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Der erzwungene Entschuldigungskult produziert Lügen

Von Peter Haisenko 

Im Zeitalter von Twitter & Co. hat sich geradezu ein „Entschuldigungskult“ entwickelt. Nach medialem Druck entschuldigt man sich für eine „unbedachte“ Wortwahl und eigentlich war es gar nicht so gemeint. Wie war es aber dann gemeint?

Man sollte davon ausgehen können, dass Personen, denen öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, so formulieren können, dass es unmissverständlich ist. Wenn sie das nicht können, steht ihnen keine Aufmerksamkeit zu und sie sollten lieber den Mund halten. Allerdings ist zu beobachten, dass sich gerade Personen, die als Politiker über unser Wohl bestimmen, sehr schnell für das entschuldigen, was sie gerade von sich gegeben haben. Es sei ja ganz anders gemeint gewesen, als es offensichtlich angekommen ist. Zumeist ist das eine Lüge. Mit der strittigen Äußerung hat man erreicht, was geplant war. Es sei denn, man ist wirklich dumm. Herrn Habeck zum Beispiel ist dieses Licht wohl aufgegangen, denn er hat sich eine Twitter-Abstinenz verordnet.

Bei Boris Palmer hingegen darf man annehmen, dass er seine umstrittenen Tweets ganz gezielt ablässt. Er bedient zunächst die Klientel, von der er annehmen kann, dass sie ihm zustimmen. Kommt dann der große Aufschrei, oder Neudeutsch „Shitstorm“, dann relativiert er. War ja ganz anders gemeint, als es rübergekommen sei. Bleibt der Aufschrei aus, gibt es keinen weiteren Kommentar dazu. Das hat Methode. Man kann so Dinge sagen, von denen man weiß, dass sie nicht „politisch korrekt“ sind. Je nachdem, wie weit die Person sowieso schon unter strenger Beobachtung der „Sitten- und Demokratiewächter“ steht, welcher politischen Ideologie er anhängt, wird er geschlachtet oder sein „Ausrutscher“ wird ignoriert. Heißt die Person Baerbock, übernehmen die ihr gefälligen Medien selbst die „richtige“ Interpretation des Schwachsinns, den sie wieder mal abgesondert hat.

Wenn alles politisch korrekt sein muss, gibt es keine ehrliche Diskussion mehr

Das ausgesprochene Wort kann nicht zurückgeholt werden. Schon gar nicht, wenn es aufgenommen oder gar abgedruckt worden ist. In Zeiten allgegenwärtiger Smartphones sollte das jedem bewusst sein. Dazu stelle ich die Frage, inwieweit dieser neue Umstand überhaupt noch eine fruchtbare Diskussionskultur zulässt. Ehrliche Diskussionen, die politische Korrektheit außer Acht lassen müssen, damit unterschiedliche Standpunkte klar und unmissverständlich herausgearbeitet werden können. Ist es nicht eher das Ende jeglicher zielführender Diskussionskultur, wenn nur noch politisch korrekt weichgespülte Argumente oder Positionen verwendet werden (dürfen)? Können derartige „Diskussionen“ überhaupt noch als solche bezeichnet werden?

Ist es nicht so, dass jeder, der eine eigenständige Position zu Russland oder Corona vorbringen will, schon in vorauseilender Korrektheit seinen Argumenten Sätze voranstellen muss wie: „Natürlich ist in Russland auch nicht alles in Ordnung“ oder „selbstverständlich leugne ich die Existenz und Gefährlichkeit dieses Virus nicht“. Ganz gleich, ob das tatsächlich seiner Überzeugung entspricht. Aber sagt man das nicht, wird einem schon im Voraus jegliche Seriosität abgesprochen und man als „Putinversteher“ oder „Coronaleugner“ diskriminierend abgestempelt. Argumente von „so einem“ müssen dann nicht mehr ernst genommen oder gar überdacht werden. Eines sollte hier klar sein: So kann Demokratie nicht funktionieren. Das ist in etwa so, wie dereinst in der Sowjetunion jeder Rede voranstehen musste: ‚Ich lobe und achte die Weisheit und Güte des Genossen Stalin.’

