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Unfall des JAL A 350 in Tokyo – welche Erkenntnisse können gewonnen werden?

Von Peter Haisenko 

Nach jedem Unfall mit einem Flugzeug wird versucht, den ersten Auslöser zu identifizieren. Sozusagen „die Mutter des Unglücks“. In diesem Fall ist es das Erdbeben auf der Halbinsel Noto im Bezirk Niigata.

Der konkrete Ablauf dieses Unfalls ist eher uninteressant. Der ist klar. Eine DHC-8-315Q MPA, also eine kleinere zweimotorige Turboprop, ist dem A 350 auf der Landebahn in die Quere gefahren. Es kam zur Kollision. Die linke Tragfläche und der linke Motor des A 350 wurden aufgerissen, der austretende Treibstoff entzündete sich und der A 350 kam etwas weiter zum Stillstand. Das Feuer breitete sich aus aber die Zeit reichte, alle Passagiere lebend zu evakuieren, bevor das Flugzeug vollständig verbrannte. Interessant ist hier das „vollständig“. In der DHC-8 überlebte nur der Kapitän schwer verletzt. An diesem Ablauf gibt es keine Zweifel. Es bleibt das Warum und das Wieso.

Der A 350 hatte die Landeerlaubnis erhalten. Auch darüber gibt es keine Zweifel. Es war Nacht und so kann dem Kapitän nicht der Vorwurf gemacht werden, er hätte die DHC-8 sehen und die Landung abbrechen müssen. Bei der DHC-8 ist es anders. Die Flugkontrolle sagt, sie hätte keine Freigabe erteilt, auf die Startbahn zu rollen. Der verletzte Kapitän widerspricht dem. Ich neige dazu, in diesem Fall den Fluglotsen zu glauben, denn darüber gibt es Aufzeichnungen, die über jeden Zweifel erhaben sind. Der Unglückskapitän hingegen muss das zu seiner Ehrenrettung bestreiten oder er hat das falsch verstanden.

Keiner konnte den anderen sehen

Der Kapitän der DHC-8 konnte aus seiner Position den anfliegenden Airbus nicht sehen. Er befand sich im spitzen Winkel zur Start/Landebahn mit Blick Richtung Start. Der Airbus kam für ihn von rechts hinten und das ist außerhalb seines Blickfelds. Der Anprall kam für ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Auch für den Copilot, der rechts sitzt, wäre es nur mit einer Verrenkung möglich gewesen, den anfliegenden Airbus wahrzunehmen. Mit der Missachtung der Rollanweisungen war der Unfall programmiert. Damit komme ich zu der Frage, warum sich die DHC-8 überhaupt auf diesem Flughafen befand. Und so kommen wir zu dem Erdbeben.

Die DHC-8 gehörte zur Küstenwache Japans. Die findet man normalerweise nicht auf dem Großflughafen von Tokyo. Nun ist es unter Piloten bekannt, dass das schwierigste am Fliegen, das unangenehmste, das Rollen auf den Vorfeldern der großen Flughäfen ist. Besonders Nachts und bei Regen. Da haben sich schon viele verfahren, auch die „ganz erfahrenen“ und etliche Unfälle haben sich so entwickelt. Wie muss es aber so einer armen Crew gehen, die als Küstenwache fast niemals auf diesen Großflughäfen herumturnt? Und dann Nachts. Da ist der Grundstress schon groß. Aber warum war er überhaupt dort? Nach meinen Informationen geschah das im Rahmen der Hilfsaktionen für die Erdbebengebiete auf der anderen Seite der japanischen Insel.

So haben wir hier eine Ereigniskette, die bei zu wenig Erfahrung auf den großen Flugplätzen beginnt und mit Stress und Dunkelheit zur Katastrophe führte. Der tatsächliche Auslöser für diese Kette war aber das Erdbeben. Hätte es dieses Erdbeben nicht gegeben, wäre die DHC-8 höchstwahrscheinlich nicht auf dem Flughafen Haneda gewesen. Man sieht, auch in der Luftfahrt kann die Chaostheorie ihre Wirkung entfalten.

Kohlefaser brennt, Aluminium nicht

Doch nun zu dem verunfallten A 350 selbst. Zunächst kann festgestellt werden, das Flugzeug und die Crew waren in tadellosem Zustand. Insbesondere die Kabinencrew hat vorbildlich gehandelt und so gab es dort keine Toten. Auch dem Kapitän kann keinerlei Vorwurf gemacht werden. Der Rumpf des A 350 ist nach der Kollision nicht gebrochen. Die Kohlefaserkonstruktion hat sich im ultimativen Test bewährt. Betrachtet man aber die Bilder nach der Katastrophe, zeigt sich etwas neues. Der Rumpf, die Passagierkabine, ist nahezu vollständig verschwunden, hat sich buchstäblich in Rauch aufgelöst. Im Gegensatz zu Aluminium brennt Kohlefaser richtig gut. Zu diesem Thema gab es schon Kommentare. Es wurde angeführt, dass die Evakuierung durch die Kohlefaser begünstigt worden sei. Das sehe ich anders.

