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Trügerische Ruhe

Von H.-W. Graf

„Europa ist ein Sanierungsfall! Einige Staaten, wie z.B. Rumänien, Bulgarien und Italien, sind schlicht unregierbar! Frankreich hat bisher ‚null‘ Reformbereitschaft gezeigt!“

Donner und Doria, wie tief müssen wir im Schlamassel stecken, damit diese Binse inzwischen sogar einem EU-Energiekommissar Günther Oettinger bewusst wird. Woher nimmt dieser intellektuell doch recht bescheidene Zeitgenosse den grenzenlosen Mut, wider den Stachel und die Phalanx seiner EU-Kollegen verbal derart rüstig zu Felde zu ziehen? José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, verlangt „strukturelle Reformen der Sozialpolitik“; Monsieur Hollande bellt zurück und verbietet sich jegliche Einmischung in Angelegenheiten der ‚Grande Nation‘; der bundesdeutsche Finanzhäuptling Schäuble warnte auf der ‚Berggruen-Konferenz‘ in Paris vor der Revolution, und die Parlamente der EU-„Leichtgewichte“ Finnland, Dänemark, Holland und Österreich befürchten, in der ‚Bedeutungslosigkeit‘ zu versinken und von der EU überrollt und vereinnahmt zu werden.

Spaß beiseite: Während die EU-Kommission sehr abstrakt ‚Reformen‘ und ‚Sparen‘ empfiehlt, vermelden die politischen Meteorologen zunehmend schwärzere Wolken am Konjunkturhimmel – EU-weit und quer durch sämtliche Branchen: Nicht nur der spanische und irische, sondern inzwischen auch der holländische Immobilienmarkt sind in dramatisch schlechten Zuständen; oft bleibt nur der Abriss, um nicht erwirtschaftbaren Erhaltungsaufwand zu vermeiden und neue Konzepte aufzulegen. Ebenso wird EU-weit die Lage am Arbeitsmarkt als ‚ungewöhnlich schlecht‘ beschrieben.

Nun, jedes Land geht mit seiner spezifischen Lage anders und mehr oder weniger pragmatisch um: Die Italiener verfielen jetzt auf den Dreh, illegal angelandeten Immigranten 500 € und eine Zugfahrkarte in die Hand zu drücken, um nach Hamburg, Amsterdam oder Paris weiterzufahren. Problem gelöst! In Deutschland würde man hierfür den entsprechenden Amtsleiter entlassen und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einberufen. Die Franzosen lenkt man besser mit einem emotional-sexuell stimulierenden, die traditionelle Volksseele zum Kochen bringenden Thema ab: die ‚Homosexuellen-Ehe‘. Über beides staunt oder lächelt der benevolent duldsame Deutsche; er entrüstet sich lieber über völlig legal-korrupte Landtagsabgeordnete in Bayern (was Italienern und Franzosen nicht einmal einen Bericht auf der letzten Seite in den Massenblättern wert wäre).

"Nicht jeder kann alles lesen. Nicht jeder bekommt alles zu lesen. Nicht jeder will lesen, was die Haupt-Medien ihm zum Lesen vorsetzen. Nicht jeder weiß, wo zu lesen ist, was er vielleicht gern lesen würde. Manches, was sich zu lesen lohnt, bleibt unbeachtet, wird wegsortiert oder bewusst verschwiegen und unterdrückt."

Dr. Klaus Peter Krause

 

Die wirklichen Probleme weiten sich, mycel-artig und unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung, in ganz anderen Bereichen aus: Schwarzarbeit, Tagelöhnerschaft, Steuerflucht, Abwanderung (der Fähigsten und Leistungsbereitesten), die Auflösung von Familienstrukturen, zunehmende Depressionen und Scheidungsraten, Kleinkriminalität (Diebstahl und Einbrüche), sinkende Krankenstände, aber steigende Raten von Selbstmorden, Selbstverstümmelung und illegaler Organverkauf sowie Sozial- und Wirtschaftsflucht (inklusive Schlepperwesen).

Als kleiner Lichtblick mag hier gelten, daß die Solidarität – man rückt mehr zusammen – ebenfalls zunimmt. Gleichwohl feiert die bedenkenlose Masse, die es sich heute noch leisten kann und frönt dem Jetzt und Heute.

Das Ganze erinnert fatal an die Situation in London, Paris und Berlin vor exakt 100 Jahren: Obwohl ‚die Zeichen an der Wand‘ bereits den Beginn des ersten Weltkriegs klar und deutlich auswiesen, feierte die ‚Crème de la Pudding‘ kräftig weiter. In der ‚Hauptstadt des Reiches‘ trafen sich die gekrönten Häupter aus England, Russland und Deutschland, als Cousins sämtlich verwandt, und zeigten sich den frenetisch feiernden Massen in vorgeblicher Vertrautheit und Friedlichkeit, während sich an den Schnittstellen Österreichs, Ungarns, Serbiens, Montenegros und Rußlands, flankiert von den Rivalitäten zwischen dem preußischen Wilhelm II. und der traditionellen Fehde zwischen Frankreich und England, das Unheil zusammenbraute, was sich knapp ein Jahr später über ganz Europa entlud.

Wer historisch etwas bewandert ist, weiß, daß dies zum Ende der Adelsgesellschaft führte, die gesamte Landkarte Europas neu strukturiert wurde und das Entstehen, den Beginn der Herrschaft einer völlig neuen ‚Adels‘-Clique einläutete – die politischen Parteien übernehmen die Macht!

In Wahrheit gerieten die Bevölkerungen Europas aber nur vom ‚Regen in die Traufe‘:

Die Potentaten – ehedem Kaiser, Könige, Fürsten und Herzöge – tauschten mit Kanzlern, (Minister-)Präsidenten, Bundes- und Landtagsabgeordneten den Thron. Und heute, 100 Jahre später, schwelgen letztere in ihren Allmachtsphantasien – ebenso bedenkenlos, feudalistisch und realitätsfremd wie ehedem der Adel.

All dies lässt jedoch die Großkonzerne und insbesondere die Banken – damals wie heute – völlig kalt; sie verstanden es als Herren des Geldes immer – flexibel und klug, jenseits aller Ideologien –, ihre Pfründe zu mehren, Märkte und Potentiale zu erschließen (gegebenenfalls auch zu schließen und zu verlagern) – was immer die jeweilige Lage erforderte und/oder hergab.

Beide – Konzerne und (politischer oder säkularer) „Adel“ – berührt(e) das Wohl der Bevölkerung und deren Alltagsleben nur insoweit, als diese als Konsumenten (möglichst) billige Arbeitskräfte, Steuerzahler und Wahlpöbel funktionieren soll(t)en.

Insofern hat sich, dies ohne Häme oder Trauer gesagt, in den letzten 100 Jahren praktisch nichts verändert. Die Masse funktioniert heute nur auf wirtschaftlich höherem Niveau, was jedoch keine sozial- und wirtschaftspolitische Garantie für diejenigen sein sollte, die sich in bedenkenlos-parasitärer Weise daran bereichern.

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