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Kaffee, Kult und Katzendarm

Von Hans-Jörg Müllenmeister

Antike, zweibeinige Fossilien aus Reichsmark-Zeiten bis 1948 wissen: Weltweit ist Kaffee ein geschätztes Genussmittel. Grund genug, warum sich das schwarze Gebräu in wirtschaftlichen Notzeiten (wie in den kommenden) zu einem begehrten Tauschgut zusammenbraut. Wussten Sie, dass Rohkaffee auf den Warenterminmärkten direkt hinter Erdöl rangiert und wirtschaftlich bedeutender ist als Zucker oder Reis? Bereits seit 1882 handelt man an der Terminbörse in der Coffee Exchange in New York mit Kaffee-Kontrakten.

Global werden jährlich über 164 Millionen Sack Kaffee geerntet. Damit könnte man die „leere“ Cheops-Pyramide über die Hälfte vollschütten. Jeder Sack wiegt – je nach Herkunftsland – zwischen 60 und 70 kg. Pro Tag werden weltweit über 1,7 Milliarden Tassen oder 160 mit Kaffee gefüllte Olympia-Schwimmbecken leer getrunken. 2005 produzierte allein Brasilien fast 2.180.000 Tonnen Kaffee. Das sind rund 35% der Welternte. 

Die Kaffeewelt und der Konsum

Kaffeesorten gehören zur Gattung Coffea aus der Familie der Röte- oder Krappgewächse mit duftenden, weißen Blüten. Von der Art Arabisch Kaffee (Coffea arabica) existierten 2005 etwa zehn Milliarden Bäume, von der Art Robusta (Coffea canephora) etwa vier Milliarden. Die Weltanbaufläche liegt bei elf Millionen Hektar; das entspricht der gesamten Waldfläche Deutschlands. Arabica-Kaffee hat 60% Weltmarktanteil. Diese Bohnensorte ist nur halb so koffeinhaltig wie die Robusta-Bohne; sie ist aber wegen ihres Aromas beliebt. Zusammen liefern beide Kaffeesorten 98% des gesamten erzeugten Rohkaffees. Optisch unterscheidet sich die Bohnensorte Robusta durch einen geraden Einschnitt von der Arabica-Bohne mit gewelltem Einschnitt.

Vor rund 250 Jahren wurden 600.000 Sack Rohkaffee verarbeitet. Der Konsum ist weltweit inzwischen um mehr als das 200-fache gestiegen. Die Entwicklung des internationalen Kaffeemarktes zeigt, dass nicht nur Deutschland ein Land der Kaffeetrinker ist, nämlich 150 Liter Kaffee pro Einwohner und Jahr oder rund 300 Millionen Tassen Kaffee pro Tag. Erst auf Rang 2 liegt der Bierkonsum mit 116 Liter. Kein Wunder also, dass Deutschland nach den USA das zweitgrößte Kaffeeimportland der Erde ist. Die USA verbrauchte im Jahr 1998 ungefähr 1.148.000 Tonnen. Weltmeister sind allerdings die Finnen im Kaffeetrinken. Dort schlürft man pro Kopf und Jahr Kaffee aus 11,38 Kilo Bohnen.

Dass Tee früher als der Kaffee zum Kultgetränk avancierte, war ein windiges Produkt des Zufalls: Vor über 4.700 Jahren genoss Kaiser Shen Nung in seinem Garten eine Tasse heißen Wassers. Ein Windstoß wehte vom nahen, wilden Teebaum einige Blätter in seine Tasse. Das ergab ein köstliches Aroma – bald schätzte ganz China das neue Gebräu. Wie aber hätten Kaffeebohnen, noch dazu geröstet, zufällig den Weg in heißes Wasser finden sollen? 

