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Aufruhr in der Knesset, weil ein Deutscher die Wahrheit sagt

Von Hubert von Brunn

Wenn ein hochrangiger Europapolitiker eingeladen wird, eine Rede vor dem israelischen Parlament zu halten, dann ist das zunächst Ausdruck des guten Willens für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen der EU und Israel. Wenn der Präsident des EU-Parlaments, zufälligerweise ein Deutscher, Martin Schulz (SPD) ausgebuht und als „Lügner“ beschimpft wird, weil er sich nicht in Lobhudeleien ergeht, sondern auch unliebsame Wahrheiten anspricht – dann ist das eine Frechheit.

Er sei sich bewusst, führte Schulz zu Beginn seiner Rede letzte Woche in der Knesset aus, dass es keine Selbstverständlichkeit sei, an diesem Ort auf Deutsch zu sprechen. Höflich und mit dem gebotenen Respekt, wie es sich für einen guten Gast geziemt. Aber dann war schon bald Schluss mit lustig, als Schulz wenig später in sachlichem Ton ausführte „…auch die Palästinenser haben das Recht auf Selbstbestimmung und Gerechtigkeit“ und dann noch eins obendrauf setzte mit der Feststellung: Sie wollten „in Frieden leben und unbegrenzte Bewegungsfreiheit haben“, was ihnen in Gaza aber verwehrt werde.

Jegliche Kritik ist unerwünscht

Da rumorte und brodelte es schon, vor allem in den Reihen der Konservativen. Wie konnte es dieses unkoschere Europawürstchen – noch dazu eines deutscher Provenienz – wagen, den Palästinensern ein Recht auf Selbstbestimmung und die Sehnsucht nach einem Leben in Frieden und Freiheit zuzubilligen? Was für eine Unverfrorenheit zu insinuieren, die israelische Politik hätte irgendetwas mit dem Unglück dieser Menschen zu tun? Wo kommen wir denn da hin? Israel tut, was es meint, tun zu müssen, der Zweck heiligt die Mittel – und jegliche Kritik von Außen an dieser Politik ist gänzlich inakzeptabel.

Der wackere Martin indes war noch nicht fertig. Unbeeindruckt von der aufgebrachten Stimmung im Saal berichtete er von seiner Begegnung mit einem palästinensischen Jugendlichen, der ihn fragte „warum ein Israeli täglich im Schnitt 70 Liter Wasser verbrauchen könne, ein Palästinenser dagegen gerade mal 17“. Diese Bemerkung brachte das Fass der Empörung zum Überlaufen. Tumult brach aus. Wutschnaubend und lautstark protestierend verließen der Wirtschaftsminister Naftali Bennett und seine Fraktionskollegen von der national-religiösen Partei „Jüdisches Heim“ den Plenarsaal. Auf seiner Facebook-Seite postete Bennett kurz darauf: „Ich dulde keine doppelzüngige Propaganda gegen Israel in der Knesset. Und besonders nicht auf Deutsch.“

Alles Deutsche ist Teufelswerk

Aha, da haben wir’s! Wäre der Gastredner von britischer, französischer, polnischer oder sonst welcher Herkunft gewesen und hätte die Rede eben in seiner Muttersprache gehalten, dann hätte den konservativen Parlamentariern die Kritik an der Politik Israels zwar auch nicht geschmeckt – letztendlich hätte man die Kröte wohl doch geschluckt. Aber dass sich ein Deutscher – Gnade der späten Geburt hin, Präsident des EU-Parlaments her – eines solchen Frevels erdreistet, kann und darf nicht hingenommen werden. Heute nicht, und in hundert Jahren auch nicht. Die Deutschen und alles, was deutsch ist, sind für die Hardcore-Zionisten Teufelswerk und werden es bleiben bis in alle Ewigkeit. Darüber können auch die unzähligen Veranstaltungen des Gedenken und Mahnens, freundliches Händeschütteln, salbungsvolle Worte und die gebetsmühlenartig vorgetragenen Bekräftigungen der besonders intensiven freundschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Israel nicht hinwegtäuschen. Alles Augenwischerei, alles Makulatur.

Die modernen, aufgeklärten, gebildeten Israelis haben zu dieser Problematik eine ganz andere Haltung, das ist wohl bekannt, und das ist auch gut so. Die jungen Leute, hier wie dort, haben diese alten Ressentiments längst überwunden und sind wirklich fähig zu gelebten Freundschaften im besten Sinne der Völkerverständigung. Dummerweise hat jene liberale, tolerante junge Generation in Israel nicht das Sagen. Das Land wird immer noch beherrscht von den extrem Konservativen im Verbund mit den Ultra-Religiösen. So lange das so ist, wird das Verhältnis Israel-Deutschland ein ausgesprochen schwieriges bleiben, Vorbehalte und Vorhaltungen (an die Adresse der Deutschen) inklusive.

Diplomatisches Geschick oder Frechheit?

Noch einmal zurück zu Martin Schulz. Vor israelischen Journalisten hatte er bereits vor seiner Knesset-Rede klare Worte hinsichtlich der Überempfindlichkeit Israels gegenüber Kritik aus Europa gefunden: „Gegenseitige Kritik ist in Demokratien ganz normal“, hat er nüchtern festgestellt und hinzugefügt: „Die EU steht zu ihrer besonderen Beziehung zu Israel, aber das bedeutet nicht, dass sie mit jeder Entscheidung einverstanden sein muss.“ Bravo, Herr Schulz! So viel Klarheit und Selbstbewusstsein hätte man sich von so manchen deutschen Politiker bei seinem Auftritt in Israel gewünscht.

Ein letztes Wort an die israelischen Parlamentarier: Das, was Martin Schulz den Journalisten in die Feder diktiert hatte, war Ihnen bekannt. Spätestens ab dem Zeitpunkt wussten Sie, dass der Präsident des EU-Parlaments kein Leisetreter ist und sagt, was er zu sagen hat. Wenn Ihnen also jegliche Kritik an der Politik Israels zuwider ist – und erst recht aus dem Munde eines Deutschen – dann hätten Sie ihn auch wieder ausladen und ihn statt in der Knesset an irgendeinem anderen Ort reden lassen können. Diese Peinlichkeit wollten Sie sich aber ersparen, denn in seiner Funktion als Präsident des EU-Parlaments repräsentiert er ganz Europa und nicht nur Deutschland. So aber haben Sie sich zunächst als großzügige Gastgeber geriert, um dann auf den Deutschen einzudreschen, der mit seiner offenen Kritik alles vermasselt hat. Manche mögen in dieser Vorgehensweise „diplomatisches Geschick“ erkennen. Für mich ist und bleibt es eine Frechheit.

Lesen Sie dazu auch: Antisemitismus heute – Wie judenfeindlich ist Deutschland?

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