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„Terror – Ihr Urteil“ - Der Plot ist jenseits der (technischen) Realität

Von Peter Haisenko 

Das Thema ist ebenso wichtig wie vielschichtig und letztlich nicht befriedigend zu beantworten. Natürlich haben auch wir Piloten und Kapitäne uns ernsthafte Gedanken dazu gemacht, nicht erst nach dem 11. September 2001. Wenn man aber ein breites Publikum damit konfrontiert, dann sollte schon ein realistisches Szenario aufgebaut werden. So, wie der Ablauf in dem ARD-Beitrag dargestellt worden ist, ist es nicht nur rein technisch unmöglich.

Kriegswaffen sind nicht für den Abschuss ziviler Flugzeuge ausgelegt. Die Geschichte kennt mehrere Fälle, wo zivile Flugzeuge mit Raketen beschossen worden sind, aber deswegen noch lange nicht abgestürzt sind. Gerade der Fall MH 17 hat gezeigt, dass die B 777 der Malaysian Airlines nach einem Beschuss mit einer Luft-Luft-Rakete durch eine ukrainische SU 25 erst einmal weitergeflogen ist und deswegen mit der Bordkanone durch direkten Beschuss des Cockpits den „Fangschuss“ erhalten musste.

Die Tragfläche einer Passagiermaschine bricht nicht einfach ab

Ein Verkehrsflugzeug hat zwei bis vier Motoren. Wird es von einem Kampfflugzeug mit einer Rakete angegriffen, wird diese wahrscheinlich einen der Motoren treffen. Nicht einmal das ist sicher, wie solche Fälle gezeigt haben. Selbst wenn er trifft, ist es wiederum nicht sicher, dass der getroffene Motor tatsächlich ganz zerstört wird. Und wenn doch, dann kann der erfahrene Verkehrspilot nur sagen: Na und, den Ausfall eines Motors haben wir doch tausendmal im Simulator geübt. Kein Problem! Gänzlich ausgeschlossen ist der Fall, dass ein Treffer an einem Motor die Tragfläche – oder sogar beide – zum Abbrechen bringt. Diese riesigen Motoren sind an drei fingerdicken Bolzen aufgehängt und so wird sichergestellt, dass selbst bei elementarer Beschädigung der Motor abbricht, ohne die Struktur des Flügels zu beeinträchtigen. Die Bewaffnung eines Kampfflugzeugs ist nicht für den Abschuss eines Zivilflugzeuges geeignet, es sei denn, die Bordkanone wird direkt auf das Cockpit eingesetzt.

Nun zur Situation im Flugzeug. Man darf davon ausgehen, dass die Terroristen im Flugzeug keine Ausbildung haben, die sie befähigen könnte, ein Verkehrsflugzeug unter erschwerten Bedingungen irgendwohin gezielt zu steuern. Ich lege hier den Schwerpunkt auf „unter erschwerten Bedingungen“, die, glaubt man der offiziellen Erklärung zum 11. September 2001, dort nicht vorgelegen haben. Ich denke, die meisten Kollegen haben sich – so wie ich – ein Verfahren zurechtgelegt für den Fall eines terroristischen Angriffs direkt im Cockpit, also wenn jemand mit einer Waffe mein Leben bedroht, um mich zu Handlungen in seinem Sinn zu zwingen. Eine derartige Situation rechtfertigt in jedem Fall eine fatalistische und damit unerwartete Handlungsweise, denn an diesem Punkt ist es gleichgültig, wie man sein Leben verliert. Wenn man nichts tut, ist man selbst schon tot – und viele andere Menschen sind es aller Wahrscheinlichkeit nach auch.

Die Piloten haben bis zum Schluss mehrere Optionen

Der oder die Terrorist/en sind angewiesen auf die (erzwungene) „Mitarbeit“ der Piloten. Besonders dann, wenn es erschwerte Bedingungen gibt. Man muss folglich solche erschwerten Bedingungen herstellen. Das ist für einen erfahrenen Piloten vergleichsweise einfach. Es reicht aus, einen Motor abzustellen, einfach abzustellen. Oder, je nach Lage, sogar alle abzustellen. Das ist ein Handgriff, der nur Sekundenbruchteile benötigt und von niemandem zu verhindern ist. Das Flugzeug befindet sich dann in einem Zustand, der nur noch von einem solide ausgebildeten Pilot beherrscht werden kann. Auch was die Erreichbarkeit von Zielen anbelangt, sind die Karten damit neu gemischt worden und der Terrorist hat jetzt die schlechteren. Sein Ziel kann er kaum noch erreichen. Er kann gar nichts erreichen, wenn er jetzt den Pilot erschießt, denn dann stürzen eben alle ab.

