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Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr: Eine Nachlese

Von Peter Haisenko 

Nach beinahe 20 Jahren und 59 toten deutschen Soldaten plus ein Mehrfaches an traumatisierten und dienstunfähig entlassenen ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan jetzt beendet. Nicht einmal die Verteidigungsministerin selbst, geschweige denn Kanzlerin oder Bundespräsident haben sich herabgelassen, die letzten Heimkehrer in der Heimat zu begrüßen. War also alles für die Katz?

Betrachtet man den Zustand Afghanistans vor und nach dem Einsatz der NATO-Truppen, kann die Antwort nur ein klares „Ja“ sein. Natürlich muss man da ganz brutal die zigtausenden Zivilisten und der afghanischen Armee einfach übersehen, die während dieser Zeit den vorzeitigen Tod gefunden haben. Genauso wie die Talibankämpfer und ihr Umfeld, die im Fadenkreuz der US-Armee standen. Nicht zu vergessen diverse „Kollateralschäden“ durch Drohnenangriffe, zum Beispiel auf harmlose Hochzeitsgesellschaften. In der Bilanz ist es sicher nicht falsch zu sagen, dass es für das Land selbst besser gewesen wäre, wenn sich keine fremden Truppen eingemischt hätten. Ja vielleicht hätten dann weniger Frauen Zugang zu Bildung gehabt, aber es hätte auch weniger Tote und Traumatisierte gegeben und weniger Hass untereinander. Für mich steht über all dem die Frage, was es uns angeht, wie Menschen in fremden Ländern leben, leben müssen oder leben wollen.

Doch lassen wir zu diesem Thema einen Mann sprechen, der als Offizier mehrmals vor Ort Dienst geleistet hat. Hier also sein bissiger, kritischer und auch etwas frustrierter Leserbrief, den er in der SZ zur Veröffentlichung gebracht hat, als Antwort auf einen Artikel, der, wie üblich in der SZ, an der Realität vorbeigegangen ist:

Betreff: Fwd: Abzug aus Afghanistan "Teitweise stabil" v. Stefan Kornelius (SZ v. 3/4.07.2021) 
Die erste und letzte Obergefreitenmeldung

Mit Entscheidung des Bundestages für einen Einsatz in Kunduz/Afghanistan flog das Vorauskommando am 22. Oktober 2003 über Termez nach Kunduz und löste die US-Truppen im Camp ab (25.10.2003). Kaum hatte also der Bundestag den Einsatz befürwortet, marschiert die Truppe, so die Meldungen. Toller Eindruck.
Jetzt nun wurde gemeldet, daß gegen 21.54 h am 29.06.2021 die letzte Truppe Afghanistan verlassen hat. Also im Termin. Toller Eindruck?

Diese "Obergefreitenmeldungen" hinterlassen einen fahlen Geschmack. Es sind 59 Kameraden zu beklagen. Eine viel größere Anzahl erlitt posttraumatische Störungen, wurden entlassen, standen ohne Perspektive da. Hinter allen Opfern stehen Familien. In Deutschland wurde der Einsatz mit "höflichem Desinteresse" begleitet (Zitat Bundespräsident Köhler) Erst zu Gutenberg sprach von einem kriegsähnlichen Einsatz. Bis dato waren die Einsatzregeln (RoE) so, daß die "bewaffneten Beamten" nur in Notwehr handeln dürfen. Wenn an Check Points geschossen wurde, bekamen es die Soldaten mit der Staatsanwaltschaft in Deutschland zu tun.

Ein robuster Einsatz war nicht gewünscht. Man hatte teilweise bei der Parlamentsarmee den Eindruck, daß den Abgeordneten am liebsten wäre, wenn bei jedem Soldaten durch eine Web-Cam hautnah der Einsatz mit zu erleben ist. Es gab die nationale Weisung zum ISAF-Einsatz, daß deutsche Soldaten nur im Verantwortungsbereich Deutschlands eingesetzt werden dürfen. Andere Länder hatten ähnliche Einschränkungen. Der Schutz großer Vorhaben wie Bau der Hairatanbahn oder Vollendung der Ring Road wurden verworfen. Irgendwann schickten die USA ca. 4 - 5000 Soldaten, um die eingeigelten dt. Soldaten "zu unterstützen". Gefühlte 90% der Bundeswehrsoldaten haben das Lager nie verlassen - wie im gefühlten "offenen Strafvollzug".

Viele Staaten der internationalen Gemeinschaft machten ihr "eigenes Ding". Die Deutschen versagten komplett bei der Polizeiausbildung, die dann der EU übertragen wurde. Millionen an Entwicklungshilfe gingen in die Taschen der Warlords. Bereits die erste Petersberg-Konferenz (25.11.-6.12.2001) unter Herrn Fischer (Grüne) ging in die Hose, in dem man nicht die Zivilgesellschaft umfassend berücksichtigt hatte. Hier wurden die entscheidenden Weichen falsch gestellt.

Wozu war also die Bundeswehr am Hindukusch ?

