------------------------------------

---------------------------------------

-------------------------------------

-------------------------------------

Mit diesem Europa ist wahrlich kein Staat zu machen

Von Hubert von Brunn 

„Europa ist in keinem guten Zustand“, konstatierte EU-Kommissions-Präsident Juncker dieser Tage. Was für ein Euphemismus. Könnte er es sich leisten, ehrlich zu sein, müsste er sagen: „Europa ist am A…! Keine Solidarität, kein Einstehen für gemeinsame Werte, kein Ziehen an einem Strang, Rechtsverletzungen allenthalben. Vergesst Europa! Das Bürokratie-Monster in Brüssel, das nur irre viel Geld verschlingt und nichts bewirkt, machen wir dicht, ich gehe in Pension und ihr Pseudo-Europäer geht dahin zurück, wo ihr hergekommen seid und was ihr am besten könnt: Kleinliche, egoistische Nationalstaaten, die mit Argusaugen darüber wachen, dass es dem Nachbarn bloß nicht zu gut geht und auch gerne mal mit dem Säbel rasseln, wenn sie sich in ihrer gottgewollten nationalen Identität bedroht fühlen.“

Das nach dem Fall der Mauer von Helmut Kohl gebetsmühlenartig beschworene „vereinte Europa“ erweist sich gerade mal ein Vierteljahrhundert später als ein desolater Haufen. Die von Gorbatschows entwickelte und von Putin zunächst weitergetragene Vision eines „großen europäischen Hauses von Wladiwostok bis Lissabon“ hat sich als lächerliche Seifenblase entpuppt, die demnächst mit großem Knall platzen wird. Blicken wir zurück: Die Gründung der EWG mit Frankreich, Italien, der BRD und den Benelux-Staaten war zwölf Jahre nach Kriegsende eine vernünftige Sache, u. a. um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken, Zollschranken abzubauen und bestimmte Reglements für die damaligen Schlüsselindustrien Kohle und Stahl (Montan-Union) sowie im Umgang mit der Atomenergie (Euratom) zu verabreden. 1967 wurde daraus die EG und der kluge französische Staatspräsident Charles de Gaulle war es, der gegen den Aufnahmeantrag der Briten sein Veto eingelegt hat. Leider hatte diese Weitsicht der Franzosen nicht lange Bestand.

In der „Verbrüderungs“-Euphorie den Überblick verloren

1973 waren die Briten dann doch dabei, ebenso wie Dänemark und Irland, 1981 kamen Griechenland, 1986 Spanien und Portugal dazu. Dieses Europa der Zwölf war trotz der Briten, die sich stets als Querulanten, Besserwisser und eigensinnige Empfänger für Extrawürste hervorgetan haben, grundsätzlich noch irgendwie fähig zu handeln. Mit der Gründung der EU 1993 war es damit vorbei. In der Euphorie über die deutsche Wiedervereinigung, über die Öffnung der Grenzen und den Einsturz von Mauern und Zäunen, in dieser emotionsgeladenen Stimmung der „Verbrüderung“ von ehemaligen Feinden haben die politisch Verantwortlichen des stabilen, gewachsenen Nachkriegseuropas jeglichen Überblick verloren. Viel zu schnell und ohne wirklich kritische Überprüfung wurde den osteuropäischen Staaten der rote Teppich ausgerollt, ja sogar Länder wie Rumänien und Bulgarien erhielten den Blankoscheck für die Mitgliedschaft im begehrten Klub. Was für fatale Fehler!

Eben genau diese Länder, die bis jetzt von ihrer Zugehörigkeit zur EU nur profitiert haben, die immer ganz weit vorne standen und am lautesten „Ich“ gerufen haben, wenn es etwas zu verteilen gab, die ziehen nun den Kopf ein. Sie sind nicht bereit, die existenzielle Bedrohung, der Europa durch den nicht enden wollenden Zustrom von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Afrika ausgesetzt ist, als humanitäres Problem anzuerkennen, das nur gemeinsam zu lösen ist. Ausgerechnet die, die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zu Freiheit und Selbstbestimmung zurückgefunden haben und noch gut in Erinnerung haben müssten, wie es sich anfühlt eingesperrt zu sein – sie fordern jetzt meterhohe Zäune, Stacheldraht und Polizeieinsatz.

