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Rechts oder Links? Die zugeordneten Werte sind austauschbar

Von Reinhard Leube 

Ist denn nun im Ernst jeder Mensch „ein Nazi“, der in irgendeiner Hinsicht die Politik der jeweiligen deutschen Regierung hinterfragt? Wird mit der Einordnung in die Schubladen Rechts und Links schon seit den 1950er Jahren in der Bundesrepublik die Meinungsbildung manipuliert?

Wir sind alle Kinder unserer Zeit und wurden durch Strömungen und Gegenströmungen geprägt. Meine Mitmenschen haben sich im Laufe ihrer Biografien eingeordnet in links oder rechts. Früher gab es da sogar noch mehr Auswahl. Nina Hagen brachte ihren ersten Eindruck von der Bundesrepublik in die philosophischen Worte „Ist alles so schön bunt hier“. Das ist aber auch alles. Eine bessere Beschreibung für diesen seltsamen Staat ist mir bis heute nicht mehr über den Weg gelaufen.

In der jüngsten Vergangenheit haben die großen Medien meinen Mitmenschen noch fanatischer als früher dabei geholfen, sich einzuordnen und nur noch mit Menschen aus ihrer eigenen Blase zu sprechen. Das hat die Gesellschaft in immer kleinere Teile zerlegt, Familien- und Freundesbande zerrissen. Zuletzt war man für oder gegen Trump, für oder gegen Corinna, für oder gegen die Impfung, für oder gegen Russland, für oder gegen die Unterstützung der Ukraine, für oder gegen das Klima, am besten gleich für oder gegen das Wetter. Hauptsache fanatisch. Argumente haben ausgedient; das Verstehen gesellte sich zu den Todsünden. Erich Loest brachte es damals in der DDR auf den Punkt: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns; es gibt keinen Dritten Weg.“ In der Folge dieser verquasten Einseitigkeit im Kopf kam die Hausdurchsuchung oder gleich der Knast.

Nachdem ich Anfang der 1990er Jahre zwei Jahre in Hessen gewohnt und viele Gelegenheiten hatte, die dort lebende Spezies der Westdeutschen aus nächster Nähe zu studieren, war eine meiner Schlussfolgerungen, in ganz Osteuropa habe es summa summarum nicht so viel Stalinismus in den Köpfen gegeben wie in der alten Bundesrepublik. Da gab es die ewigen Ja-Sager und es gab überall eine Gegenöffentlichkeit, eine im besten Sinne des Wortes demokratische Gegenöffentlichkeit.

In der Bundesrepublik stieß ich auf ein bis dahin unbekanntes Phänomen: Jeder meiner Gesprächspartner hatte recht und dass die anderen Leute andere Ansichten von der Welt hatten, lag daran, dass die anderen Leute alle für dumm gehalten wurden, dümmer jedenfalls als meine jeweiligen Gesprächspartner. Auch damals gab es schon die ausgeprägten Lager Links und Rechts, allerdings gab es dazwischen auch noch die Schublade Liberal. Über die Jahre hinweg, ist der Eindruck gewachsen, dass ich in einer sehr verlogenen Version der alten DDR gelandet bin. Es ist geradezu erlösend, dass ich heute endlich von Menschen aus dem Westen höre, sie fühlten sich wie in einer DDR 2.0. Das gibt mir meinen Glauben zurück, dass sie sich doch bewegt, die Erde.

Meine Forschungen zu den Ursachen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges sowie zur Teilung Deutschlands im sogenannten Kalten Krieg danach brachten ein für mich durchaus überraschendes Ergebnis zutage: Das Verschaukeln der Leute in der Bundesrepublik ist genauso alt wie die ewige Besserwisserei in den gleichgeschalteten Medien der DDR. Das fängt schon an mit der vollkommen wirklichkeitsfernen Darstellung des Dritten Reiches unter Adolf Hitler, das als lupenreine Demokratie angeboten wird, in der nur Graf von Stauffenberg und Sophie Scholl im Widerstand waren. Alle anderen Deutschen sollen beispielsweise von den Autobahnen begeistert gewesen sein. Doch selbst das ist sehr unwahrscheinlich, zumal die allermeisten Leute gar keine Autos hatten. Und für wen wurden damals die Gefängnisse und Konzentrationslager in die Wälder gesetzt? Das geht dann locker mit den Beinen im Wasser baumelnd weiter mit der vermeintlich dunkelbraunen Zeit der 1950er Jahre, in der es vor lauter Nazis nur so gewimmelt haben soll. Für das Bonner Regierungsviertel gilt das garantiert nicht.

