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Bildung als Widerstand: Kraft gegen die bequeme Gesellschaft

Ein Essay von Hans-Jörg Müllenmeister 

In einer Welt, die sich zunehmend dem Komfort als höchstem Gut verschreibt, wird Bildung zur Störgröße im System. Sie unterbricht den digitalen Strom, stört die algorithmische Zerstreuung und fordert etwas, das kaum noch gefragt ist: geistige Anstrengung – und die schmerzt.

Doch gerade dieser Schmerz ist heilsam. Bildung ist heute mehr denn je ein Akt der Selbstermächtigung, ein stiller Aufstand gegen die schleichende Entmündigung durch korrupte, pseudo-soziale Systeme, die uns mit Zuckerwatte umhüllen und zugleich entkernen.

Der Mensch steht am Scheideweg: Entweder lässt er sich treiben von Maschinen, die für ihn denken, oder er erhebt sich durch Bildung zur Gestaltung seiner selbst. Doch die Bereitschaft zu lernen schwindet. Warum sich anstrengen, wenn alles scheinbar verfügbar ist? Warum reflektieren, wenn ein Mausklick genügt? Weil Bequemlichkeit kein Fortschritt ist. Weil Wissen ohne Verständnis gefährlich bleibt. Weil Freiheit ohne Bildung zur Illusion verkommt. Bildung ist kein bequemer Spaziergang – sie ist ein Aufbruch. Um das heutige Bildungsniveau zu erreichen, müssen wir weit hinabsteigen. 

Vom Jäger zum „Vergesser“ – die erste Raststätte der Menschheit?

War die Sesshaftigkeit der Frühmenschen der Beginn der Zivilisation – oder der Anfang ihrer Entfremdung? Mit dem Ackerbau kam Stabilität, aber auch Hierarchie, Besitz, Arbeitsteilung und Routine. Der Mensch wurde ortsgebunden, und mit der Vorratshaltung zog erstmals die Angst vor Verlust in seine Seele ein. Jäger und Sammler lebten einst im ständigen Lernmodus: Sie beobachteten, improvisierten, passten sich an. Ihre Umwelt war ein strenger Lehrmeister, der keine Nachlässigkeit duldete.

Die neolithische Revolution war mehr als ein technologischer Fortschritt – sie war ein mentaler Wendepunkt. Die „Raststätte“ der Sesshaftigkeit wurde zum Ort der Ruhe, aber auch des gedankenverlorenen Vergessens. Der Mensch begann, sich selbst zu übersehen. 

Lernunwilligkeit vs. Lernunfähigkeit

Vielleicht beginnt alles mit Egoismus – doch Not, Druck und globale Krisen zwingen den Menschen irgendwann zur Kooperation, zur Kompromissbereitschaft. Der Wunsch nach bequemem Fortschritt ist eine Illusion, an der der Mensch scheitert. Er mickert dahin als lernunwilliges Wesen, obwohl er eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Erkenntnis besitzt. Doch ebenso stark ist seine Neigung zum Verdrängen, zum Festhalten an Gewohnheiten und zum manischen Wiederholen historischer Fehler. Lernunwilligkeit ist nicht gleich Lernunfähigkeit. Oft fehlt nicht das Wissen, sondern der Wille, es anzuwenden. 

Die Geschichte ist wie ein Pendel, das zwischen Erkenntnis und Vergessen schwingt. Fortschritt und Rückfall wechseln sich ab wie Ebbe und Flut. Und doch treibt uns die Hoffnung auf Veränderung immer wieder an – trotz aller Rückschläge. Ob Kriege aus Machtgier oder Umweltkrisen aus Giermechanismen. Der Mensch scheint unfähig, aus kollektiver Erfahrung dauerhaft zu lernen. Zivilisationen steigen auf, blühen und verfallen – meist an ihren eigenen inneren Widersprüchen. Und dennoch: In jedem Rückfall liegt auch ein neues Erwachen. Die Renaissance folgte dem finsteren Mittelalter, die Aufklärung den Jahrhunderten der Dogmen. Vielleicht fehlt es nicht am Lernen – sondern an der Fähigkeit, das Gelernte zu bewahren. 