Nehmen wir jetzt den Fall an, dass sich der Kapitän für einige Minuten länger leben entscheidet und erst einmal den Anweisungen des Terroristen Folge leistet, scheinbar kooperiert und macht tatsächlich den Anflug auf das Stadion. Selbst wenn er eine Waffe am Kopf hat, kann ihn niemand, und ich sage hier klar niemand, daran hindern, sein Flugzeug im letzten Moment, wenige hundert Meter vor dem Ziel, in den Boden – auf einen Parkplatz zum Beispiel – zu reißen oder noch später über das Stadion hinweg zu heben und danach zerschellen zu lassen oder sogar mit einer glücklichen Crash-Landung wenigstens einige Leben an Bord zu retten.

Ich stimme folglich dem Plädoyer der Staatsanwältin vollumfänglich zu. Niemand außerhalb des Flugzeugs, außerhalb des Cockpits, kann beurteilen, wie sich die Lage im Flugzeug entwickeln wird. Der Kapitän und sein Copilot können buchstäblich bis zur letzten Sekunde die große Katastrophe verhindern, zumindest abmindern und günstigenfalls Leben retten. Selbst wenn der Terrorist die Piloten erschießt, im Glauben, er könnte das Flugzeug selbst steuern, dann müssten schon beide Piloten gleichzeitig erschossen werden, denn auch wenn der eine tot ist, kann der andere immer noch schnell die „Notbremse ziehen“, eben einen oder alle Motoren abstellen. Er kann auch durch abrupte Steuersignale den Terrorist an die Decke schleudern und das wird er wohl tun, sobald das Morden im Cockpit begonnen hat. Er kann dann nur noch fatalistische Extremmaßnahmen ergreifen, denn ansonsten hat er unweigerlich sein Leben verwirkt, so oder so

Horrorszenarien sind immer denkbar

Leider ist ein viel gefährlicherer und realistischerer Ablauf eines Terroraktes mit einem Flugzeug denkbar und der ist durch keine „Security“ zu verhindern. Was kann ein Pilot tun, wenn ihn Terroristen erpressen? Wenn sie ihm sagen, dich bringen wir um, wenn du nicht machst, was wir dir sagen. Und nicht nur dich, nein, deine ganze Familie und Verwandtschaft. Ich mag mir gar nicht vorstellen, in welche Gewissensnöte der arme Kollege da gestürzt würde und wie er sich entscheiden soll oder kann. Denken wir hierzu nur kurz an den Absturz der German Wings. Ein fatales Szenario, das nicht wirklich verhindert werden kann. Da hilft es gar nichts, wenn sich Millionen anständiger Fluggäste wie Kriminelle behandeln lassen müssen, bevor sie ihre Reise antreten dürfen.

Eine ähnliche Situation muss dem Eindringen von Terroristen ins Cockpit vorangegangen sein. Eine Panzertür sichert den Zugang zum Cockpit. Bevor also jemand mit bösen Absichten ins Cockpit eindringen kann, muss er das Leben einer Stewardess bedrohen um den Eintritt zu erzwingen und an dieser Stelle muss der Kapitän bereits eine prekäre Entscheidung über Leben und Tod treffen, nämlich darüber, ob er seine Stewardess und wahrscheinlich noch mehrere Passagiere opfern will, eben um zu verhindern, dass er gezwungen werden kann, mit seinem Flugzeug eine Katastrophe auszulösen. Auch das zeigt den geringen Realitätsgehalt der ARD-Produktion, macht aber auch deutlich, warum Kapitäne unter anderem ein angemessenes Gehalt bekommen.

Unverantwortliche Diskussion

In dem ganzen Zusammenhang sollte auch darüber nachgedacht werden, was wäre, wenn es sich um ein Flugzeug aus dem Ausland handelt. Darf ein deutscher Pilot ein amerikanisches Flugzeug abschießen? Darf unsere Regierung den Befehl dazu geben? Man sieht schon, dass es sich um ein ekelhaftes Problem handelt, das letztlich nicht abschließend beantwortet werden kann und dem der Beitrag der ARD nicht annähernd gerecht geworden ist.

Ich weiß nicht, was die ARD mit ihrem Beitrag erreichen wollte. Ich erachte es als unverantwortlich, eine Diskussion zu eröffnen, mit einem Szenario, jenseits einer möglichen Realität. So, wie es dargestellt worden ist, war die Reaktion des Publikums nicht anders zu erwarten. Eben weil das fachunkundige Publikum nicht erkennen kann, wie unrealistisch der geschilderte Ablauf ist und welche realen Optionen im Flugzeug selbst noch möglich wären. Ein einzelner Mensch außerhalb des betroffenen Flugzeugs kann und darf keine Entscheidung über Menschenleben treffen, noch dazu gegen ausdrücklichen Befehl. Wenn schon, dann muss diese Entscheidung von dem/der Kanzler/in persönlich getroffen werden, aber auch der/die kann keine gute Entscheidung treffen, denn niemand kann absehen, was der Kapitän an Bord zur Lösung des Problems noch tun kann, will oder wird - und wenn er mit abgestellten Motoren wie ein Segelflugzeug im Rhein oder auf einer Wiese eine Notlandung hinlegt. Der Hudson-River lässt grüßen.

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