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Nun also der Papst – Wer unangenehme Wahrheiten sagt, wird umgebracht

Von Hubert von Brunn

Die Meldung “Morddrohungen gegen den Papst”, die einige Zeitungen am 14. April abdruckten, ist in mehrfacher Hinsicht erschütternd und birgt erheblichen Zündstoff in sich. Mit Andersdenkenden, die es auch noch wagen, unangenehme Wahrheiten beim Namen zu nennen, wird kein kritischer Disput mehr geführt – sie sollen eliminiert werden. An die Stelle einer dem demokratischen Prinzip inhärenten Streitkultur ist in den letzten 20-25 Jahren zunehmend ein menschenverachtender Radikalismus getreten, der vor nichts und niemand mehr Halt macht. Nun also ist Papst Franziskus in Visier geraten, und die Drohungen kommen aus der Türkei!

Das “Verbrechen”, dessen sich der Heilige Vater schuldig gemacht hat, besteht darin, dass er den Genozid, den die Osmanische Regierung 1915-17 an den Armeniern begangen hat, beim Namen nannte: Der erste Völkermord im 20. Jahrhundert in Europa. Die Zahl der Opfer variiert in der Geschichtsschreibung erheblich und wird – je nach Perspektive und zugrunde gelegten statistischen Materialien – mit 300.000 bis 1,5 Millionen beziffert. Doch bereits 1928 hat man sich gewissermaßen auf die Zahl 800.000 “geeinigt”. Eine Zahl, die auch der Gründer der Türkei, Mustafa Kemal, später Atatürk genannt, akzeptiert hat. Angesichts so vieler Opfer nicht von Völkermord zu sprechen, ist eine glatte Geschichtslüge.

Schuldanerkenntnis würde der Türkei teuer zu stehen kommen

Diese Lüge betreibt die türkische Regierung beharrlich, denn als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches müsste die Türkei – würde sie diesen Genozid als historische Tatsache anerkennen – Gerechtigkeit walten lassen. Und das würde dem türkischen Staat sehr teuer kommen. Denn dann müssten die Nachfahren der Opfer entschädigt werden. Grund- und Immobilienbesitz müssten zurückgegeben, über den Verbleib gestohlener Wertgegenstände Rechenschaft abgelegt werden und vieles mehr. Das türkische Volk, alle, auch die Jungen, die ursächlich mit den Verbrechen nichts zu tun haben, müssten sich zu einer gewissen moralischen Schuld bekennen und die Vergehen ihrer Vorfahren öffentlich und vorbehaltlos verurteilen. Der Schandfleck müsste in den Geschichtsbüchern als solcher benannt und den nachfolgenden Generationen als verachtenswerte Tat, die sich nie mehr wiederholen darf, vor Augen gehalten werden.

Das gesamte Programm also, das Deutschland und die Deutschen nach 1945 durchmachen mussten und immer noch müssen, wäre fällig. Kein anderes Land hat die dunklen Episoden seiner Vergangenheit so minutiös, selbstkritisch und verantwortungsvoll aufgearbeitet wie Deutschland. Kein anderes Volk hat für die Vergehen seiner Vorfahren so viel bezahlt wie das deutsche. Wo Krieg ist, herrscht das Grauen, Menschen werden zu Bestien und Dinge geschehen, die in Friedenszeiten unvorstellbar sind. Das gilt für alle Kriege, auch für die, an denen Deutschland nicht teilgenommen hat, und das gilt für alle Beteiligten! Aber wenn es um Schuld und Sühne, Bekenntnis und Wiedergutmachung geht, ist es gewissermaßen ein deutsches Privileg, im Fokus des Interesses zu stehen. Die anderen waren immer die “Guten” – die Türken sowieso.

Erdogan will Franziskus den Mund verbieten

Weil Papst Franziskus das etwas differenzierter sieht, giftet nun die türkische Regierung gegen ihn. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu nannte den Pontifex sinngemäß einen “Hassprediger” und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu warf ihm vor, mit seinem Statement den “wachsenden Rassismus in Europa” zu schüren. Dem türkischen Minister für EU-Angelegenheiten, fiel dann wieder mal gar nichts Dümmeres ein, als die Nazi-Karte zu ziehen, indem er sich zu der Bemerkung verstieg: Franziskus komme ja aus Argentinien und “Argentinien ist das Land, das Nazi-Folterer mit offenen Armen empfing”. Wie verblödet muss man sein, um Papst Franziskus mit den Nazis in Verbindung zu bringen? Oder wie perfide?