Deutschland hat maßgeblich Schuld an dem Desaster

Die Invasion von Migranten, mit der wir uns gegenwärtig konfrontiert sehen, ist das erste wirklich schwerwiegende Problem, mit dem die EU – sehen wir von der Farce um die „Griechenland-Rettung“ einmal ab – konfrontiert wird. Und schon scheidet sich die Spreu vom Weizen, wobei zur Spreu hier ohne Frage auch etliche große westeuropäische Staaten zählen: Frankreich, Spanien, Großbritannien… Wenn Juncker zum Sondergipfel nach Brüssel bittet, um darüber zu beraten, wie diese Völkerwanderung nach Europa in den Griff zu kriegen ist, und jene drei Großen gar nicht erst einlädt, dann ist das doch ein klares Zeichen dafür, dass der Kommissions-Präsident schon resigniert hat, nach dem Motto: Die brauch ich gar nicht erst zu fragen, die sind nicht unmittelbar betroffen, von denen ist keine Unterstützung zu erwarten. – Jeder kocht sein eigenes Süppchen und von Solidarität ist nur dann die Rede, wenn einer ein Stückchen von dem großen Kuchen abhaben will.

Aber zeigen wir nicht nur mit ausgestrecktem Finger auf die Anderen. An dem desolaten Zustand des heutigen Europa hat auch Deutschland – und vorneweg unsere Kanzlerin – in erheblichem Maße mitgewirkt. Das ganze Desaster begann mit der Ukraine, genauer gesagt mit den Lockrufen aus Brüssel, dieses unterentwickelte und von jeglichen europäischen Standards weit entfernte Land eng an Europa zu binden, womöglich gar in die EU aufzunehmen. Hier hätte Frau Merkel als Regierungschefin der Führungsnation in Europa sofort eine eindeutige Gegenposition einnehmen müssen – schon im Interesse des Fortbestands der bis dahin sehr guten wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zu Russland. Einem in dieser Richtung eindeutigen Signal aus Berlin wäre die Mehrheit der Europäer ohne zu zögern gefolgt. Aber die Kanzlerin hatte andere Anweisungen.

Die USA kochen ihr Süppchen, die Europäer löffeln es aus

Tatsächlich ging es in der Ukraine-Frage primär gar nicht um Europa. In Wirklichkeit ging es um die Erweiterung des Einflussbereichs der Nato – angeblich, weil sich die Polen und die baltischen Staaten von Russland bedroht fühlten. Lächerlich! Und wenn es um die Interessensphären der Nato geht, dann weiß jeder, wer tatsächlich die Strippen zieht: die USA! Die Amis wollten – entgegen dem Versprechen, das sie Gorbatschow nach dem Fall der Mauer gegeben hatten – ihre militärische Präsenz in Osteuropa über das Vehikel Nato noch weiter ausdehnen. Das war die Direktive aus Washington, der sich die deutsche Bundeskanzlerin und mit ihr der Rest Europas letztlich unterworfen haben. Stufe zwei dieses aus den USA gesteuerten Desasters war dann die Verhängung von Sanktionen gegen Russland. Wieder erwiesen sich Frau Merkel und die anderen Europäer als willfährige Vasallen. Mit den negativen Auswirkungen dieser Sanktionen haben die USA nichts zu tun, Europa und – natürlich – in erster Linie die Deutschen, dafür umso mehr.

