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Prozess in Paris: Müssen Argumente von IS-Kämpfern ernst genommen werden?

Von Peter Haisenko 

In Paris findet gerade der Prozess wegen der Terroranschläge 2015 statt, bei dem 130 Menschen ihr Leben lassen mussten. Der Hauptangeklagte überrascht nun mit einer Aussage, die die Anschlagsserie als Notwehr erscheinen lassen soll. Ist das nachvollziehbar?

Stellt man ganz unvoreingenommen die Zahlen nebeneinander, wie viele Menschen im Westen bei Terroranschlägen ums Leben gekommen sind und wie viele Menschen in islamischen Staaten durch die Einwirkung westlichen Militärs getötet wurden, gibt es ein eindeutiges Ergebnis. Der Faktor 1000 wird im Vergleich der Todeszahlen nicht ausreichen. Genau das führt nun der IS-Mann bei seinem Prozess in Paris an. Bei der Anschlagsserie vom 13. November 2015 starben mehr als 130 Menschen. Der IS reklamierte die Taten für sich. Der Angeklagte bezeichnet die Anschläge als Verteidigungsaktion. Wegen französischer Angriffe gegen Islamisten in Syrien mit zivilen Opfern habe die Miliz in Paris zugeschlagen, sagte der einzige Überlebende des Terrorkommandos, Salah Abdeslam, vor Gericht.

Betrachtet man die Geschichte, ist die Sache klar. Seit der Zeit, als Kolumbus die Neue Welt entdeckt hatte, haben europäische Nationen Mord, Raub und Sklavenhandel in die ganze Welt getragen und eroberte Länder ausgebeutet. Die spanischen Konquistadoren haben in Mittelamerika die halbe Bevölkerung ausgerottet und in Nordamerika sind Millionen Ureinwohner, Indianer, dem ungebremsten Eroberungswillen zum Opfer gefallen. Das Geschäft mit dem Sklavenhandel aus Afrika in die USA war äußerst gewinnbringend, aber zuverlässige Zahlen darüber, wie viele der „eingefangenen“ Sklaven auf dem Transportweg zu Tode gekommen sind, sind nur schwer zusammenzustellen. Eines aber sollte klar sein: Alle an diesen Raubzügen Beteiligten haben schwerste Schuld auf sich geladen.

Kein Gericht, das den Angegriffenen Gerechtigkeit widerfahren lässt

Dazu ist allerdings eines anzumerken: An allen diesen Verbrechen war kein deutschsprachiges Land beteiligt. Auch was den Kolonialismus betrifft, war das junge Deutsche Reich sehr zögerlich und sehr spät zu Gange. Es ist auch anders mit seinen Kolonien umgegangen, als es England, Frankreich, Belgien, Portugal oder Belgien praktizierten. Das Deutsche Reich hat seinen wenigen Kolonien einen Mehrwert gebracht und zum Beispiel die Schulpflicht eingeführt. Deswegen haben Deutsche bis heute einen guten Ruf in Afrika und dem Pazifik. Obwohl gerade von deutschen Nationalmasochisten daran gearbeitet wird, mit aller Gewalt deutsche Verbrechen zu konstruieren, müssen diese Versuche im Vergleich zu Gräueltaten der anderen als geradezu nicht-existent eingestuft werden. In Indien sind während der britischen Kolonialherrschaft 60 Millionen Menschen eines unnötigen Todes gestorben und der belgische König hat um 1900 im Kongo 10 Millionen Menschen in kürzester Zeit ermorden lassen – das war die Hälfte der Bevölkerung.