Da sich in Mali wohl viele Fehler wiederholen, wäre eine umfassende Aufarbeitung aus den gewonnenen Erfahrungen (sog. Lessons learned) dringend zu empfehlen. Umfassende Berichte der Einsatzsoldaten liegen vor. Dazu gehört jedoch auch die Arbeit der GIZ und anderer Ministerien in dieser Zeit im Rahmen der Entwicklungshilfe.

Herr Kornelius (Anm. der Red.: der SZ-Autor) sollte sich mal den Begriff "Stabilitätseinsatz" näher ansehen. Hier eine aktuelle Definition: "Deutschland ist sich bewusst, dass der Einsatz militärischer Kräfte nötig sein kann, um Krisen schon im Entstehungsprozess zu begegnen und Konflikte zu vermeiden. Mit den vielfältigen militärischen und militärpolitischen Handlungsinstrumentarien können Streitkräfte Gewalt nicht nur eindämmen oder deren Einstellung erzwingen, sondern darüber hinaus auch dazu beitragen, Gewaltursachen abzubauen."

Hätte der Einsatz auch ein Erfolg sein können?

Soweit also die Beurteilung des deutschen Offiziers, Dr. Joachim Sproß. Dr. Sproß ist Rechtsgelehrter und Reserveoffizier und war auch in dieser Funktion vor Ort tätig. Mehrmals, bei der Bundeswehr und bei der GIZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Dr. Sproß kann aber auch Anderes berichten, über seine Tätigkeit in Afghanistan und seine Arbeit mit Juristen dort. Es gab sehr wohl fruchtbare Ansätze zum Beispiel beim Aufbau einer Rechtsordnung, bevor die von Anfang an grassierende Konzeptlosigkeit auch diese Arbeit im Nirwana enden ließ. Er kann berichten von großem Respekt für Deutsche und Deutschland und wie Afghanen gegenüber Deutschen grundsätzlich freundlich gestimmt waren. Im Gegensatz zu Amerikanern oder Briten.

Dr. Spross kann viele Geschichten erzählen, über seine Arbeit und welch teils skurrile Situationen sich ergeben haben, wenn westliche und afghanische Kultur aufeinander treffen. Und ja, manchmal war es auch lustig. Er berichtet darüber, wie deutsche Soldaten durch deutsche Bürokratie behindert wurden, bis zur Verzweiflung. Aber damit mache ich hier Schluß, denn wen es interessiert, der kann das kleine Büchlein im AnderweltVerlag erwerben, das Dr. Spross über seine Zeit in Afghanistan verfasst hat: „Verteidigung am Hindukusch“. Es ist bebildert und trägt nicht unbedingt zur Freude der Verteidigungsminister der letzten 20 Jahre bei.

Weil der Afghanistaneinsatz beendet ist, wollen auch wir vom AnderweltVerlag dieses Kapitel für uns abschließen und so haben wir uns entschlossen, dieses kleine Geschichtsdokument zum Sonderpreis in den Ausverkauf zu geben. Sie können es für 10,- € inklusive Versandkosten direkt beim Verlag hier bestellen. Sollten Sie bei Ihrem Besuch auf unserer Verlagsseite noch weitere Bücher finden, die Sie dazu bestellen wollen, so gilt bei dieser Sonderaktion auch für diese Versandkostenfreiheit. 

Hier erhalten Sie weitere Informationen zum Buch „Verteidigung am Hindukusch“ mit Leseproben: https://www.anderweltonline.com/laender/afghanistan/ 

Was macht so ein Afghanistan-Einsatz mit einem Mann? Sehen Sie selbst: Dr. Spross in Afghanistan und im zivilen Leben. 

OTL Dr. Sproß "Don Cimic"
Dr. Sproß zivil

 

Nachtrag:

Die totale Nichtachtung der letzten aus Afghanistan heimgekehrten Bundeswehrsoldaten ist peinlich und zutiefst beschämend. Die Männer und Frauen in Uniform durften dort im Auftrag des Parlaments ihren Kopf hinhalten und niemand hielt es für nötig, ihnen in der Heimat einen einigermaßen freundlichen Empfang zu bereiten. Nichts Pompöses mit Tschingderassabum und salbungsvollen Reden – nein, aber eine Geste der Dankbarkeit und der Anerkennung wäre angebracht gewesen. Nun hat CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt angeregt, für die Afghanistan-Kämpfer im Bundestag einen Festakt abzuhalten. Eine Initiative mit reichlich Verspätung – aber immerhin. Ob sich Dobrindt mit seinem Vorstoß durchsetzt, ist jedoch fraglich. Veranstaltungen, bei denen mit kritischen Fragen zu rechnen ist, mag Frau Merkel nicht. Da hält sie lieber die Raute des Schweigens drüber. Das war bei der jüngsten Messerattacke in Würzburg so und das ist auch bei der Begegnung mit den Afghanistan-Heimkehrern so. Gott sei Dank hat die Raute bald ausgedient.

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