Präsident Recep Tayyip Erdogan, der Kalif von Ankara, erteilte dem Pontifex eine öffentliche Rüge und warnte ihn davor, weiterhin „Unsinn“ zu reden und den Vorwurf des Völkermords zu wiederholen. Er solle sich, so Erdogan weiter, als religiöses Oberhaupt betätigen, aber nicht als weltlicher Staatsmann mit politischen Absichten. Bezogen auf den türkischen Staatspräsidenten müsste die Ermahnung genau anders herum lauten: Kümmere dich um weltliche Politik und versuche nicht, aus einem laizistischen Staat wieder Stück für Stück ein Kalifat zu machen. Der Papst hat – im Gegensatz zu Erdogan – keinerlei Ambitionen, seine persönliche Macht zu vermehren. Er sorgt sich vielmehr um die Menschlichkeit und den Frieden in der Welt und als Chef eines völkerrechtlich anerkannten souveränen Staates, nämlich des Vatikan, hat er sehr wohl das Recht, sich auch zu politischen Fragen zu äußern.

Twitter wird als Kampfmittel eingesetzt

Die Morddrohungen gegen den Papst wurden über das Internet, hauptsächlich über Twitter, verbreitet. Dieser Umstand erscheint besonders pikant, wenn man sich daran erinnert, dass Erdogan in jüngster Zeit – zuletzt vor wenigen Wochen – Order gegeben hatte, solche Internet-Dienste, in denen jeder seine Meinung – auch regierungskritische – von sich geben kann, für eine gewisse Zeit abzuschalten. Jetzt aber ist Wahlkampf in der Türkei und die bei den jungen, aufgeklärten Türken alles andere als unumstrittene Regierungspartei AKP muss sehen, wo sie willige Wähler an den Rändern einsammelt.

Da kommt es doch ganz gelegen, den Papst als Buhmann einzusetzen, um mit diesem Feindbild im Lager der Nationalisten (MHP) und der radikalislamischen Saadet-Partei nach Stimmen zu fischen. Also wird jetzt über Tausende von AKP-treuen Twitter-Konten eine Kampagne organisiert, der sich die nationalistischen und religiösen Ultras gerne anschließen. Die Sozialen Medien werden von der türkischen Regierung brutalst instrumentalisiert und nach Erdogans Gnaden entweder abgedreht oder als Kampfmittel eingesetzt. Nun ist es also Papst Franziskus, an dem sich die Gemüter erregen. Und wenn türkische Gemüter sich erregen, kann es gefährlich werden, auch für einen Papst. An der Stelle sei an den Anschlag gegen Papst Johannes Paul II. im Jahr 1981 erinnert. Der Attentäter hieß Ali Agcas – und kam aus der Türkei.

Wenn aus den Drohungen Ernst würde? – Eine Katastrophe!

Erdogans Machtkalkül hinter den Twitter-gesteuerten Morddrohungen, ist unübersehbar. Das Problem ist: Wir reden hier nicht über irgendein Land in Zentralafrika oder in Südostasien. Wir reden über die Türkei, ein geopolitisch und wirtschaftlich wichtiges Land an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien, ein Land, das so gerne Teil der EU sein möchte, ein Land das Mitglied der Nato ist. Wenn Regierungsmitglieder dieses Landes sich nicht entblöden, das Oberhaupt der Katholischen Kirche und des Vatikanstaates zu beschimpfen und ihm einen Maulkorb zu verpassen, ist das schon eine sehr schlimme Sache. Wenn sich aber diese Regierung nicht sofort und entschieden von den gegen Papst Franziskus ausgestoßenen Morddrohungen distanziert und versucht, die Urheber dingfest zu manchen, sondern stattdessen diese üble Kampagne auch noch unterstützt – dann ist das zutiefst böse. Dieses Verhalten bestärkt mich in meiner in früheren Beiträgen schon mehrfach geäußerten Meinung: Diese Türkei hat in der EU nichts verloren.

Denken wir doch die Morddrohungen gegen Franziskus einmal bis zur letzten Konsequenz zu Ende. Der Vatikan ist eine 0,44 qkm kleine Enklave mit weniger als 900 Einwohnern inmitten der italienisch Hauptstadt Rom gelegen – aber ein souveräner Staat. Italien ist auch Mitglied der Nato und hat in militärischer Hinsicht eine gewisse Schutzfunktion für den Vatikan übernommen. Was also, wenn das Oberhaupt des Vatikan, Papst Franziskus, mit Unterstützung oder mindestens mit Billigung der Regierung eines anderen Nato Landes, der Türkei, ermordet würde? Schwerwiegende diplomatische Verwicklungen und nachhaltige Zerwürfnisse innerhalb Europas und der gesamten westlichen Welt wären unweigerlich die Folge. Bis jetzt ist das Verhalten des Kalifen von Ankara und seiner Gefolgsleute „nur“ moralisch verwerflich. Solle es zum Äußersten kommen, wird Erdogan als der schlimmste Brandstifter des 21. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Vor dieser Verantwortung werden sich die türkischen Nachfahren dann nicht mehr drücken können.

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