Von 1949 bis 1990 war es durch den Kommunismus und den Antikommunismus noch nicht so schwer, den Eindruck von konträren Stellungnahmen in den Medien zu fabrizieren, doch als der Systemkonflikt wegfiel, wurde der Meinungskorridor Jahr für Jahr mehr zu einer Einbahnstraße und seit dem Wegfall der Passkontrolle an der Grenze, Donald Trump, Corinna, Impfung und den Kriegen neuen Typus wurde immer klarer, dass der Kaiser nackt ist. Es gibt nur die eine richtige Meinung.

Werfen Sie gerne einmal einen Blick in den neunten Band meiner Serie zur Geschichte der Deutschen in Europa: Auf des Messers Schneide. Wir spielen Risiko – 1952 bis 1960. Hier ein Ausschnitt daraus:

Zum ersten Links-Rechts-Rollentausch

„Die Bundesrepublik Deutschland war gerade erst sieben Jahre alt, als der Schweizer Publizist Fritz René Allemann 1956 in seinem Buch »Bonn ist nicht Weimar« einen der grundlegenden Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten deutschen Demokratie in einem frappierenden Rollentausch zwischen »links« und »rechts« erkannte. In der Weimarer Republik war die Linke international und die Rechte nationalistisch gewesen. In der Bonner Republik betrieben die gemäßigten Kräfte der rechten Mitte, repräsentiert durch die von Konrad Adenauer geführte bürgerliche Koalition, eine Politik der supranationalen Integration, während die gemäßigte Linke in Gestalt der Sozialdemokratie unter Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer den nationalen Part übernahm und sich als Partei des Primats der deutschen Einheit zu profilieren versuchte. Adenauer hatte es also nicht mit einer »nationalen Opposition« wie in Weimar, einer antidemokratischen Bewegung von rechts, zu tun, sondern mit einer zugleich demokratischen, antikommunistischen und nationalen Opposition von links. Wäre es anders gewesen, hätte sich die Westbindung der Bundesrepublik kaum durchsetzen lassen. So gesehen war die nationale Rolle der Sozialdemokraten geradezu eine Bedingung der Möglichkeit der übernationalen Politik Adenauers: eine Dialektik, deren sich die Akteure wohl kaum voll bewusst waren.“

Das stammt aus einer der wunderschönen wissenschaftlichen Analysen von Prof. Dr. Heinrich August Winkler. Wären sie sich dessen nicht voll bewusst gewesen, hätte sich die Westbindung der Bundesrepublik kaum durchsetzen lassen oder sie wäre in Anbetracht der in den 1950er Jahren zu vertretenden Wähler ein unerreichbares Ziel geblieben, Herr Winkler. Geradezu eine Bedingung, sagt er. Deren sich die Akteure wohl kaum voll bewusst waren. Ehe ich akzeptiere, dass ein Mensch oder sogar ein Doktor saublöd ist, werde ich noch lange die Erklärung für seine Handlungsweise suchen. Wenn Sie wirklich bisher der Meinung waren, ich hätte hier etwas ganz Spannendes herausgefunden, dann irren Sie sich garantiert. Dieser Professor Winkler ist der erste Kandidat, der im Detail vermutlich noch viel besser Bescheid weiß als ich. Er wundert sich ja auch nicht über das Phänomen, das er beschreibt, oder kritisiert, dass die Leute draußen auf der Straße auf den Arm genommen werden, sondern konstatiert, dass es da einen Rollentausch gab.

Er sagt nicht, warum ein Linker oder mehrere oder gleich alle Linken nach ihrer Entlassung aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern der Nazis auf einmal rechte Inhalte unter das Volk brachten. Er erklärt nicht, wie es kommt, dass die Rechten plötzlich und unerwartet linke, supranationale und europäische Inhalte in der eigentlich nationalen Frage propagierten. Er stellt auch nicht die Frage danach in den Raum, um deutlich zu machen, dass er da vor einem Rätsel steht.