Welche Schwächen kehren immer wieder?

Die zyklischen Schwächen des Menschen sind altbekannt: Verdrängung, Selbstüberschätzung, Machtgier. Das Streben nach Dominanz, oft getarnt als Ideologie. Die Ignoranz gegenüber langfristigen Folgen, die Flucht vor unbequemen Wahrheiten. Und der technologische Größenwahn ohne ethische Kontrolle – sichtbar in Atomwaffen, Genmanipulation und künstlicher Intelligenz.

Doch es gab und gibt Gegenkräfte: Erkenntnis durch Wissen, kollektives Gedächtnis, moralische Reflexion. Bewegungen wie die Bionik oder der Datenschutz sind Ausdruck eines Widerstands gegen die Entgrenzung des Machbaren. Sie sind Mahnmale dafür, dass Bildung nicht nur Wissen vermittelt, sondern Haltung formt. 

Der heutige Mensch ist lernfähig – aber nicht lernbereit

Die Schwächen des Menschen sind tief verankert – archetypisch, fast mythisch. Die Gegenkräfte hingegen wirken fragil, oft abgehoben und nur zeitweise. Und doch: Wenn wir sie bewusst kultivieren – durch Bildung, Erinnerung, Dialog – könnten sie die Zyklen des Rückfalls verlängern, Verzögerung schaffen, Inseln der Vernunft im Ozean der Zerstreuung errichten.

Die Digitalisierung und Automatisierung versprechen Effizienz, doch sie nähren eine Haltung des passiven Konsums. Wenn alles „automatisch“ geschieht, warum sich noch anstrengen? Gerade in dieser Bequemlichkeit liegt die Gefahr: Ohne Bildung fehlt das Fundament für kritisches Denken, ethisches Handeln und gesellschaftliche Resilienz. Die Menschheit verliert ihre geistige Muskelkraft – und mit ihr die Fähigkeit, sich selbst zu tragen. 

Warum die Bildungsbereitschaft sinkt

Wissen wird heute in Häppchen serviert –  schnell verdaulich, aber ohne geistigen Nährwert. Maschinen übernehmen Aufgaben, die einst Denkprozesse erforderten. Das entlastet – aber entmündigt auch. Die Welt beschleunigt, vernetzt sich, wird komplexer – und viele ziehen sich zurück, statt sich weiterzubilden. Wenn Bildung nur noch der Berufsausbildung  dient, verliert sie ihren humanistischen Kern. Sie wird zur Funktion, nicht zur Formung.

Doch Bildung ist Voraussetzung für Bewegung – nicht nur technologisch, sondern auch politisch und sozial. Nur wer versteht, kann gestalten. Bildung befähigt zur Teilhabe, zur Mitgestaltung einer Welt, die sonst fremdbestimmt bleibt. 

Widerstand gegen Manipulation

Gebildete Menschen sind schwerer zu täuschen. Sie hinterfragen, statt zu folgen. Innovation braucht Reflexion – Fortschritt ohne Bildung ist blind. Bildung verleiht ihm Richtung und Maß. Vielleicht ist es an der Zeit, Bildung neu zu denken: nicht als Pflicht, sondern als Privileg. Nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Akt der Selbstermächtigung.

In einer Welt, die auf Bequemlichkeit, sofortige Verfügbarkeit und automatisierte Antworten setzt, wirkt Bildung wie ein Störfaktor – unbequem, fordernd, lästig. Doch gerade darin liegt ihre Kraft: Sie verlangt Anstrengung, Reflexion, Selbstüberwindung. Und sie schenkt uns etwas Kostbares zurück – die Fähigkeit, Mensch zu sein. 

Bildung als „lästige Komponente“ – warum dieser Eindruck entsteht

In der Blase der kognitiven Komfortzone bevorzugen viele Menschen einfache Antworten, schnelle Lösungen, flache Unterhaltung. Bildung fordert das Gegenteil: Tiefe, Komplexität, Zweifel. Der digitale Ablenkungsdruck, die ständige Reizverfügbarkeit machen es schwer, sich zu konzentrieren oder langfristig zu lernen.

