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„Londoner Außenpolitik und Adolf Hitler“

Gedanken über die Buchreihe von Reinhard Leube zur Geschichte Deutschlands seit 1800 
Buchreihe, erster Band 

Von Michael Schwede 

Haben Sie schon einmal von einem blinden Fleck gehört?
Woran denken Sie zuallererst, wenn Sie an England oder UK oder Großbritannien denken? Warum heißt dieses Land Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland? Was oder wer wurde da vereinigt? England, Schottland, Wales, Nordirland und... die City of London.

Die City of London besitzt seit 886 das Recht zur Selbstverwaltung. Wer die „Geschichte des Geldes“ kennt, weiß darüber, warum das Finanzzentrum einst von Venedig nach London verlagert wurde. Die City of London ist mit einer Unmenge von Privilegien ausgestattet und not amused über lustwandelnde Touristen.

Wikipedia weiß u.a. zu berichten:
Margret Thatcher verwandelte das Finanzkapital 1986 in eine bedeutsame Kraft. Nach der Deregulierung haben die US-Investmentbanken ihr Personal in der City of London deutlich aufgestockt. So beschäftigte Goldman Sachs 1984 an der Themse gerade einmal 140 Mitarbeiter; 1988 waren es bereits 800 und 2013 waren es 6000...

UK ist ein Inselstaat, der sich besonders seit der Hebung der Edelmetallschätze Mexikos und der Verschiffung dessen ins spanische Mutterland einer besonderen Vision und Mission verschwor, die einerseits Stoff vieler Mantel-und-Degen-Filme lieferte, aber als staatlich sanktionierte Freibeuterei den Zustrom von Macht und Geltung durch Aneignung fremden Reichtums sicherte, besondere Strategien bei der Überwindung von Gegnern entwickelte und eine ausgeklügelte Bündnispolitik praktizierte, was schlussendlich zur Schaffung des Britisch Empire führte, an das sich die Briten schnell und beständig gewöhnten. Eine Pirateninsel wird stets von einer Flotte verteidigt und Schiffbau wird zu einem Machtfaktor.

Es ist also kein Wunder, dass das UK zur Seemacht erster Klasse wurde und diese Stellung verbissen verteidigte. Die Strategien des UK sind sehr bemerkenswert: Das englische Königshaus befahl niemals ausdrücklich die Eroberung fremder Ländereien usw., sondern es verkaufte Privilegien zu Freibeuterei und/oder zum Handel in der Ferne; der Zugang zu fremden Ländern fiel in das Geschäftsrisiko der Kapitaleigner. Florierten die Geschäfte, willigte der König ein, ein bewaffnetes Schutzkontingent für ein Fort bereitzustellen, was zunächst die Handelsgesellschaften zu unterhalten hatten. Je besser es lief, umso mehr beanspruchte das Königshaus Rechte am Einflussort und forcierte militärisch den Anspruch des Königshauses zum „Wohle seiner Landeskinder“. Dabei war man bei der Wahl der Mittel nicht wählerisch, sofern die nachfolgende zweite Strategie griff.

Eine weitere Strategie versprach Erfolg, wenn das UK sich bei internationalen Konflikten stets mit dem drittstärksten Land verbündete, nie mit dem zweitstärksten. So wurde verhindert, dass der Zweitstärkste eventuell mächtiger als das UK werden könnte, und es wurde gefördert, dass der Drittstärkste sich selbst als besonders privilegiert betrachten durfte – so lange es London gefiel. Die wohl bemerkenswerteste Strategie wurde die Heartland-Theorie des britischen Geographen Halford Mackinder. In seinem Aufsatz „The geographical pivot of history“ (1904), formulierte er diese Theorie zur Warnung an seine Landsleute. Er setzte sich mit der Bedeutung von Geographie, Technik, Wirtschaft, Industrie sowie Rohstoff- und Bevölkerungsressourcen für eine vergleichende Bewertung von Landmacht und Seemacht auseinander.