In der Neuzeit, während der letzten 30 Jahre, sind im Nahen und Mittleren Osten Millionen Menschen vor allem durch amerikanische Luftangriffe ermordet worden. Auch Briten und Franzosen haben ihren Teil dazu beigetragen. Tausende sind bei Angriffen von US-Drohnen ums Leben gekommen, vornehmlich Zivilisten. Auch in Afghanistan. Man möge sich auch an die Mordorgien der USA in Nordkorea und Vietnam erinnern. Mit Ausnahme von Letzteren waren das alles Überfälle auf Länder, die sich gegen die Masse an überlegener Technik nicht wehren konnten. Man hat sie feige aus zehn Kilometern Höhe mit Bombern ausgelöscht und dann die Länder verwüstet. Durch die selbstherrlich verhängten Sanktionen ist weiteren Millionen durch Hunger und fehlende Medikamente das Weitereben verwehrt worden.

So müssen wir unvoreingenommen feststellen, dass es der „Wertewesten“ ist, der Tod und Verderben nicht nur über die islamische Welt gebracht hat. Ist es da verwunderlich, wenn diese geschundenen Menschen einen abgrundtiefen Hass entwickeln und in schierer Hilflosigkeit versuchen, Genugtuung zu erlangen, ja Rache zu üben? Zumal ihnen der Weg nicht zur Verfügung steht, über internationale Gerichte diese Täter anzuklagen in der Hoffnung, vielleicht doch etwas Gerechtigkeit zu erfahren, Genugtuung schon gar nicht. Sie müssen in hilfloser Agonie einfach hinnehmen, was ihnen angetan worden ist. Vergessen wir nicht, dass keines der angegriffenen Länder seine Angreifer in irgendeiner Weise bedroht hat. Auch nicht Gaddafi, dessen Libyen ins Chaos gebombt und er selbst ermordet worden ist.

Aus ohnmächtiger Hilflosigkeit entsteht der Drang nach Rache und Vergeltung

In dem Hollywood-Film „True Lies“ durfte es der „Terrorist“ sagen: Ihr habt unser Land zerstört, unsere Frauen und Kinder ermordet, unsere Häuser zerstört und ihr wollt uns Terroristen nennen!? Vergessen wir nicht, dass es sich überwiegend um Länder handelt, in denen die Blutrache noch praktiziert wird. Selbstverständlich ist diese Denkweise bei uns schon länger abgestellt, aber die Voraussetzung dafür ist, dass es ein funktionsfähiges Rechtssystem gibt, das den Täter seiner Strafe zuführt, ohne den Geschädigten aktiv daran zu beteiligen. Wie aber ist es einzustufen, wenn sich die USA oder Israel das Recht herausnehmen, für jeden ermordeten US-Bürger oder Israeli sofort drastische Vergeltungsaktionen zu starten mit einem Vielfachen an Toten? Müsste man da nicht auch Arabern das gleiche Recht zugestehen? Vor allem deswegen, weil denen keine andere Option zur Verfügung steht?

Die USA maßen sich das Recht an, Präventivkriege zu führen. Das heißt, wenn sie eine Bedrohung aus irgendeinem Land sehen wollen, dann schicken sie ihr Militär und machen gleich mal das ganze Land platt. Im wahrsten Sinn des Wortes. Wenn sich dann herausstellt, dass es diese Bedrohung nicht gab und gibt, gibt es nicht ansatzweise eine Entschuldigung oder gar Wiedergutmachung. Im Gegenteil lassen sie ihre Soldaten weiterhin im Land und halten das Land besetzt. Da kann auch ich nur sagen: Und ihr wollt andere Terroristen nennen? Realistisch betrachtet sollte man sich wundern, wie wenige „terroristische“ (in diesem Fall in Anführungszeichen) Anschläge von diesen vergewaltigten Ländern aus im Westen verübt werden.