Wenn Technik dem Menschen immer mehr Aufgaben abnimmt, scheint menschliches Wissen weniger wertvoll – ein fataler Trugschluss. Wenn Bildung reduziert ist auf berufliche Verwertbarkeit, verliert sie ihre Würde. Sie wird zur Pflichtübung, nicht zur Persönlichkeitsbildung. In einer Welt, die sich der Bequemlichkeit hingibt, wird Bildung zur lästigen Pflicht – und verlangt etwas, das kaum noch gefragt ist: geistige Anstrengung.

Doch gerade deshalb ist sie heute wichtiger denn je – als Widerstand gegen die schleichende Entmündigung. Der Mensch, überfrachtet mit digitalem Lärm, steht erneut am Scheideweg: Entweder er lässt sich treiben von Maschinen, die für ihn denken, oder er erhebt sich durch Bildung, um selbst zu gestalten.

Warum sich anstrengen, wenn alles verfügbar scheint? Warum reflektieren, wenn ein Mausklick genügt? Weil Bequemlichkeit kein Fortschritt ist. Weil Wissen ohne Verständnis gefährlich ist. Weil Freiheit ohne Bildung Illusion bleibt. 

Bildung ist unbequem – und genau darin liegt ihre Kraft

Sie fordert Zeit, Zweifel, Disziplin. Sie zwingt uns, unsere Gewissheiten zu hinterfragen, unsere Komfortzonen zu verlassen. Aber sie macht uns zu mündigen Menschen – nicht zu bloßen Nutzern. Wer heute lernt, rebelliert gegen die Oberflächlichkeit. Gegen die Entmündigung. Gegen die Verführung durch das Einfache. 

Bildung ist kein Mittel zum Zweck, sondern ein Akt der Selbstachtung. Lasst uns Bildung wieder als das begreifen, was sie ist: Ein stiller, aber mächtiger Widerstand gegen das Vergessen. Ein Werkzeug der Würde. Ein Weg aus der Misere. 

Die Bequemlichkeitsfalle der Moderne

Bildung ist kein Relikt – sie ist ein Rettungsanker. Wer heute lernt, widersetzt sich der Passivität. Wer denkt, handelt. Und wer handelt, verändert. Vielleicht nicht die Welt sofort – aber sich selbst. Und genau dort, in der unscheinbaren Keimzone des Individuums, beginnt jede Revolution des Geistes.

Es ist an der Zeit, Bildung nicht als lästige Pflicht zu begreifen, sondern als Gegenkraft zur Oberflächlichkeit. Als stillen Akt des Widerstands – ein Plädoyer für das Denken in Zeiten der Bequemlichkeit. Denn wo das Denken verstummt, beginnt die Fremdbestimmung. 

Die Folgen der Bildungsverweigerung

Wenn Bildung verweigert wird, beginnt die Erosion der Demokratie – durch Denkfaulheit, durch technologische Entgrenzung ohne ethische Kontrolle, durch Manipulierbarkeit mangels Urteilskraft. Denken wird zum „notwendigen Luxus“, einem seltenen Gut in einer Welt voller Ablenkung und Automatisierung. Es braucht Muße, Mut und manchmal Einsamkeit, um wirklich zu reflektieren. Doch viele scheuen sich davor – wie vor einem Muskel, den man lange nicht benutzt hat und dessen Bewegung nun schmerzt.

Ohne Denken gibt es keine echte Freiheit. Wer nicht denkt, „wird gedacht“ – von Algorithmen, von Medien, von Gewohnheiten. Die Selbstbestimmung weicht der Fremdsteuerung, das Individuum wird zum Datensatz. 

Bildung als Widerstand

Bildung ist mehr als Wissen – sie ist Wachheit. Sie befähigt uns zu erkennen, zu hinterfragen, zu wählen. Deshalb ist sie gefährlich für jene, die Kontrolle wollen. Und deshalb muss Bildung heute wieder rebellisch werden – unbequem, aufrüttelnd, widerständig.