Rutscht im Eifer des Gefechts dann doch einem Politiker eine Formulierung heraus, die seine wahren Gedanken reflektiert, dann kann man die Minuten zählen, bis er sich selbst relativiert und entschuldigt. Entschuldigt dafür, dass er endlich mal das gesagt hat, was er wirklich meint. So jetzt der US-Präsident, nach seinem Treffen mit Präsident Putin in Genf. Auf die wiederholten Vorhaltungen einer Journalistin, die Bezeichnung „konstruktiv“ für das Treffen seien nicht zutreffend, antwortete ein entnervter Biden: „Wenn Sie das nicht verstehen, sind Sie im falschen Geschäft." Abgesehen davon, dass sich seit einiger Zeit eine freche Respektlosigkeit gegenüber Politikern breit gemacht hat, die man angreifen will, empfinde ich es als völlig unangebracht, wenn sich Biden, der amtierende Präsident, für den erteilten Rüffel entschuldigt.

Relativieren aus Angst, die Karriere könnte Schaden nehmen

Das ist in etwa so daneben, kontraproduktiv, wie wenn sich Eltern bei ihren Kindern dafür entschuldigen, dass sie eine angebrachte Strafe ausgesprochen haben oder eben mal laut geworden sind, ob der Impertinenz ihrer Kinder. Da wird der Erziehungsauftrag pervertiert, denn die Strafe oder die lauten Worte sollen dazu führen, dass das Kind etwas einsieht und es ist das Kind, das wegen seiner Ungehörigkeit um Verzeihung bitten muss. So ist es nur logisch, dass Generationen, die in dieser Weise sozialisiert wurden, darauf drängen, dass sich jemand dafür entschuldigen soll, wenn er einen ehrlichen und angebrachten Standpunkt vorgetragen hat. Entschuldigen, nur weil es dem eigenen Standpunkt oder der angesagten politischen Korrektheit zuwider läuft. – Das ist das arrogante Klientel jener, die für sich in Anspruch nehmen, alles besser zu wissen und in ihrer maßlosen Selbstüberschätzung keine andere Meinung als die ihre dulden. Das sind die selbsternannten Sprachpolizisten, die sich mit tatkräftiger Unterstützung des ÖRR anheischig machen, der Mehrheit der Bürger zu diktieren, was sie sagen dürfen und wie sie es zu sagen haben.

Ich empfinde es als zutiefst unehrlich, wenn sich jemand für eine ausgesprochene Position entschuldigt, sie relativiert, wenn nur genügend Gegenwind aufkommt. Haben wir denn keine Persönlichkeiten mehr, die zu dem stehen, was sie gesagt haben? Die ihre strittige Position erklärend erweitern, weil sie diese aus Überzeugung vorgetragen haben? Die sich nicht sofort korrigieren und um Entschuldigung bitten, weil sie Angst haben, eine kontroverse Meinung könnte ihrer Karriere schaden? Nicht nur der politischen.

Gerade in Corona-Zeiten haben wir zu oft erleben müssen, wie es keinen Tag gedauert hat, dass ein halbwegs mutiger Politiker seine „Öffnungsstrategie“ wieder gestrichen hat, weil aus Berlin ein „geht gar nicht“ gekommen ist. Was kann man Politikern überhaupt noch glauben, wenn sie etwas fordern oder anleiern wollen und sofort gegen ihre offensichtliche Überzeugung einknicken – ganz offensichtlich aus Karrieregründen? Gibt es überhaupt noch Persönlichkeiten in der Politik, die eine eigenständige Position aus Überzeugung vertreten, auch wenn sie nicht in Merkels Agenda passt? Gibt es überhaupt noch Politiker, die sich eine eigene Meinung leisten, die von der angesagten Richtung abweicht? Ja, die gibt es noch, aber das sind dann alles rechtsradikale Klima- und Coronaleugner oder Putinversteher. Wie erfrischend und ehrlich waren da doch Politiker wie Wehner oder Strauß!