Gerne will ich Ihnen das mit zwei Beispielen illustrieren, zuerst mit einer „Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Wiedervereinigung Deutschlands“ vom 1. Mai 1957. „Der Deutsche Gewerkschaftsbund erwartet von der Regierung der Bundesrepublik, dass sie ihre Anstrengungen zur Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands verstärkt und bei allen ihren politischen Handlungen darauf bedacht ist, die Herbeiführung der deutschen Einheit zu fördern und zu beschleunigen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund richtet an die gesamtdeutsche Bevölkerung die dringende Bitte, über alle Tagessorgen und Nöte hinaus das große Ziel der Wiederherstellung eines demokratischen, freiheitlichen und sozialen Deutschlands niemals zu vergessen und dieses Ziel beharrlich zu verfolgen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ruft die Bevölkerung in Ost und West auf, die Verbundenheit zwischen allen Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze zu pflegen, um den Willen zur Einheit lebendig zu erhalten.“ Am 1. Mai 1957.

Versuchen Sie sich einmal für einen kurzen Moment vorzustellen, dass linke Menschen wenige Jahre später das Gegenteil von dem vertreten, was sie 1957 sagen.

Als zweites plastisches Beispiel biete ich Ihnen einen nationalen Text des linken Schriftstellers Kurt Hiller an, der 1885 geboren ist. Es handelt sich um eine Rede, die er am 4. Mai 1956 vor Hamburger Studenten gehalten hat und die am 17. Mai 1956 in dem linken Blatt Die andere Zeitung aus Hamburg erschien, in deren Untertitel es heißt: Unabhängige Zeitung für Politik, Gewerkschaftsfragen, Wirtschaft und Kultur. Hiller setzt sich mit den rechten Thesen einer Vereinigung West-Europas auseinander. „Jedwede Kulturnation Europas ist, seit langem und ununterbrochen, in sich staatsstruktürlich geeint; Briten, Franzosen, Italiener vorneweg; nur die Deutschen sind es seit elf Jahren nicht mehr. Wir haben ein Anrecht auf das, dessen andere Nationen sich mit Selbstverständlichkeit erfreuen. Nennt ein Seelenkrüppel diese Forderung nationalistisch, so nehme ich es vergnügt auf mich, »Nationalist« zu sein. Immer noch lieber ein stachliger »Nationalist« als ein aalglatter Lügner »europäischer« Phrasen! Aus dem Lügenkranz der »Europa«-Schwindler besteht die Hauptlüge in der zwar nie ausgesprochenen, aber ihrem ganzen Treiben objektiv implizierten Behauptung, dass morgen ein Krieg zwischen Kontinenten weniger fürchterlich und weniger verrückt sei, als früher ein Krieg zwischen Staaten war. In Wahrheit ist der Krieg der Kontinente, zumal mit Stratosphärenrakete und Wasserstoffbombe, noch viel fürchterlicher und noch viel verrückter als der gute alte Staatenkrieg.“

Wäre der Präsident Frankreichs Charles de Gaulle ein Kandidat für höhere Weihen in Deutschland, müsste er auf alle Fälle für die SPD kandidieren, ob er das nun einsieht oder nicht. Mag sein, dass es für manche im Publikum eine neue Erfahrung darstellt, aber es geht hier überhaupt nicht darum, seine Haltung in Bezug auf das eben Gelesene auszudrücken und obendrein Näheres über seinen Fußpilz zu berichten. Auch wenn es eine intellektuelle Herausforderung darstellt, geht es darum, sacken zu lassen, was in den 1950er Jahren als „links“ gilt. Kann ja sein, dass man sich dann doch noch einmal überlegt, ob man sich nicht doch von einem fremdbestimmten Schema unabhängig macht.