Es ist wahrscheinlich, dass ein Aluminiumrumpf in dieser Situation gar nicht gebrannt hätte und so erhalten geblieben wäre. Gut, das hätte am glücklichen Ausgang nichts geändert, aber es wird Konsequenzen haben müssen. Offensichtlich sind die Flughafenfeuerwehren nicht ausreichend auf den Umgang mit Kohlefaser vorbereitet. Es ist eben nicht gelungen zu verhindern, dass das anfangs eher kleine Feuer auf den Rumpf übergreift. Man stelle sich vor, nicht nur die Kabinencrew hätte nicht so vorbildlich gehandelt, sondern auch die Passagiere hätten sich nicht an die Anweisungen gehalten und versucht, Handgepäck zu retten. Dann wäre die Evakuierung langsamer abgelaufen und die dann brennende Kohlefaser hätte fatale Auswirkungen haben können. Und da muss sich Airbus noch über etwas anderes Gedanken machen. Die Passagiere berichteten, dass das Lautsprechersystem für die Passagieransagen nicht funktionierte. Die Crew musste die Anweisungen mit Megaphones machen. Liebe Airbus-Ingenieure, das darf nicht passieren.

Moderne Technik muss nicht problemlos sein

Der Unfall in Tokyo war der erste Totalverlust eines A 350. Meines Wissens der erste überhaupt mit einem Flugzeug, das in weiten Bereichen aus Kohlefaser gebaut ist. So wird dieser Unfall viel Stoff zum Nachdenken für die Flugzeugindustrie geben. Was würde geschehen, wenn es während des Flugs einen Brand in der Kabine gibt? Ist es möglich, dass dann die Außenhaut genauso brennt, wie eben der A 350 nach dem Unfall? Und nein, das ist nicht hypothetisch. Es gab schon die Fälle, als ein Bauteil der Boeing 787, des „Dreamliners“, während des Flugs Feuer gefangen hatte. Das konnte allerdings durch einfaches Abschalten des Stroms unter Kontrolle gebracht werden. Aber was wird sein, wenn das nicht gelingt?

Der Unfall in Tokyo hat also mehrere Aspekte. Der erste ist schon länger bekannt.
Die Navigation auf dem Boden, insbesondere auf großen Flughäfen, muss verbessert, muss übersichtlicher und unmissverständlich gemacht werden. Zu viele Unfälle sind schon passiert, weil eine Crew am Boden die Orientierung verloren hatte.
Die Crew der JAL war gut geschult, man hat im Training Erfahrungen aus alten Unfällen einfließen lassen. Das hat Leben gerettet.
Die neue Technik mit Kohlefaser hat sich bewährt, was die Stabilität betrifft. Die Feuersicherheit muss noch genauer untersucht werden.
Es ist zu diskutieren, inwieweit Flüge auf Großflughäfen überhaupt zugelassen werden, die nicht über die Erfahrung von Linienpiloten verfügen, weil sie normalerweise dort nicht operieren. Selbst für Linienpiloten wird von manchen Flughäfen eine besondere Einweisung verlangt.

Der Unfall ist für die Passagiere des Linienflugs glimpflich verlaufen. Das System funktioniert. Die Toten der DHC-8 sind zu beklagen. Inwieweit dem Kapitän grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, möchte ich nicht beurteilen. Genauso wenig, inwieweit der Bodenkontrolle Schuld zugewiesen werden sollte. Ich denke eher, dieser Unfall ist einigen Systemfehlern zuzuordnen, die in Ausnahmefällen katastrophale Auswirkungen bewirken können. Und ja, ich denke, es war genau so ein Ausnahmefall, der die Anwesenheit der DHC-8 auf dem Flughafen Haneda in Tokyo bedingt hatte. Eben die ungeplanten, eher hektisch verlaufenden Hilfsaktionen für die Erdbebengebiete im Westen der Insel. Hätte es dieses Erdbeben nicht gegeben, wäre die DHC-8 höchstwahrscheinlich nicht auf dem Flughafen Haneda gewesen. Es war viel Glück dabei, dass es nicht mehr Tote gegeben hat. 

So sieht es aus, wenn Kohlefaser brennt. Hier brennt kein Kerosin, sondern die Rumpfhülle selbst. Mit Aluminium ist ein solches Flammenbild unmöglich. 

 

Das ist übrig geblieben, von dem schönen A 350. Der Rumpf ist einfach "verschwunden".  

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