„Atemberaubend“ -1933 – 1937
Gedanken über die Buchreihe von Reinhard Leube zur Geschichte Deutschlands seit 1800
Buchreihe, zweiter Teil
Von Michael Schwede
Das vorliegende Buch rückte seinerzeit in meinen Fokus, nachdem ich zu dieser allgemeinen Thematik schon Arbeiten gelesen habe von Gerd Schultze-Rhonhof (übrigens ein Buchtipp noch von Vera Birkenbihl !), Hermann Ploppa, Torsten Schulte, Michael Grandt und Peter Haisenko und einiger anderer. Außerdem bekam ich die Aufzeichnungen unseres Vaters über unsere Familie in die Hände.
Er setze das um, was seine Eltern so oft ankündigten: Er beschrieb mit viel Liebe die Geschichten seiner Eltern und Großeltern bis in die jüngere Gegenwart (!) und füllte 15 Leitz-Ordner mit Dokumenten und Erinnerungen. Beim Durchblättern erfuhr ich u.a. auch wie mein Vater 1938 als 5-jähriger Bub ‚stolz‘ seinem Vater einen Brief kurz vor dessen Verbeamtung überreichte, mit dem eine Tragik begann, von der sich die beiden nie wieder richtig zusammenfanden. Es war der Einberufungsbefehl, mit dem Großvater in den Krieg mit Polen geschickt wurde und aus dem er erst 1947 wieder zurückkam.
Diese Vorstellung an das Geschehene in den letzten Augusttagen 1939 treiben mir heute noch Tränen in die Augen und ich werde ergriffen, dass im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts wieder Verräter am Frieden nach dem Blut von Menschen lechzen. Und ich bin begierig, aus dem Wirrwarr von Mythos, Propaganda, Halbwahrheiten und Lügen ein immer klareres Geschichtsbild zu erlangen, um so etwas wie eine innere Ruhe zu finden. Eine kleine Befriedigung bleibt, zu erfahren, wer wie warum in welchem Umfang als sichtbarer oder verdeckter Akteur am Unglück der Welt im Hier und Jetzt und in der Zukunft seine Hände mit Blut befleckt. Denn: Die alten Giftschlangen mäandern nach wie vor mit Chuzpe durch das Weltgeschehen..
Peter Haisenkos Buch „England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert“, das ich erst Jahre später nach dem Erwerb in Windeseile gelesen hatte, erinnerte mich vielfach an vereinzelte Gespräche mit meinem Großvater, mit dem ich viel besser als er mit meinem Vater solche Gedankenaustausche führen konnte. Dieses Buch war sozusagen der Türöffner für mich und meine Neugier nach mehr. So machte ich erstmalig mit diesem Band Bekanntschaft mit Leubes Arbeiten.
Reinhard Leube hat bislang 12 Bänder beim Münchner Anderwelt Verlag veröffentlicht. Heute möchte ich mich zum zweiten Band „Atemberaubend“ äußern: Die Schicksalsjahre 1933-1937 werfen ein besonderes Licht auf das politische Parkett. Die Wirren nach dem Ersten Weltkrieg und die im Hintergrund agierenden Marionettenspieler wurden und werden (?) in der Vermittlung von Geschichtszusammenhängen recht stiefmütterlich behandelt. Die Gründe mögen vielfältig sein: Die sozialistisch-kommunistischen Anschauungen heben die revolutionären Umwälzungen in den nationalen und internationalen Bewegungen hervor und wie die Konterrevolution einst die Kommunarden von Paris niederschlugen. Die sozialdemokratischen Bemühungen nach 1919 brachten nur wenige soziale Verbesserungen für die deutsche Bevölkerung hervor.
Die Umsetzung demokratischer Regeln brachte keine befriedigenden Handlungsspielräume und das Damoklesschwert des Versailler Vertrags lähmte das Land in allen Ecken und Enden. Die NSDAP formierte sich von einer unpopulären Splitterpartei im multiideologischen Parlament des Deutschen Reichstags zu einer Kraft, die sich wegen finanzieller Schwierigkeiten fast aufgeben musste, dann zu einer einflussreichen und zuletzt zu der Diktaturpartei in Deutschland avancierte. Wie konnte das geschehen? Als Kind fragte ich die Großeltern manchmal: ‚Warum habt Ihr das zugelassen, warum habt Ihr nichts dagegen gemacht?‘ und machte damit meine Großeltern verlegen. Heute weiß ich, diese Fragen waren richtig, aber wenn man das aus der historischen Entfernung in gesellschaftlicher Sicherheit tut, ist das nicht fair!