Nach dem Ersten Weltkrieg aktualisierte er seine Theorie unter dem Eindruck des Krieges. Sie gilt manchen als „die wohl bedeutsamste Idee in der Geschichte der Geopolitik.“ Denn wenn nun das „Herzland“ des Kontinents – Westsibirien und das europäische Russland – entsprechende Verkehrswege und in ihrem Gefolge einen hohen industriellen und wirtschaftlichen Durchdringungsgrad entwickelt, so wird es eine entsprechend größere Macht ausüben können. Ein mächtiger Kontinentalstaat, dem alle Errungenschaften moderner Technik zur Verfügung stünden, könnte durch eine Herrschaft über dieses „Herzland“ die Herrschaft über die gesamte „Weltinsel“ erlangen. Mackinder formulierte dies als einen in der Literatur vielzitierten Merksatz:

“Who rules Eastern Europe commands the Heartland.
Who rules the Heartland commands the World Island.
Who rules the World Island commands the World.”

„Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland.
Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel.
Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.“

– Mackinder, Democratic Ideals and Reality, S. 106

Bemerkenswert für die heutige Epoche ist die immer öfter erwähnte Besonderheit der USA, dass sie ähnlich wie Großbritannien eine „Weltinsel“ sei: Ost und West durch Ozeane begrenzt und Nord und Süd durch Vasallenstaaten vor Außenangriffen geschützt, weit weg von Kriegsschauplätzen und Krisenherden und nicht erreichbar für sich wehrende Nationen. Wer möchte, kann die Parallelen finden: Militärbasen sind Piratenfestungen, Flugzeugträgerverbände sind die Seeschlachtmonster, Onkel Sam’s Brieftasche liefert Freibriefe. Unter der „Weltinsel“ verstand Mackinder Eurasien unter Hinzunahme des afrikanischen Kontinents. Die Rohstoff- und Bevölkerungsressourcen dieses Gesamtgebietes würde die Beherrschung der kontinentalen „Randländer“ und sukzessive auch des amerikanischen und australischen Kontinents sowie Japans ermöglichen.

Brzezinskis Geostrategie gehört in Hinsicht auf die theoretischen Grundlagen zur „klassischen Geopolitik“ in der Tradition Halford Mackinders, wobei der Fokus vom Britischen Empire auf die USA verlegt wird...“ „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (englischer Titel: The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, 1997, neuaufgelegt 2016) ist der deutsche Titel einer geopolitischen Abhandlung Zbigniew Brzezińskis. Die erste deutschsprachige Ausgabe erschien 1999 mit einem Vorwort Hans-Dietrich Genschers.

Brzezińskis Ziel ist, „im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen“. Er plädiert dabei für eine bestimmte außenpolitische Ausrichtung und Zielsetzung der USA: Die Vereinigten Staaten als „erste, einzige wirkliche und letzte Weltmacht“ nach dem Zerfall der Sowjetunion müssten ihre Vorherrschaft auf dem „großen Schachbrett“ Eurasiens kurz- und mittelfristig sichern, um so in fernerer Zukunft eine neue mehrpolige Weltordnung zu ermöglichen.

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Bei allem Wenn und Aber bleibt erkennbar, dass die wichtigsten Strippenzieher sich im angelsächsischen Raum konzentrieren und ihre Protagonisten weltweit orchestrieren. Und was bedeutet das für heute? Der große Schatten eines Henry Kissinger, der als einer der einflussreichsten Außenpolitiker der Vereinigten Staaten gilt, hat sich in seinen Analysen und während seiner Amtszeit als Außenminister (1973-1977) intensiv mit globalen Machtstrukturen und geopolitischen Konzepten, einschließlich der Heartland-Theorie, auseinandergesetzt. Kissinger hat die Bedeutung des Heartland-Konzepts für die globale Politik und die Strategie der Vereinigten Staaten während des Kalten Krieges unterstrichen. Er sah die Heartland-Theorie als wichtigen Faktor für das Verständnis der geopolitischen Dynamiken, insbesondere im Kontext des Wettbewerbs zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion.

