Zweifelhaftes „Heldentum“ zur Rettung der Ukraine
Von Wilfried Schuler
In den frühen Tagen der Irakbefreiung – man erinnere sich an „Mission Accomplished“ – machte in den USA ein geflügeltes Wort die Runde. „Softies gehen nach Bagdad, richtige Männer nach Teheran“. Diesen dummen Spruch könnte man sinngemäß auf die EU und ihre Rettungsaktionen anwenden. „Troika-Weicheier verlieren ihre Zeit in Athen. Professionelle und harte Finanzakrobaten retten die Ukraine“. Peer Steinbrück hatte ja bereits Interesse bekundet. Aber, die Konfrontation mit der Realität hat ihn wohl bewogen, die Fühler wieder ein zu ziehen.
Wolfgang Ischinger (u.a. ehemaliger Botschafter, Honorarprofessor und Beirat von „Fair Observer“) – bisher einer der eifrigsten Kriegstreiber in Deutschland, scheint sich für solch einen harten Hund zu halten. Dieser Tage forderte er ein Hilfsprogramm für die Ukraine. Eingedenk der Tatsache, dass Leute seines Kalibers Milliarden verbraten haben, um das Chaos dort noch zu vertiefen, ist diese Aufforderung eine Frechheit. Und seine nicht vorhandene Kompetenz dokumentierte er, indem er sinngemäß sagte: Wenn nun die Ostukraine kaputt sei, müsse eben die Westukraine aufgebaut werden. Was soll dieses sinnentleerte Geplapper? In der Westukraine gibt es gar keine nennenswerte Industrie. Was will er da aufbauen? Eine Industrie dort müsste aus dem Nichts erschaffen werden. Welche Industrie überhaupt? Welche Produkte? Und wer soll sie kaufen? Wären diese Erzeugnisse überhaupt wettbewerbsfähig? So ein ignoranter Dampfplauderer. Die fast schon unwesentliche Frage, wer das bezahlen soll, stellt er gar nicht erst.
Fröhliche Urstände von Korruption und Unterschlagung
Es ist also angebracht einige Fakten zu dieser Debatte, die damit wohl offiziell begonnen wurde, zu nennen. Die Ukraine wurde mit Null oder sehr geringen Schulden aus der Sowjetunion entlassen. Seit 1994 gab es IWF-Kredite, verbunden mit den üblichen Austeritäts-Diktaten. Damit wurde vornehmlich der Osten schikaniert, indem die Löhne und Gehälter beschnitten und/oder verschleppt gezahlt wurden. 1996 kam es aus diesem Grund zu massiven Streiks im Donbass. Diese Vorgänge veranlassten den damaligen Ministerpräsidenten Lasarenko in die USA zu fliehen, wo er umgehend wegen Geldwäsche für neun Jahre im Gefängnis landete. In der Ukraine sind 50 Strafverfahren gegen ihn anhängig, darunter drei Mordfälle. Die Opfer Shcherbar, Momot und Hetman waren Banker. Hier taucht auch immer wieder der Name der bekannten Slawen-Barbie Julia Timoshenko auf. Natürlich weist sie diese Verwicklungen kategorisch von sich. Die amerikanische Justiz bezifferte die von Lasarenko veruntreute Summe auf 200 Mio. $.
Im Jahr 2008 wurden weitere 17 Milliarden $ Kredit vom IWF gezahlt. Es ist bekannt, dass unter der Regie von Jushtschenko und Timoshenko die Auflagen systematisch missachtet wurden. Es ist selbstverständlich nicht bekannt, wie viel Geld die diversen Oligarchen veruntreut haben. Ein Betrag von 30 Milliarden $ dürfte keinesfalls übertrieben sein. Das bedeutet, der Löwenanteil der Schulden ist durch Unterschlagung entstanden.
Die Höhe der Schulden und die Identität der Kreditgeber sind nicht wirklich transparent. Der Schuldenstand dürfte ca. 70 Milliarden $ betragen. Große Kreditgeber sind Russland, der IWF und amerikanische Fonds, die mit rund 10 Milliarden $ dabei sind. Diese Gruppe beginnt neuerdings Lärm zu schlagen, weil sie um ihr Geld fürchtet. Es steht zu befürchten, dass die erste Tranche einer größeren EU Hilfe in den Tresoren der Wall Street verschwinden und die besagten 10 Milliarden, analog der Griechenland Rettung, dem Steuerzahler aufgebürdet würden. Wenig beachtet, stand in der Zeitung, dass in Kiew ein Gesetz beschlossen wurde, das es der Regierung gestattet, die Bedienung von Krediten zu verweigern. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Regelung nicht für US Banken gelten wird, sondern in erster Linie der Provokation Russlands dienen soll.
