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Das Titanic-U-Boot und die Vollkaskomentalität

Von Peter Haisenko 

Jetzt ist es gewiß: Die fünf Menschen in dem U-Boot, das zum Wrack der Titanic tauchen wollte, sind tot. Sie wurden vom enormen Wasserdruck zerquetscht. Sollte man Mitleid haben mit den Opfern? Wer hat daran Schuld zu tragen?

Immer wenn es ein Unglück mit einem Wasserfahrzeug gibt, gibt es keinen Zweifel an der Schuldfrage. Es ist der Kapitän, dem die Obhut über Schiff, Passagiere und Ladung übertragen worden ist. So ist es auch im Fall des verunglückten U-Boots, das seinen Insassen einen Blick auf das Wrack der Titanic ermöglichen sollte. Aber kann es in diesem Fall überhaupt von Interesse sein, die Schuldfrage zu diskutieren? Schließlich saßen in diesem Technikmonster nur erwachsene Menschen, die sich des unkalkulierbaren Risikos bewusst sein mussten. Waren die sich auch der physikalischen Umstände bewusst, die in 3.800 Metern unter Wasser auf ihr Gefährt einwirken? 

In einer Tiefe von 3.800 Metern unter Wasser herrscht ein Druck von etwa 360 bar. Im Reifen Ihres Autos sind es nur zwei bar. 360 bar heißt, dass auf jedem Quadratzentimeter 360 Kilogramm lasten. Auf einer Fläche von 10 x 10 Zentimetern, also 100 Quadratzentimetern, sind es schon 36 Tonnen. Das ist in etwa so, als würde man einen voll beladenen Sattelzug auf einer Handfläche parken wollen. Diese Kräfte lasten auf dem gesamten Tauchboot, rundherum. Die gesamte Fläche der Außenhaut des Titanic-U-Boots beträgt etwa 40 Quadratmeter und ist so in 3.800 Metern Tiefe einem Gesamtdruck von etwa 150.000 Tonnen ausgesetzt. Das macht es so schwierig, in diese Tiefen mit manntragenden Gefährten vorzustoßen. Erschwerend kommt hinzu, dass dieses Boot Fenster haben soll, damit man das Wrack der Titanic bewundern kann. Auf einem solchen Bullauge mit nur 20 Zentimeter Durchmesser lasten immerhin etwa 110 Tonnen. Das sind die physikalischen Kräfte, denen ein solches Tauchboot ausgesetzt ist.

Sie haben für ihren Tod bezahlt

Es wird berichtet, dass jeder Passgier dieses Gefährts 250.000 Dollar für dieses Abenteuer bezahlt hat. Und ja, es ist ein Abenteuer. Jedes Abenteuer bringt immer ein gewisses Risiko mit sich. Das wird in Kauf genommen, für den Nervenkitzel. Das gilt für alle Abenteuer. Ganz gleich, ob es sich um die Besteigung eines hohen Bergs handelt oder nur um das kindliche Balancieren auf einer Mauer. Oder wenn jemand ausprobiert, ob sein Auto wirklich schneller als 200 km/h fahren kann. In der heutigen Zeit ist es aber so, dass sich nahezu jeder Abenteurer darauf verlässt, verlassen kann, dass er aus der misslichen Lage gerettet wird, in die er sich gebracht hat. Woran er wahrscheinlich nicht denkt ist, dass er so andere, die Retter, auch in Gefahr bringt. Keine Rettungsaktion ist ohne Risiko. Man denke im Fall des Titanic-U-Boots nur an die Mannschaften der Such- und Rettungsaktion. Oder an die Hubschrauberbesatzungen, die Menschen retten müssen, die sich mit untauglichem Schuhwerk in unwirtliches Gelände begeben haben.

Der Mensch hat die Eigenschaft, Grenzen auszuloten und zu überschreiten. Je größer seine „Rückversicherung“ ist, desto risikobereiter wird er. Als vor etwa 40 Jahren die Antiblockierbremse, das ABS, eingeführt wurde, gaben die Versicherungen für diese Autos einen Rabatt von zehn Prozent. Schnell stellte sich dann heraus, dass diese Autos öfter in Unfälle verwickelt waren, weil die Fahrer im Vertrauen auf die Technik wagemutiger handelten. Der Rabatt wurde nach kurzer Zeit gestrichen. Seit es die Mobiltelefone gibt, wagen sich mehr Menschen ins Hochgebirge, in dem Bewusstsein, dass sie immer schnelle Hilfe damit herbeirufen können. Die Frage nach der Henne und dem Ei stellt sich hier nicht. Zuerst wurden die Rettungsdienste ausgeweitet und dann wurden die Menschen „mutiger“, unvorsichtiger.

Erprobte Technik bedarf keines Mutes

Aber wann ist es angebracht, notwendig, für eine Aktion „Mut“ aufzubringen? Eigentlich nur, wenn diese Aktion Lebensgefahr mit sich bringt. Um ein Flugzeug zu besteigen, bedarf es keinen Mutes. Ebenso wenig, mit einem Fallschirm abzuspringen. Da ist die Gefahr nicht größer, als dass einem ein Ziegelstein auf den Kopf fällt. Pauschal kann man sagen, dass jede erprobte, gut abgesicherte Aktion keines Mutes bedarf. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass jede Angst vor einer gut abgesicherten Aktion irrational ist. So irrational, wie die Angst, einen Lift oder auch eine Bergbahn zu besteigen. Da kann man sich sicher sein, dass alles menschenmögliche getan worden ist, einen Unfall zu vermeiden. Es gibt kaum Orte, in denen man sicherer ist, als in Verkehrsflugzeugen oder Bergbahnen.