In seiner geopolitischen Analyse betonte Kissinger die Wichtigkeit, eine Balance zwischen verschiedenen Machtregionen zu erhalten und die Entstehung eines dominanten Staates im Heartland zu verhindern. Dies spiegelte sich in seiner Politik der „realistischen“ Außenpolitik wider, die auf einem Gleichgewicht der Kräfte basierte. Auf der Grundlage „unserer“ regelbasierten Außenpolitik?

Ist das Ringen um Gleichgewicht vielleicht eine schön klingende Beschwichtigung? Selber legt sich der Puma dösend in Lauerstellung, um bei Unachtsamkeit seines Gegenübers blitzschnell den Biss an der richtigen Stelle im Genick anzusetzen? Klingt das zu theoretisch-verschwörerisch? Herrje, dieses permanente Strickmuster lässt sich bei der Beurteilung der Krisen- und Kriegsherde seit dem 19. Jahrhundert verfolgen.

Trotz der vielen Veränderungen diverser Machtverhältnisse in den Einflussbereichen der alten Monarchien galt: England war mit dem Aufstieg kontinentaleuropäischer Länder zu Wirtschaftsmächten und Konkurrenten am Ende des 19. Jahrhunderts nicht untergegangen. Dabei waren die Bedingungen für das Empire nicht günstig. Der Anteil der Insel am Welthandel war über Jahrzehnte immer weiter gesunken, sie verfügte perspektivisch nicht selbst über genug Rohstoffe für ihre eigene Wirtschaft, auch nicht über hinreichend viele Einwohner, um den ökonomischen Aufstieg anderer Länder mit Hilfe von Feldzügen zu beenden.

Warum wurde der Erste Lord der Admiralität Churchill misstrauisch, als Kaiser Wilhelm II, in der Hoffnung auf die Gunst des Empire stolz seine neuesten Schiffe präsentierte? Der wirtschaftliche Aufschwung des deutschen Kaiserreichs führte zu Weltruf auf wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Gebieten. Die Bevölkerung entwickelte sich zahlenmäßig überwältigend und konnte gut versorgt werden. Den Kaiser gelüstete es, nicht mehr am Katzentisch sitzen zu müssen und bat seinen Cousin im UK um die Erlaubnis auf den Besitz an Überseekolonien. Alles beste Voraussetzungen, um von England nicht als Machtpartner auserwählt zu werden. Hatte Deutschland Vorteile von der Nähe zum russischen Zarenreich? Fragen über Fragen über Fragen… Doch wie lässt sich erklären, dass binnen 50 Jahren die erfolgreiche Entwicklung großer Reiche in Kriegen und Diktaturen versandete und England auch ohne materielle Grundlage noch der Global Player ist wie vor hundert Jahren?

Der quellenreich unterlegte erste Band Reinhard Leubes Buchreihe zu den historischen Klippensprüngen Deutschlands erleichtert durch seine Art der Informationsvermittlung, die eigenen Geschichtskenntnisse mit den Fakten zu vergleichen. Wer so allmählich die Spielregeln erkennt, kann mit seinem Verstand schnell erfassen, dass vieles nicht so abläuft wie es gern vermittelt wird. Und es bedarf nicht unbedingt eines Studiums, um anhand seiner Lebenserfahrungen das sich anbahnende Ergebnis von Krisensituationen vorauszuahnen und wird nur darin enttäuscht, dass er sich nicht getäuscht hatte. Denn wer die Geschichte kennt, versteht das Heute und kann das Morgen besser gestalten. Mit meinem aufmunternden Gruß an alle Wissbegierigen: Sehen, erkennen, verstehen, handeln.  

Michael Schwede, 
Frankfurt (Oder) 
Mai 2025 

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Band eins der Geschichtsreihe von Reinhard Leube "Londoner Außenpolitik und Adolf Hitler - Gibt es einen blinden Fleck" und alle anderen Bände können Sie direkt beim Verlag hier bestellen oder in Ihrer Buchhandlung erwerben. 

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