Sie ist kein Werkzeug der Anpassung, sondern der Befreiung. Kein Mittel zur Karriere, sondern zur Charakterbildung. Bildung ist der stille Aufstand gegen die Verführung des Einfachen. 

Bildung: eine aussterbende Ressource

Bildung im weitesten Sinne ist nicht allein Schulwissen. Sie umfasst Selbstreflexion, Wertebewusstsein, kulturelles Gedächtnis, Empathie und Urteilskraft. Doch diese komplexe Form von Bildung wird rar. Stattdessen dominieren Informationshäppchen, Meinungsblasen, kommerzialisierte Aufmerksamkeit.

Schnelle Meinungen und einfache Narrative verdrängen komplexe Überlegungen. Denken ist heute wie ein gutes Buch im Regal der Erkenntnis: vorhanden, aber oft übersehen – zugunsten flüchtiger Reize. Bildung behält wie das Gold an jedem Ort den innewohnenden Wert. Kleingeld dagegen ist rund und rollt weg, Bildung bleibt. Doch weder Gold noch Geld schließen Bildungslücken. Heutzutage hat sich der Mensch vom Überlebenskünstler zum Bequemlichkeitswesen gewandelt. Im digitalen Zeitalter droht das Individuum, sich selbst zu „entlernen“. 

Zu guter Letzt: Was wäre dagegen zu tun?

Die Antwort liegt nicht darin, der Gesellschaft Bildung „beizubringen“ – als wäre sie ein unmündiges Kind, das belehrt werden müsste. Vielmehr geht es darum, Inseln der Bildung zu schaffen: Orte, Menschen, Bewegungen, die dem Denken frönen wie einem inneren Ritual. Oasen der Reflexion inmitten eines Lärmmeeres. Räume, in denen Bildung nicht konsumiert, sondern gelebt wird.

Die Frage, wie man einer verkommenen Gesellschaft Bildung nahebringt, ist keine pädagogische – sie ist eine politische und kulturelle Herausforderung. Denn Bildung ist nicht bloß ein Werkzeug, sondern ein Weltzugang. Und dieser Zugang wird zunehmend versperrt – bewusst, gezielt, systematisch.

Denn aufgepasst: Es gibt Kräfte, die von der Unbildung profitieren. Wer nicht denkt, lässt sich leichter lenken. Wer nicht hinterfragt, folgt. Wer keine Urteilskraft besitzt, wird zum Spielball fremder Interessen. Die Entmündigung beginnt dort, wo das Denken endet.

Und dennoch: Der Wunsch zu lernen bleibt lebendig. Doch er ist nicht frei von Versuchung. Goethes Faust bringt dies auf den Punkt – in der Szene mit dem Schüler, der sich nach Erkenntnis sehnt, aber zugleich nach Zerstreuung:

Schüler: 
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
Und in dem Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.

Mephistopheles: 
Da seid Ihr auf der rechten Spur;
Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen.

Schüler: 
Ich bin dabei mit Seel’ und Leib;
Doch freilich würde mir behagen
Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeiertagen.

Was in der Schülerszene als harmloser Wunsch erscheint, ist Spiegel unserer Gesellschaft. Bildung verlangt Hingabe – doch Zerstreuung ist stets zur Stelle. Der Widerstand beginnt dort, wo wir uns entscheiden, trotz aller Ablenkung zu denken. 

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Ja die Bildung... Schon in der Schule wird man nicht mehr gebildet, sondern zu sturem Auswendiglernen und Wiedergeben geführt. Damit hat sich Hauke Arach befasst, der lange als Lehrer sein Geld verdient hat. In seinem kleinen Werk „Mensch, lern das und frag nicht!“ zeigt er an Beispielen auf, wie es heutzutage um die Bildung an unseren Schulen bestellt ist. Ja, das ist gruselig, aber es regt zum Widerstand an. Und den braucht es, um unserer Kinder und Enkel Willen. Bestellen Sie Ihr Exemplar direkt beim Verlag hier oder erwerben Sie es in Ihrem Buchhandel. 

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