Was Amerika anlangt, ist dieselbe Strategie nun auch in Bezug auf die Migrationsströme nach Europa klar erkennbar. In ihrer unstillbaren Gier nach Öl und Gas haben die USA die Machthaber im Irak und in Libyen gestürzt und diese Länder ins Chaos gebombt. Saddam Hussein und Gaddafi waren bestimmt nicht die „netten Jungs von nebenan“, mit denen man gerne mal ein Bier trinken geht. Es waren Despoten, die ihre Länder mit harter Hand regiert haben, keine Frage. Ebenso klar aber auch: Sie hatten ihr Volk und auch das Militär im Griff, und so lange sie da waren, hatte Europa nichts zu befürchten, weder vom Irak, noch von Libyen. Und bis dahin gab es weder die Taliban, noch Boko Haram, noch den IS und all die anderen islamistischen Terrorbanden. Das sind alles Auswüchse einer völlig verblödeten Politik der USA im Nahen Osten – Syrien inklusive – und wieder sind wir es, die die Suppe auslöffeln müssen. 20.000 Flüchtlinge wollen die USA in den nächsten fünf (!) Jahren aufnehmen. Darüber kann man nur lachen – oder man bekommt das große Kotzen. Diese Zahl entspricht dem, was Bayern in den letzten Wochen und Monaten innerhalb von zwei Tagen zu bewältigen hatte.

Starrsinn der Kanzlerin treibt Europa ins Chaos

Spätestens jetzt wäre es angezeigt, dass sich Europa mit einer klaren, untereinander abgestimmten und eigenständigen Politik Gehör verschaffte und den USA Paroli bietet. Aber das findet nicht statt. „Jeder gegen jeden“, heißt das Spiel und dieses Spiel nimmt kein gutes Ende. Natürlich war es unsere Kanzlerin, die Ende August vehement gegen europäisches Recht verstoßen hat, indem sie den in Budapest festsitzenden Flüchtlingen zugerufen hat. „Kommt alle her nach Deutschland. Hier seid ihr willkommen. Wir schaffen das.“ – Eine situativ entstandene Empathie für Menschen in Not ist nachvollziehbar und verdient Respekt. Inzwischen aber wäre es längst an der Zeit, dass Angela Merkel ganz andere Signale setzt und deutlich macht, dass europäisches Recht wieder gilt – überall in Europa. Signale, die den Menschen in den Lagern in der Türkei, im Libanon und in Jordanien, aber auch den Fluchtwilligen in Damaskus, Homs und Aleppo deutlich machen: „Bleibt, wo ihr seid. Das ‚gelobte Land’ Deutschland kann derzeit nicht mehr von euch aufnehmen. Die Hilfsbereitschaft unseres Volkes ist groß, aber nicht unbegrenzt. Und die Grenze ist jetzt erreicht.“ – Aber dieses Zeichen will sie partout nicht setzen und mit ihrem Starrsinn treibt sie Deutschland (und Europa) immer weiter ins Chaos.

Lammert redet Klartext zu TTIP

Nein, mit diesem Europa ist wahrlich kein Staat zu machen – sehr zur Freude der Amerikaner. Sie sitzen weit weg, jenseits des Atlantiks und sehen seelenruhig zu, wie die Europäer sich gegenseitig zerfleischen und wie vor allem das Ansehen Deutschlands in der Welt sukzessive ramponiert wird (VW, FIFA/DFB, die deutsche Wurst, Deutsche Bank…). Je kleiner Deutschland, desto größer die USA. Das Verhältnis zu Russland ist gestört, das Flüchtlingsproblem wird Europa – vorneweg Deutschland – noch lange beschäftigen und so lange das so ist, können die Amis in aller Ruhe mit den schon eingefangenen Transatlantikern jenes perfide TTIP-Abkommen hinter verschlossenen Türen ausbaldowern, das nur den Konzernen zugute kommt und mit Sicherheit nicht den Bürgern. Wie gut, das es da noch einen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert gibt, der jetzt als erster deutscher Spitzenpolitiker (immerhin der zweite Mann im Staate) ganz klar ausgesprochen hat, was viele denken: „Ich halte es für ausgeschlossen, dass der Bundestag einen Handelsvertrag zwischen der EU und den USA ratifizieren wird, dessen Zustandekommen er weder begleiten noch in alternativen Optionen beeinflussen konnte.“ – Ein deutscher Politiker, der einmal nicht vor den Amerikanern einknickt. Vielleicht der beste Europäer, den wir derzeit haben.

Nach oben