizienter, subtiler, moderner. Die Sünde, einst ein Akt der spirituellen Grenzüberschreitung, ist heute zur psychosozialen Antriebskraft mutiert. Keine verdammten Laster mehr, sondern Katalysatoren des Fortschritts, Motoren einer Kultur, die aus Schwächen Stärke formt.
Geiz wurde zur Tugend der Sparsamkeit, zum gezähmten Bedürfnisaufschub im Dienst des Ich. Habgier mutierte zur „Sammelleidenschaft“ von Kapital – Fundament und Zündstoff der industriellen Revolution. Neid? Ein verdecktes Muskelspiel im Arbeitsalltag, später zur Triebfeder des Konsumrauschs erhoben.
Die Verwandlung war kein bloßes Schönreden, sondern eine strategische Umpolung: gefährliche, antisoziale Leidenschaften wurden in ein funktionales Korsett gezwängt – nicht zur Auslöschung, sondern zur Nutzbarmachung.
Der Rechtsphilosoph Giambattista Vico brachte es im 18. Jahrhundert auf den Punkt:
„Aus Grausamkeit, Habsucht und Ehrgeiz – den Lastern, die die Menschheit in die Irre führen – macht die Gesellschaft nationale Verteidigung, Handel und Politik. So gründet sie Stärke, Wohlstand und Weisheit der Republiken.“
Ebenso Sigmund Freud, der in seiner Theorie der Sublimation den „alchemistischen“ Prozess beschreibt, bei dem das Schlechte in etwas Konstruktives verwandelt wird.
Und Mephisto, Goethes diabolischer Philosoph, spricht das paradox Schöne in Worte:
„Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“
Das Böse – orchestriert zur Gesellschaftskraft
In der praktischen Politik wird das Ungebändigte nicht mehr bekämpft – sondern kanalisiert. Gier, Neid, Zorn, Hochmut: sie werden nicht verteufelt, sondern zu Wettbewerbskräften stilisiert, die Wohlstand und kollektives Glück mehren können.
Diese Idee – die Sublimierung des Lasters zur Ordnungskraft – ist bereits bei Montesquieu angelegt, in seiner Theorie der Gewaltenteilung, dem Herzstück moderner Demokratien.
In einem funktionierenden System treten Ruhmessucht gegen Habsucht, Neid gegen Leistung an, und werden durch feste Spielregeln gezähmt – ein Gleichgewicht aus Kontrolle und Entfaltung.
So wird der Teufel nicht abgeschafft – sondern einverleibt. Die Demokratie ist nicht der Gegenentwurf zum Chaos, sondern dessen domestizierte Bühne.
Ethik ohne Metaphysik – Moral als Menschensache
Ohne moralisches Bewusstsein fehlt uns der Maßstab – und ohne diesen Maßstab kein Begriff vom Bösen. Die Moral wurzelt nicht in göttlichen Dekreten oder metaphysischen Konstrukten, sondern in der einfachen, aber tiefgreifenden Erfahrung des menschlichen Zusammenlebens.
Was moralisch „gut“ ist, bemisst sich daran, ob es dem Wohl anderer dient. Kein Himmelsbote muss herabsteigen, um uns Anstand zu lehren – Empathie, Vernunft, soziale Verantwortung genügen. Selbst Kleinkinder zeigen Mitgefühl – ganz ohne religiöse Unterweisung. Moral ist also nicht „gegeben“, sondern gewachsen, ein organisches Ergebnis unserer Fähigkeit, uns in den anderen hineinzuversetzen.
Gewalt – das Echo innerer Leere
Warum wächst die Gewalt? Warum verbreiten sich Schandtaten wie Risse in einer bröckelnden Fassade?
Wenn Menschen sich abgehängt fühlen, entsteht Frust – und Frust sucht Kanäle. Fehlende Bildung erschwert konstruktive Konfliktlösungen, seelische Wunden bluten ungehindert, und Gewaltfilme sowie soziale Medien verwandeln Grausamkeit in Alltagskulisse. Alkohol und Drogen senken Hemmschwellen, führen zu impulsiver Entladung. Fehlt der moralische Halt, wird Gewalt zur Ersatzreligion – ein Schrei nach Bedeutung, nach Zugehörigkeit, nach Sichtbarkeit.
Der Teufel im Detail – das Böse als System
Der Teufel? Er lauert nicht hinter Höllenpforten, sondern im feinen Geflecht gesellschaftlicher Verhältnisse. Er lebt in der Verrohung der Sprache, in der Empathielosigkeit des Alltags, in der Ignoranz gegenüber seelischem Leid. Er tarnt sich als Struktur, nicht als Schattengestalt – und breitet sich aus wie eine stille soziale Infektion.
Normen sind ansteckend – destruktives Verhalten ebenso wie Mitgefühl. Wer in einem giftigen Milieu lebt, kann selbst abstumpfen wie ein fauler Apfel, der andere ansteckt. Nur wer seine Umgebung infrage stellt, schützt sich vor innerem Zerfall.
Mephisto – der verzweifelte Schöpfer des Guten im Schlechten
Selbst Mephisto, der teuflische Geist aus Goethes Faust, ist kein freier Triumphator – sondern von Zweifel gezeichnet. Er, der stets das Böse will, schafft letztlich das Gute – ein Paradox, das in seiner Verzweiflung gipfelt:
„Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts Abgeschmackters find’ ich auf der Welt
Als einen Teufel, der verzweifelt.“
Und in Auerbachs Keller, da wo das Volk berauscht von Illusionen ist, spricht er mit finsterem Spott:
„Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie beim Kragen hätte.“
Was für ein Abgesang – nicht auf den Teufel, sondern auf die Klarheit. Die Herausforderung liegt darin, den Teufel nicht als Wesen zu bekämpfen, sondern als Prinzip zu durchschauen. Und das kann nur der, der mit offenen Augen lebt – mit Herz, Verstand und dem Mut zur Selbstbefragung.
Schlussgedanke: Teuflisch und zerstörerisch breiten sich Kriege aus wie eine Pest. Abermilliarden nähren den Hass, während der Frieden darbt. Nur ein rechtzeitiger Kurswechsel bewahrt die taumelnde Menschheit davor, im Dunkel der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Gustav Gründgens als Mephisto

Wer aufmerksam hinsieht, kann die Facetten erkennen, wie die Herrschaft des Bösen heute agiert. Sie versteckt sich hinter angeblichen Wohltaten, ohne die die Menschheit droht unter zu gehen. Man denke da an die Angstmacher Pandemie, Krieg, Klimakatastrophe und Geschlechterwahn. Nicht zu vergessen den Transhumanismus. All das kann man eigentlich nur noch „Todeskult“ nennen. Lesen Sie dazu das Werk von Karl Pongracz „Todeskult“ und Sie werden erkennen, wie wir manipuliert werden. Negativ manipuliert. Wer das erkannt hat, hat schon den halben Weg zur Erlösung hinter sich. Bestellen Sie Ihr Exemplar Todeskult direkt beim Verlag hier oder erwerben Sie es in Ihrem Buchhandel.