Wenn also ein Kämpfer des IS oder ein anderer Mensch aus überfallenen Ländern das Recht auf Verteidigung für seine Mordtaten in Anspruch nehmen will, ist das nicht aus der Luft gegriffen. Und nein, ich habe keinerlei Sympathien für den IS oder andere religiöse Fanatiker. Genauso wenig wie für die Schandtaten, die im Namen des Christentums und der Missionierung begangen worden sind. Und noch weniger für die Morde, die mit der gewaltsamen Verbreitung der quasireligiösen Demokratie begangen werden. Und nochmals nein, ich kann Vergeltungsaktionen von Islamisten nicht gut heißen, auch wenn ich Verständnis für die Motivation habe. Aber über welche Rache- und Vergeltungsaktionen würden Sie denn nachdenken, wenn einer Ihrer Liebsten ermordet worden ist und sie erkennen müssen, dass der bekannte Mörder straffrei ausgehen wird? Vergessen wir nicht, wie viele Sympathiebekundungen Marianne Bachmeier erhalten hatte, nachdem sie im Gerichtssaal den Mörder ihrer Tochter erschossen hatte, damals 1981. Googeln Sie mal dazu.

Der Verteidigungsaspekt des Attentäters sollte nachdenklich machen

Der überlebende Attentäter von Paris wird zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Das ist richtig so. Aber kann das auch als gerecht bezeichnet werden, wenn gleichzeitig der US-Präsident Obama straffrei ausgeht, der mit seiner Unterschrift tausende Drohnenmorde an Zivilisten befohlen hat? Wenn man mit einem Achselzucken darüber hinweggeht, dass die USA noch während ihres Abzugs aus Afghanistan Zivilisten in Kabul mit einem Drohnenangriff ermordet haben? Wenn niemand zur Rechenschaft gezogen wird, der dafür verantwortlich ist, „Agent Orange“ über Vietnam zu versprühen, weswegen heute noch missgebildete Kinder zur Welt kommen?

Es ist das Messen mit zweierlei Maß, das auch meinen Zorn immer wieder erregt. Es ist der Gedanke an die hilflose Wut der Opfer, denen schreiende Ungerechtigkeit widerfahren ist und die keine Aussicht auf Genugtuung haben. Wenn es terroristische Aktionen im Westen gibt, dann ist der Auslöser dafür der Westen selbst, respektive seine skrupellosen und psychopathischen Anführer. So hege ich die Hoffnung, dass das Anführen des Verteidigungsaspektes bei dem Prozess in Paris manchen nachdenklich macht und zu einem Umdenken führt, was man anderen Nationen und den Menschen dort antun darf.

Der Angeklagte in Paris hat auf einen Akt der Verteidigung plädiert. Frankreich hat Krieg gegen seine Heimat geführt, wenn auch einen unerklärten. Wenn also Frankreichs Militär in tausende Kilometer entfernten Ländern Krieg führt, dort Menschen mehr oder weniger wahllos umbringt und das als gerechtfertigt bezeichnet, muss man dann nicht auch einem Soldat aus eben diesem angegriffenen Land dasselbe Recht zugestehen? Nämlich auch im tausende Kilometer entfernten Frankreich genauso wahllos Zivilisten zu ermorden? Wer einen Krieg anfängt, darf sich nicht beschweren, wenn das Morden plötzlich auch in seinem Land ankommt. Das hat man zumindest den Deutschen genauso vorgehalten, als Rechtfertigung für die sinnlose Zerstörung seiner Städte.

Gerade mit Corona wird immer wieder betont, es käme auf jedes einzelne Leben an, das gerettet werden könnte. Ich sage dazu, dass es noch viel mehr darauf ankommt, auch das Leben von Andersdenkenden als schützenswert vor willkürlichem Mord einzustufen, und selbst wenn sie Islamisten sind. Es kann nicht richtig sein, dass „wir“ „gerechte“ Morde begehen, feige aus der Luft, und wenn eine Reaktion darauf erfolgt, diese dann als Terrorakt bezeichnen. Überlegen Sie doch mal, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie mit der dauernden Angst leben müssten, jederzeit aus heiterem Himmel von einer amerikanischen Hellfire-Rakete in Stücke gerissen zu werden. Sogar wenn Sie sich in Ihrer Wohnung aufhalten.

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