Reinhard Leube erschloss mir in einem wohltuenden Mix aus faktenbasierten Alltagsszenen, die dem Volk aufs Maul schaut, die Verflechtung persönlicher Notizen von Zeitzeugen und aus Quellen der internationalen Diplomatie einen Eindruck, der nicht nur bisher Gehörtes bestätigte, sondern Anregung zu eigenen Recherchen und vor allem Lust auf mehr historische Fakten machte. Was Haisenko schon andeutete, machte mich in Leubes Buch zum Augenzeugen. Und es hinterließ den ersten bitteren Beigeschmack, dass die Ereignisse in den Dreißigern die Saat für den Wildwuchs bis in unsere Gegenwart sein könnte. Die Akteure, jener Zeit werden nach und nach wie bei einem klassischen Schauspiel vorgestellt. Nicht weil Leube es so will, sondern weil sie sich eben so platzierten: bürgerliche Skeptiker, linke und rechtsnationale Fanatiker... und die im Hintergrund agierenden Handlanger, Gönner und Spieler des sich etablierenden Faschismus. Und auch Sie werden überrascht sein, dass diese Leute oder besser die Institutionen auch die Jahre nach 1938, nach 1945 und bis heute nie die Ruder aus ihren Händen gegeben haben; der generationsübergreifende Wechsel ging reibungslos vonstatten, während sich deren Gegenspieler in immerwährenden Zwistigkeiten darüber, welcher Gutmensch der besser geeignete sei, verschlissen.
Im rezensierten zweiten Band sitzen die Nazis bereits sicher im Sattel. Und wir erfahren zum einen, dass eben nicht das ganze Volk hinter den Nazis stand, wie jene arglistig demokratische Regeln missbrauchten und demokratische Regeln umkehrten, dass die Regel, ‚das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint‘ stets die Basis für die Machtübernahme durch die wirtschaftlichen und politischen Oligarchen bildete, und dass es stets kritische Beobachter der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen gab und gibt. Und dass sich mit der Machtergreifung der Nazis in 1933 erste Keimzellen des politischen Widerstands bildeten, von denen bis heute nur „Eingeweihte“ wissen.
Dieses Wissen fördert das politische Mitdenken und berechtigt zur Grundannahme, dass diese Widerständler im Volksbewusstsein stets vorhanden sind. Hier bekommt die Weisheit ‚Wissen ist Macht‘ grundsätzlich eine neue, gewichtige Bedeutung. Und auch welche Gefahr sich bei der Aufrechterhaltung von Wissen und Können gegen die „Grauen Menschen“ im Deep State aufrichtet.
Halbwissen, Halbwahrheiten und Faktenunterschlagung sind die bestens geeigneten Methoden, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu halten und unmenschliche Repressalien hinzunehmen. Das ist ein ideologisch übergreifendes Phänomen und wurde seit Menschengedenken umgesetzt, ob mit religiösen Umschreibungen, rassistischen Motiven, dem Endsieg dienend oder für eine schöne, aber ferne Zukunft unabdingbar.
Mit „Atemberaubend“ wählte Leube einen Titel, der schon so Spannung verspricht als auch ankündigt, mit welcher Unverfrorenheit die Durchsetzung der Ziele des Britisch Empire aufzeigt, die Jahrzehnte lang erahnt und später immer noch mit ausgeklügelten Erpressungen bis in die Jetztzeit praktiziert werden. Und diese Akteure vereinen sich auch heute wieder unter der soliden aber bunten Fahne imperialer Ideale auf der Basis des römischen Rechts und in der praktisch am perfekt ausgeführten Machtstruktur in jenem Einflussbereich, in dem niemals die Sonne unterging. Diese Akteure verfolgen nur ein Ziel: Herrschaft über die Welt. Dafür finden sich immer-bereite korrumpierbare, machtgeile und nach Privilegien gierende Vasallen und Handlanger in allen Gesellschaftsebenen von super reich bis bettelarm. Das Geld der Mächtigen findet den Weg zu allen Dürstenden nach wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und militärischen Fortschritts, was deren oligarchischen Machenschaften so stets einen Schritt im Voraus zur Behinderung der Rechtschaffenheit zu ermöglichen scheint.
In jedem Band von Reinhard Leubes Buchreihe, so viel kann schon verraten werden, kommen Zeitzeugen zu Wort, die neben den seit Kriegsende öffentlich geehrten Widerständlern, einen unerwarteten Personenkreis darstellen, die aber ihre persönlichen Positionen nutzten, um ein Leben unter der Nazi-Diktatur subtil erträglicher zu machen. Denn es muss die Frage gestellt werden, wer bildete Widerstandsgruppen, wenn Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet, in Konzentrationslager verbracht oder an der Kriegsfront verheizt wurden? Was können wir heute im 21. Jahrhundert daraus lernen? Welche Denkbarrieren könnte es geben?
Lesen Sie „Atemberaubend“ und lassen Sie sich von den „anderen Erkenntnissen“ anstecken, vergleichen Sie Ihre Kenntnisse aus der Schulzeit, aus den Medien und aus den Erzählungen Ihrer Vorfahren mit den beschriebenen Geschehnissen und lassen Sie sich erstaunen!
Die Devise heißt:
Sehen, erkennen, verstehen, handeln.
Ihnen allen wünsche ich viel Lesevergnügen!
Michael Schwede,
Frankfurt (Oder)
April 2025
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