Kaffeehäuser entstehen

So lagen die Anfänge des ersten Kaffeekränzchens erst viel später im 9. Jahrhundert im Hochland von Äthiopien, der Heimat des wilden Kaffeestrauchs. Um diese Zeit musste sich Kaiser Karl der Große, Herrscher des Abendlandes, noch mit Met begnügen. Vom Morgenland begann das Gewächs seine Reise um die Welt. Der Kaffeeanbau bescherte Arabien ein Monopol. Handelszentrum war die Hafenstadt Mokka, das heutige al-Mukka im Jemen. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verbreiteten unzählige Mekka-Pilger den Kaffee in der arabischen Welt. Es dauerte aber mehr als ein halbes Jahrhundert, bis das erste Kaffeehaus in Venedig öffnete. Von da an war der Siegeszug des Kaffees über Europa nicht mehr aufzuhalten. Kaffeehäuser schossen wie Pilze aus dem Boden: 1652 in London, 1659 in Marseille, 1663 in Amsterdam und 1673 in Bremen. 1677, nach vernichtendem Sieg gegen die Türken, verteilte man 500 zurückgelassene Kaffeesäcke der Türken als Beutegut. Das war der Grundstock für die ersten Wiener Kaffeehäuser. Das Gebräu aus Kaffeebohnen war bald in aller Munde. 

Natürliche Kaffee-Aromen durch Rösten

Was heißt hier Kaffeebohne? In der Tat ist der Samen der Kaffeepflanze keine Bohne. Seine reifen Früchte sind rote, kirschähnliche Steinfrüchte. Diese enthalten meist zwei Steinkerne, die mit ihren flachen Seiten zueinander in Gelee-artigem Fruchtfleisch eingebettet liegen. Das Aroma erhalten die Bohnen erst durch die Röstung in einer rotierenden Trommel bei 200 bis 250°C. Nach einigen Minuten müssen die Kaffeebohnen schnell abgekühlt werden, um den chemischen Prozess, der in der Bohne rumort, aufzuhalten. Es entwickeln sich dabei mehr als 800 Aromastoffe. Zu Beginn der Röstung werden Wasser ausgetrieben und Kohlenhydrate sowie Proteine abgebaut. Stoffe zerfallen und bilden neue Stoffe. In diesem Gemenge kommt es zu einer bestimmten Reaktion: Zucker, Proteine und Aminosäuren entfalten in der Bohne die typischen Aroma- und Geschmacksstoffe des Kaffees. So ist es nicht verwunderlich, dass es bis heute noch nicht gelungen ist, das Kaffeearoma künstlich zu erzeugen, etwa durch Mischen der bis heute bekannten Bestandteile. Erstaunlich: kein einzelner Aromastoff erzeugt annähernd den typischen Kaffeegeruch.

Als Inhaltsstoff ist an erster Stelle das Koffein zu nennen, das, je nach Sorte, zwischen 0,8 und 2,5% Anteil ausmacht. Man rechnet mit rund 4% Mineralstoffen im Rohkaffee; 90% davon gehen in das Getränk über. Den größten Prozentsatz nimmt Kalium ein, gefolgt von Calcium, Magnesium und Phosphor als Phosphat. Kaffee enthält sogar feine Spuren von Buttersäure; sie kann aromatisch sein, in größeren Mengen aber riecht diese wie Sch... – na, schweigen wir. 

Exotische Bohnen liefern gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe

Bestimmte Inhaltsstoffe des Kaffees sollen vor Krebs schützen. So kann sich das Risiko eines Leberzellen-Karzinoms um 40% verringern. Die Chlorogensäure im Kaffee bildet angeblich einen Schutz vor Dickdarm- und Leberkrebs. Andere Kaffeebestandteile bewahren gesunde Zellen davor, sich in Krebszellen umzuwandeln. Das Koffein, ein Alkaloid im Kaffee, steigert die Reaktionsfähigkeit und die Aufmerksamkeit und damit die Leistungsfähigkeit des Gehirns; es erhöht den Blutdruck und die Herzfrequenz, erweitert die Bronchien und die Blutgefäße. In hohen Dosen ist Koffein ein Dopingmittel. Das schwarze Gebräu scheint auch die Fettverbrennung zu erhöhen und die Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur zu verbessern. Außerdem regt es die Verdauung und die Magensaftproduktion an und wirkt harntreibend. 

Koffein, statt „Gegengift“ zu Atropin?

Zur Entdeckung des Koffeins gab Goethe den Anstoß. Der alte Geheimrat förderte nicht nur den Abbau von Silber und Kupfer, sondern auch die Wissenschaftler, die sich um die Erforschung der Pflanzenwirkstoffe verdient machten. Dem Dichterfürsten (1749 - 1832) kam zu Ohren, dass der junge Chemiker Ferdinand Runge (1779 - 1867) im Bilsenkraut das Gift Atropin entdeckt hatte. Dr. Gift, so sein Spitznahme in der Szene, durfte als Nachweis für Atropin die pupillenerweiternde Wirkung an Goethes Katze vorführen. Er träufelte dem Stubentiger Bilsenkrautsaft ins Auge.