Später passiert binnen weniger Jahre die gleiche Zirkusnummer ja sogar noch einmal um 1970 herum und diesmal in der umgekehrten Richtung – dann präsentieren die Linken wieder traditionell linke Inhalte und Rechte liefern wieder das ab, was man vor 1933 unter rechts verstanden hatte. Wissen Sie, veralbern kann ich mich allein. In diesem Land sind mehrere tausend Menschen in dieses Spiel eingeweiht. Sonst könnte das Spielchen nämlich überhaupt nicht funktionieren.

Was dieser Rollentausch konkret bedeutet, lässt sich beispielsweise an Ihrem Lieblingsmagazin Der Spiegel aus Hamburg an der Elbe illustrieren, das sich später so herzerfrischend „links“ und derartig aufgeklärt gebärdet. Wie Gehlen haben Medien in der Bundesrepublik gewusst, wie man böse Leute richtig einsetzt: „Nachdem der Medienforscher Lutz Hachmeister die Tätigkeit ehemaliger SS-Offiziere als Spiegel-Redakteure und Serienautoren für den frühen Spiegel belegen konnte, geriet das Magazin 2006 verstärkt in die Kritik, weil es seine eigene NS-belastete Vergangenheit nicht ausreichend reflektiere. So bemängelte die Süddeutsche Zeitung in einem ganzseitigen Beitrag vom 14. Juni 2006 ebenso wie das medienpolitische Magazin M der Gewerkschaft ver.di in seiner September-Ausgabe, dass die Rolle des ehemaligen Pressechefs im NS-Außenministerium und SS-Obersturmbannführers Paul Karl Schmidt als Serienautor des Magazins marginalisiert würde und der Tatbestand, dass die SS- Hauptsturmführer Georg Wolff und Horst Mahnke in den 1950er Jahren zu leitenden Redakteuren avancierten, von dem sonst NS-kritischen Magazin ausgeblendet sei. Schon im Jahre 2000 hatte die Neue Züricher Zeitung Rudolf Augstein vorgeworfen, ehemaligen Nationalsozialisten bewusst die Möglichkeit gegeben zu haben, wieder gesellschaftsfähig zu werden.“

Will man den Leuten weismachen, das hätte vor 2000 niemand gewusst? Es ist ohnehin immer wieder bemerkenswert, wie Gesprächspartner ein vorgetragenes Argument mit der Retoure kontern, das sei doch längst kritisiert worden. Wenn das kritisiert wurde, ist es ja noch wahrscheinlicher, dass es so stimmt, und dann müsste man es doch eigentlich als einen Mosaikstein in seine Weltbilder einarbeiten. Wie kann ein denkendes Wesen dann weiter am Bild kleben, das die großen Medien vom Lauf der Welt zeichnen? Kritik anhören ohne eine Verarbeitung ist so sinnlos wie ein Essen vorbereiten und dann nicht essen.“

Und die Moral von der Geschicht: Lassen Sie sich von diesen politisch missbrauchten Feindbildern Links und Rechts nicht mehr beeindrucken!

Lassen Sie sich nichts mehr einordnen, ordnen Sie sich nicht mehr ein, suchen Sie ergebnisoffen und mit gesundem Menschenverstand nach Argumenten, die Sie überzeugen.

Lesen Sie "Auf des Messers Schneide. Wir spielen Risiko – 1952 bis 1960", damit Sie den Fanatikern aufzeigen können, dass das Links-Rechts-Schema seit jeher dazu dient, die Ziele der tatsächlichen Besserwessis in den Medien und in der Politik an der Bevölkerung vorbei durchzusetzen. 

Kommentar von Peter Haisenko

War Hitlers NSDAP nun rechts oder links? Wenn „national“ rechts ist und „sozialistisch“ links, dann ist der Terminus „nationalsozialistisch“ ein Oxymoron in sich. Und genauso verwirrt wird man sein, wenn man sich mit der Hitler-Zeit ernsthaft auseinander setzt. Ebenso wie mit der BRD. Wenn Sie diesbezüglich für sich selbst mehr Klarheit wünschen, kann ich Ihnen nur empfehlen, alle neun Bände von Reinhard Leube zu lesen. Er führt den Leser chronologisch geordnet durch die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg bis in die 1960er. Sehen Sie sich an, was der AnderweltVerlag dazu anzubieten hat. Es wird Ihr Weltbild verändern.  
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