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Kindesmissbrauch: Ein widerliches Phänomen, das es zu bekämpfen gilt

Von Hubert von Brunn 

Mit 94 kann man schon mal was vergessen. Das passiert auch jüngeren Leuten. Aber bei Josef Ratzinger, emeritierter Papst Benedikt XVI. und in dieser Eigenschaft der Stellvertreter Gottes auf Erden, hängt die Messlatte eben deutlich höher. Stellvertretend für eine ganze Generation an Vertuschern sexueller Gewalt wird er jetzt medial ans Kreuz geschlagen.

In seiner schriftlichen Stellungnahme für das Missbrauchsgutachten der Erzbistums München und Freising hatte er zunächst angegeben, von nichts gewusst zu haben. In dem 1.900 Seiten starken Gutachten wird ihm indes vorgehalten, in mindestens vier Fällen (1977-1980) als Erzbischof des Bistums versagt zu haben. Der Fall eines Priesters, der mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern auffällig geworden war und dennoch später wieder als Priester in Bayern eingesetzt wurde, war Thema einer Ordinariatssitzung 1980. Daran habe er nicht teilgenommen, behauptete Ratzinger – bis eben jetzt die Studie auch das Protokoll jener Sitzung veröffentlichte, aus dem zweifelsfrei hervorgeht, dass der damalige Erzbischof Ratzinger eben doch zugegen war. Weiter leugnen war jetzt zwecklos. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als in einer Stellungnahme einzuräumen, eine falsche Aussage gemacht zu haben.

Da hat ihm sein Privatsekretär und Sprachrohr Georg Gänswein wohl ins Ohr geflüstert: „Mensch Josef, hat doch keinen Sinn mehr. Gib’s halt zu, dann is a Ruh. Du hast doch nix mehr zu verliern.“ Das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) indes kritisierte dieses Eingeständnis des Ex-Papstes als „unzureichend“. Seine Verhaltensweise, lediglich etwas einzugestehen, was nicht mehr zu verleugnen ist, sei „nicht glücklich“ und folge einer „Salamitaktik“. Das muss man wohl so sehen. Die Präsidentin des ZdK geht in ihrer Kritik noch weiter, indem sie konstatiert, das Eingeständnis eines Fehlers sei „immer noch kein Schuldeingeständnis“. Ratzinger habe sich mehrfach falsch verhalten und die Opfer des sexuellen Missbrauchs nicht im Blick gehabt. Er müsse nun „persönlich und moralisch Verantwortung übernehmen“. Auch in seinem jetzt nachgeschobenen 80-seitigen schriftlichen Statement bleibt der Ex-Papst zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche indifferent. Bis zum nächsten unwiderlegbaren Fall – dann muss wieder ein Salamischeibchen abgeschnitten werden.

Der Zölibat und das systemische Problem der katholischen Kirche

Als ehemaliges Oberhaupt der katholischen Kirche steht Ratzinger, wie schon gesagt, natürlich ganz oben auf der medialen Abschussliste. Doch wir haben es in Wirklichkeit mit einem systemischen Problem zu tun. Hunderte von Pfarrern, Mönchen, Äbten, Bischöfen, Kardinälen sind in diesem seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten andauernden Missbrauchsskandal verstrickt. Das hat nicht zuletzt mit der Geschichte der katholischen Kirche zu tun, sprich mit der Einführung des Zölibats durch Papst Innozenz III. im 12. Jahrhundert.

Über die Hintergründe, die zu dem im 2. Lateran-Konzil verkündeten Erlass geführt haben, will ich hier nicht eingehen. Das würde den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. Tatsache ist, dass durch diese von oben verordnete Keuschheit und Ehelosigkeit des Klerus das Lebensgefühl und die Lebensumstände der Männer, die sich der Nachfolge Christi geweiht haben, fundamental verändert hat. In dem Moment, da ein Mann ein Glaubensgelübde ablegt, wird er ja nicht automatisch asexuell. Das Bedürfnis nach sexueller Befriedigung ist von Natur aus im Menschen angelegt – dagegen ist auch ein Papst machtlos.