Wer eine klare Position hat, muss sich dafür nicht entschuldigen

Ich empfinde es als erbärmlich, wenn sich Diskutanten schon für ihren Standpunkt entschuldigen, bevor sie ihn vorgetragen haben. Und sich anschließend wohlmöglich dafür entschuldigen, dass sie ihn überhaupt vorgetragen haben. Und dann die Position noch relativieren, verwässern, anstatt „wie Männer“ dazu zu stehen. Wird denn so nicht alles zu einem unerträglichen Lügengebilde, wenn aus Karrieregründen niemand mehr zu seinen Überzeugungen steht? Wenn die Kanzlerin selbst ihre Position so lange geheim hält, bis sie aus Umfragen erfährt, welches Vorgehen ihr am wenigsten schaden könnte? Die Kanzlerin, die gesagt hat, sie hätte einen Plan, will den aber nicht ausplaudern. Das dürfte wohl die Spitze der Unehrlichkeit sein und in einer Gesellschaft, die noch einen Funken von Anstand und Moral hat, müsste sie sofort aus dem Amt entfernt worden sein. Es kann nicht sein, dass eine Kanzlerin ihren Wählern verschweigt, was sie für deren Land plant. Jawohl, für das Land der Wähler, dessen Dienerin sie sein sollte.

In Zeiten von Twitter & Co. ist es unvermeidlich, dass es Schnellschüsse gibt, die Kontroversen provozieren. Das wäre eigentlich förderlich für jede Demokratie, jede Diskussionskultur, denn es wäre einigermaßen ehrlich. Jeder hat es schon erlebt, dass im Streit mit einem langjährigen Partner Dinge angeführt werden, die mit der aktuellen Sache wenig zu tun haben, aber schon lange vor sich hin gären. In diesen aufgeheizten Situationen wird die Wahrheit gesagt darüber, was man eigentlich schon vor langer Zeit hätte anführen sollen, um die Beziehung zu verbessern. Oder zu beenden. Man kann aber darauf warten, dass im Zuge einer „Versöhnung“ relativiert wird. Entschuldigung, das habe ich so nicht gemeint. Das ist immer eine Lüge, denn genau so war es gemeint, aber es bedurfte des offenen Zorns, um diese bittere Wahrheit auszusprechen.

Der „Entschuldigungskult“, die Relativierung von Aussagen, die abseits des angesagten Meinungsdiktats stehen, produziert nicht nur Lügen. Es ist eine unheilvolle Selbstverleugnung, die für den Leugner selbst schwere psychische Schäden verursacht. Die Menschen davor zurückschrecken lässt, sich überhaupt eine eigene Meinung zu erlauben und diese dann auch noch vorzutragen. In meinen Augen gibt es nur einen Grund, sich für eine Aussage zu entschuldigen. Nämlich dann, wenn man jemandem mit seinen Worten Unrecht getan hat. Wenn man jemanden verleugnet hat, wider besseres Wissen.

Wer sich aber dafür entschuldigt, dass er seine persönliche Meinung und Ansicht zu einem Thema geäußert hat, der hat jeden Anspruch auf Respekt verloren. Der ist nur noch ein amorphes Karrieretier, das wahrscheinlich gar nicht seine Überzeugung geäußert, sondern nur das geplappert hat, was er für sich im falschen Moment als karriereförderlich angenommen hat. So komme ich zu dem Schluss, dass die Lüge bereits mit der Aussage beginnt, die dann anschließend relativiert wird und eine Entschuldigung folgen lässt. Wer eine Überzeugung hat, der steht dazu, ganz gleich, welche Auswirkungen das auf seine Karriere hat. Alles andere ist nur dummes Gewäsch, das abgesondert wird mit dem Ziel, hier oder dort Karrierepunkte zu sammeln. Das kann dann mehr oder eben weniger politisch korrekt ausfallen.

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