Goethe war begeistert von diesem belehrenden Experiment und schenkte „Dr. Gift“ zum Abschied eine Schachtel voll Kaffeebohnen zur weiteren Untersuchung. Er vermutete stark, dass die Kaffeebohnen ein Gegengift zu Atropin enthalten würden. 1820, ein Jahr später, berichtet Runge von seiner Entdeckung, der sogenannten Kaffeebase, wie er damals den Stimulus des Kaffees nannte. Es war zwar nicht das Gegengift zu Atropin, das er aus den Bohnen isolierte, stattdessen entdeckte er das Koffein. Erst später kam für diese isolierten, weißen Kristalle der Name Koffein auf. Übrigens enthält auch Schwarztee den gleichen Wirkstoff, nur wird er da als Teein bezeichnet.

Goethe erlebte die unsinnigen Kaffeeröst- und Handelsverbote Friedrich des Großen von 1766. Kaffeeimport und Kaffeerösten avancierten damals zum Staatsmonopol. Das war eine lukrative Geldeinnahme für den Staat. Kaffeeschnüffler, ehemalige französische Soldaten, überwachten das Verbot. Diese Spürnasen sollten in den preußischen Gemeinden die illegale Kaffeerösterei olfaktorisch (riechend) feststellen. Daraufhin entbrannte erst recht ein lebhafter Kaffeeschmuggel unter den Bürgern.

Zu Lebzeiten Goethes frönte der französische Schriftsteller Honoré de Balzac (1799 - 1850) voll dem Kaffeegenuss. Er erklärte, Kaffee wecke all seine Lebensgeister, lasse seine Gedanken wie Bataillone aufmarschieren und schicke sein Gedächtnis in die vorderste Linie. Ohne ihn könne er nicht arbeiten und leben. Stets trank der schreibbesessene Balzac Unmengen starken Kaffees, um wach zu bleiben. Der Zeitgenosse von Goethe, das Musikgenie Beethoven (1770 - 1827), hatte es sich angewöhnt, genau 60 Kaffeebohnen abzuzählen, um daraus ein Tässchen Mokka zu brauen.

Schleichkatzen-fermentierter, veredelter Kaffee

Die spezielle Kaffeesorte Kopi Luwak wird auf den indonesischen Inseln Sumatra, Java und Sulawesi gewonnen. Für diesen seltenen und zugleich teuersten Kaffee der Welt liefert ein Fleckenmusang den Rohstoff. Er zählt zur Gattung der Schleichkatzen-Familie Paradoxurus hermaphroditus: Die Katze ist nur am Fruchtfleisch interessiert. Der Kern wird nicht von der Magensäure angegriffen und soll ein besonderes Aroma durch diesen Vorgang erhalten. Die Tiere scheiden die Kerne – die Bohnen – der roten Kaffeekirsche unverdaut wieder aus. Im Magen und Katzendarm sind die Kaffeebohnen einer veredelnden Nassfermentation durch Enzyme ausgesetzt. Diese verändert die Geschmackseigenschaften.

Irgendwann braute sich ein Kaffeeplantagenbesitzer aus der gereinigten Katzennotdurft seinen Kopi – seinen indonesischen Kaffee. Ein neues Geschmackserlebnis war gefunden! Die Liebhaber bezeichnen das Aroma als etwas muffig mit einem Hauch von Schokolade. Forscher wiesen nach, dass bestimmte Proteine der Bohnen molekular zerlegt werden: neue Aromen entstehen, die Bitterstoffe verschwinden (s. Beitrag: Bitterstoffe: unterschätzte Verdauungshelfer). Versuche, die Verdauungsorgane der Schleichkatze chemisch nachzubilden, scheiterten kläglich, ebenso Verdauungsversuche mit Hauskatzen. Dieser naturveredelte Kaffee kostet rund 1.200 Euro pro Kilogramm. Jährlich kommen nur etwa 200 kg der begehrten Kopi-Luwak-Bohnen auf den Weltmarkt. Betuchte Kaffeegenießer zahlen für ein Tässchen Kaffee nach der Katzendarmpassage gerne eben mal 40 Euro; was soll der Geiz, gesch... drauf. Merke: Nur eins ist besser als eine gute Tasse Kaffee: zwei Tassen Kaffee!

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