Also geschieht es im Verborgenen. In der Toskana gibt es einen Hügel, an dessen gegenüberliegenden Flanken man bis heute ein Männerkloster auf der einen und ein Frauenkloster auf der anderen Seite besuchen kann. Beide Klöster sind durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden. Hinter dem Nonnenkloster gibt es einen Friedhof mit zahlreichen kleinen Kindergräbern(sic!). Auf der Ebene der normalen Seelsorger hat es sich eingebürgert, dass jeder seine Pfarrköchin hatte, die ihm den Haushalt versorgte. Diese Frauen sollten nicht zu jung sein, am besten mittleren Alters und verheiratet. Wenn sie schwanger wurde, musste es ja der Ehemann gewesen sein. Und wenn diese bequeme Einrichtung nicht möglich war, musste man sich eben andere Möglichkeiten suchen, um den Überdruck loszuwerden. Seit wie vielen Jahren wird über die Abschaffung des Zölibats, der längst nicht mehr zeitgemäß ist, diskutiert? Ohne Ergebnis. Wie viel Hoffnung haben aufgeklärte Katholiken in den amtierenden Papst Franziskus gesteckt, dass er die verkrustete Sexualmoral der Katholiken aufbrechen und erneuern würde? Fehlanzeige! Diesbezüglich passiert nichts in der katholischen Kirche.

Bei den Evangelen sieht es nicht viel besser aus

Das Münchner Missbrauchsgutachten hat noch einen anderen Aspekt zutage gebracht. Ist man bisher davon ausgegangen, dass Kirchenmänner Fälle von Kindesmissbrauch vertuschten, weil sie um den Ruf der Kirche fürchteten, gibt es jetzt einen neuen Verdacht: Gottes Bodenpersonal erpresst sich gegenseitig. Wie es heißt, haben die Gutachter „eng geknüpfte Netzwerke“ bis hin zu „herausgehobenen Positionen in der Hierarchie des Ordinariats“ ausgemacht. Wenn also beispielsweise homosexuelle Tendenzen eines priesterlichen Mitbruders bekannt wurden, war damit ein erhebliches Erpressungspotenzial gegeben. Er war wie die Fliege im Netz der Spinne. Und so entwickelte sich sukzessive ein Kartell des Schweigens, denn wer wollte schon an den Pranger gestellt werden? – Wenn Kardinal Marx als Reaktion auf das Gutachten sagt: „Wir sehen ein Desaster“, kann man dem nur zustimmen – und ein Ende ist nicht absehbar. Dieser Skandal in der katholischen Kirche ist noch längst nicht ausgestanden und wir werden dieses Thema sicherlich noch mehr als einmal aufgreifen.

Auch wenn bei diesem widerlichen Thema die katholische Kirche nun erneut in die Schusslinie geraten ist, darf man sich aber nichts vormachen. Das ist keineswegs ein exklusives Problem der Katholen. Bei den Evangelen ist es – vielleicht in etwas abgeschwächter Form, weil es den Zölibat nicht gibt – sehr wohl auch virulent. Dort sind die Objekte der Begierde offensichtlich weniger die Knaben, sondern weibliche Teenager. Der Konfirmandenunterricht ist, wie man hört, ein beliebtes Betätigungsfeld für sexuelle Übergriffe. Wenn man sich mit diesem abscheulichen Thema beschäftigt, dann muss man feststellen, dass Kindesmissbrauch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Erinnern wir uns nur an die in den letzten Jahren aufgespürten und trockengelegten Netzwerke von Produzenten und Vertreibern von Kinderpornographie. Zigtausende von Fotos und Videos der übelsten Art sind unterwegs im Netz. Diejenigen, die man erwischt hat, wurden – im Gegensatz zu den Tätern unter dem Deckmäntelchen der Kirche – ordentlich verknackt. Gut so. Aber wie viele solcher Netzwerke gibt es noch, in denen die User ihre schmutzige Phantasie weiter ausleben?