Doch zurück zum Titanic-U-Boot. Ich habe keinerlei Mitleid mit den Insassen, die jetzt umgekommen sind. Sie haben sich in ein Abenteuer begeben und es ging leider tödlich daneben. Sie wussten um diese Gefahr und sie wussten auch, dass es für sie keine Rettung aus 3.000 Meter Tiefe geben kann, wenn etwas schief geht. So, wie es jetzt aussieht, hat der Wasserdruck in etwa 3.000 Meter Tiefe dieses Gefährt einfach zermalmt, als es in diese Tiefe vorgestoßen ist. Ein schneller, unerwarteter Tod. Ein gnädiger Tod. Dass es höchst unwahrscheinlich für eine erfolgreiche Rettungsaktion war, war auch für diejenigen klar, die zur Hilfe geeilt sind. Bereits am Sonntag, also dem Tag des Tauchgangs, wussten die USA, dass das Boot verloren ist. Dennoch ist die Show weiter gelaufen und es wurde in den Medien breit behandelt. Brot und Spiele der übelsten Art? Mit dem Unglück von Menschen?

Retter locken Menschen in gefährliche Abenteuer

Ich komme hier aber zurück zu dem Umstand, dass sich Menschen eher in Gefahr begeben, wenn sie darauf vertrauen, im Fall der Fälle gerettet zu werden. Ich spreche hier über die Migranten, die sich in untauglichen Booten aufs Mittelmeer begeben. Auch wenn es für einige von denen nicht offensichtlich ist, in welche Gefahr sie sich begeben, spielt es sicher eine Rolle für Ihre Entscheidung, das zu tun, weil sie wissen, dass in Küstennähe schon Rettungsboote auf sie warten. Das trifft vor allem auf die Schlepper zu, die diese Schiffe begleiten. Die wissen um die Gefahren. Genauso wie der Kapitän, der diese Migrantenboote führt. Würde der überhaupt losfahren mit einem Boot, von dem er weiß, dass es unwahrscheinlich oder unmöglich ist, das Ziel zu erreichen? Er sticht in See, weil er weiß, dass er das angebliche Ziel nicht erreichen muss, weil er vorher von edlen Rettern aufgefischt wird.

Damit komme ich zurück zur Schuldfrage. Wer ein Tauchboot besteigt um ein Wrack in 3.800 Metern Tiefe anzusehen, ist selbst schuld, wenn er umkommt. Bei dem Migrantenboot, das jüngst vor Griechenland gekentert ist und hunderte in den nassen Tod gerissen hat, ist weder die griechische, noch die italienische Küstenwache schuld. Primär trägt der Kapitän dieses Boots die Schuld, denn er ist mit einem überladenen Boot losgefahren. Genau betrachtet trifft aber die Gutmenschen die Hauptschuld, denn sie sind es, die den Kapitän und seine Passagiere mit ihren Rettungsversprechen erst auf diese tödliche Reise gelockt haben.

Vollkaskomentalität und Freiheit sind unvereinbar

Als vor 50 Jahren die Sicherheitsgurte für PKW zur Pflicht wurden, hat ein kluger Mann das getadelt. Er meinte, mann sollte besser Spitzen auf das Armaturenbrett kleben, um die Fahrer daran zu erinnern, dass Autofahren an sich gefährlich ist. Dem stimme ich nur im philosophischen Sinn zu. Das Problem unserer Zeit ist doch, dass alles, was mit irgendwelchen Gefahren verbunden ist, durch Vorschriften so entschärft werden soll, dass das Bewusstsein für die immanenten Gefahren unterdrückt wird. Das gilt auch für das Rettungswesen. Man geht Risiken ein in dem Bewusstsein, dass Retter kommen, wenn man sich überschätzt hat. Das trifft auch auf die Bankenwelt zu. Wenn sich die Bankster verzockt haben, können sie darauf vertrauen, dass „Rettungsschirme“ aufgespannt werden.

An allen diesen Beispielen wird sichtbar, dass Eigenverantwortung nahezu abgeschafft worden ist. Zu Lasten der Gemeinschaft. Das trifft auf das gesamte westliche Gesellschaftssystem zu. In jeder Hinsicht. Aber was macht es mit einer Gesellschaft, wenn nicht mehr gilt: Wer sich in Gefahr begibt, kann (wird) darin umkommen. Unsere Vollkaskogesellschaft verlässt sich auf Rettung durch andere und handelt so fortschreitend fahrlässiger. Das geht bis ins militärische, denn auch Soldaten verlassen sich darauf, im Fall der Fälle erstklassische medizinische Versorgung zu erhalten und eine Rente. All das dient dem Machterhalt, denn Menschen mit Vollkaskomentalität sind nicht mehr gewillt, eigenverantwortlich zu handeln und zum Beispiel laut gegen Missstände zu demonstrieren. So hat man Bürger geschaffen, die wie Kinder ihren Eltern, dem Staat, folgen und sich darauf verlassen, dass der Staat es schon richten wird. Brave Untertanen eben, die nicht sehen können, dass sie so ihre Freiheit Stück für Stück aufgeben.

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