Gegen die Ukraine war die DDR ein Kronjuwel
Heute, im Sommer 2015, steht fest, dass die Industrie der Ostukraine zu einem erheblichen Teil in Trümmern liegt. Der Zustand dieser Anlagen war bereits vorher weit hinter dem europäischen Standard. Mit Reparaturen ist es also nicht getan. Es kann nur ein vollkommener Neubeginn sein, denn alles Flickwerk würde in einer kommerziellen und technischen Sackgasse enden.
Zum besseren Verständnis einige Zahlen: Die Wirtschaftsleistung der Ukraine ist bereits zwischen 1991 und 1999 um 60 % gefallen. In Anbetracht der Rückgänge in 2014 und 2015, ist die heutige Ukraine wirtschaftlich betrachtet nur noch ein Schatten des Landes, dass es zu Sowjetzeiten war. 2012 erwirtschafteten 11 Mio. Griechen ein größeres BSP als 47 Mio. Ukrainer. Wenn also Griechenland als Problem wahrgenommen wird, was ist dann erst die Ukraine? Im Vergleich dazu war die DDR 1989 geradezu ein Kronjuwel. Dennoch, der Aufbau auf ihrem Terrain hat – vorsichtig gerechnet – zwei Billionen DM verschlungen. Mit Blick auf die Ukraine wagt man es kaum, den Gedanken zu Ende zu denken: Ein Land mit der dreifachen DDR-Bevölkerung und der sechsfachen Fläche in einem erbärmlichen Zustand, viel schlimmer als es die DDR jemals war. Legt man die o.g. DDR-Zahlen zugrunde, geht es beim Aufbau der Ukraine nicht um Milliarden. Hier stößt man in eine neue Dimension vor. Wenn man bedenkt, dass die EU Strategen in Griechenland 250 bis 300 Milliarden verbrannt haben, nur um den Zustand zu verschlimmern, was würde dann erst in der Ukraine passieren, im Epizentrum der Korruption? Führt man den Vergleich mit der DDR fort und denkt sich eine „Ukraine Treuhand“, die so handeln würde wie die Treuhand, nämlich erbarmungslos Betriebe liquidieren und Volksvermögen verschleudern, dann könnten solche Aktionen nur in einem monumentalen Desaster enden.
„Failed State“ vor der Haustür der EU
Sehr vielsagend ist dort der Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung von 71 auf 67 Jahre. Ein Phänomen, das aus dem Russland Jelzins bekannt ist. Putin hat bekanntlich diesen Trend umkehren können. Solche Kennzahlen sind ein Alarmzeichen für den freien Fall einer Gesellschaft. Dazu kommt noch der dramatische Wertverlust der Landeswährung. Überflüssig zu erwähnen, dass die Reste der Goldbestände bereits in Fort Worth sind. Vor der Haustür der EU ist ein „Failed State“ im Entstehen. Ein riesengroßes Kosovo. Dessen Bürger müssen nicht über das Mittelmeer auf der Suche nach einem besseren Leben – sie können mit der Bundesbahn kommen. Und an dieser Lage hat „Mutti“ tatkräftig mitgewirkt.
Der Mehrzahl der Bürger ist nicht klar, welches Konzept die Strategen in Washington und Berlin mit der Annektierung der Ukraine in die EU verfolgen. Neben der militärischen Komponente, geht es unter anderem um das große Potential an Niedriglohn-Arbeitskräften vor Ort. Mit dem Geld des Deutschen Steuerzahlers, würde man in der Ukraine eine industrielle Infrastruktur schaffen und dann weitere Autobetriebe und Zulieferer aus Deutschland abziehen. Wie das geht, hat man ja in Polen, Tschechien, Rumänien usw. bereits vorgemacht: Opel und Nokia, um nur zwei bekannte Unternehmen zu nennen. Damit könnte man weiterhin die Gewerkschaften in Schach halten und das Lohnniveau in Deutschland drücken. Die Arbeiter würden also mit ihrer Lohnsteuer die Instrumente bezahlen, die fünf bis zehn Jahre später zu ihrer Unterdrückung dienen.
Man darf gespannt sein, welches Heldenensemble uns demnächst die alternativlose Rettung der Ukraine verkaufen wird. Als Denkanstoß: Eventuell ein kleiner Ukraine-Soli, nur für wenige Jahre, so wie Willems Sektsteuer?