Spitzenpolitiker der Grünen haben der Pädophilie gehuldigt

An der Stelle müssen wir ein paar Jahrzehnte zurückgehen, mindestens in die 1970-er Jahre. Bis in die 1990-er Jahre haben Mitglieder der ach so fortschrittlichen und gutmenschelnden Partei der Grünen Pädokriminalität nicht etwa vertuscht, sondern regelrecht propagiert. Das grüne Urgestein (und gern gesehener Talkshow-Gast) Daniel Cohn-Bendit hat in frei zugänglichen Texten von ihm geschildert, wie Kleinkinder ihn im Genitalbereich streicheln. Im einst vom „roten Dany“ verantworteten Frankfurter Stadtmagazin „Pflasterstrand“ gibt es zig Texte, die Sexualität mit Kindern feiern. Beispiel: „Letztes Jahr hat mich ein 6-jähriges Genossenmädchen verführt“, heißt es in dem Beitrag „Gedanken eines Sauriers“ aus dem Jahr 1978. Und etliche systemrelevante Medien haben dieser pädophilen Selbstverständlichkeit auch noch Vorschub geleistet. So wurde in einem Artikel des „Spiegel“ von 1970 tatsächlich bezweifelt, ob Kindesmissbrauch überhaupt Schaden anrichtet. Vielmehr gehe die Annahme einer seelischen Schädigung von Kindern durch sexuelle Übergriffe auf eine „tradierte Tabuisierung des Sexuellen überhaupt zurück“. Diese libertine Grundhaltung grüner Spitzenpolitiker mit Unterstützung angeblich progressiver Medien haben zu der Verrohung einerseits und der gleichzeitigen Verharmlosung von Kindesmissbrauch beigetragen.

Wenn dieses Thema in unserer Gesellschaft endlich virulent geworden ist, dann darf man sich nicht nur auf die katholische Kirche einschießen. Dann muss man auch die Vorgänge in der evangelischen Kirche und die Historie der Grünen zu diesem Thema hinterfragen. Dazu gehörte dann auch die Veröffentlichung der von der Heinrich-Böll-Stiftung bis heute unter Verschluss gehaltenen Texte von Cohn-Bendit. Als das Thema Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche 2010 erstmals in der Öffentlichkeit so richtig hochgekocht ist, hat die damalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gefordert, dass es nicht angehe, die Aufarbeitung der Verbrechen an Kindern allein den kircheninternen Gremien zu überlassen, sondern dass hier die weltliche Gerichtsbarkeit einschreiten müsse. Damals ist sie mit ihrer Forderung gegen die Wand gelaufen. Zwölf Jahre später und um viele Vorfälle klüger ist es wahrlich an der Zeit, diese Forderung endlich in die Tat umzusetzen. Alles wird bei uns geschützt: Wölfe, Fledermäuse, Biber, Trappen, jede Menge Pflanzen, Wälder, Gewässer… Nur beim Schutz von Kindern, den Schwächsten in unserer Gesellschaft, hapert es. Das muss ein Ende haben! Nicht nur in den Kirchen! Und hier sind Gerichte gefragt, die allein den Straftatbestand beurteilen – unabhängig von Person und Glauben – und dann auch saftige Strafen verhängen.

Anmerkung von Peter Haisenko: 
Eben wurde in Moskau bekanntgegeben, dass in Russland pädophile Straftäter im Wiederholungsfall lebenslang, also für immer, weggesperrt werden. Aber Russland kann ja nicht als Vorbild herhalten. Im Übrigen ist es in der russisch-ortodoxen Kirche so, dass ein angehender Priester vor seiner Weihe heiraten darf, sogar soll, aber eine Scheidung ist nach Kirchenrecht nicht möglich. 

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