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Wortanhängsel aufs Korn genommen

Von Hans-Jörg Müllenmeister 

Manche Anhängsel, nämlich die Affixe der Wortstämme, verleihen einem Begriff seinen Wesenskern – so scheint es auf den ersten Blick. Ja, der Blicks gibt es viele, ob Sie mit scharfem Adlerauge danach suchen, oder sich nur einen Augenblick gönnen: mit Kennerblick bemerken Sie, dass Suffixe (Wortanhängsel) auch am Wortanfang im Blickpunkt stehen, dann heißen sie Präfix. Rücken wir einmal die Schläge ins Blickfeld. Ob Hammer-, Gehirn-, Glocken-, Hitze-, Strom- oder Mord- und Totschlag, meist steht diese Nachsilber als Synonym für ein plötzlich eintretendes Ereignis. Etwas irritiert sucht man beim Taubenschlag nach dieser Vehemenz. Merkwürdig, gerade das Schlag-Wetter ist eine Fundgrube der Schläge. Da verursachen Donner- und Blitzschlag ganze Kahlschläge.

Ein noch so plötzlich hereinbrechender Regen ist kein Regenschlag, sondern ein Regenfall. In unseren Breiten ist das weder ein Modell-, Glücks- noch ein Zufall. Im Ernstfall wären Kniefall und Tobsuchtsanfall eklatante Ausnahmefälle. In einer Fallstudie könnte man eher zeigen, dass Fallobst auch ohne Fallwind aus einer gewissen Fallhöhe nach dem Durchfallen einer Fallstrecke vielerorts als Abfall auf dem Komposthaufen landet.

Vielleicht spricht dieser Tatbestand für unseren Wohlstand. Irgendwie hat der Stand auch etwas Bilanzierendes, Festgeschriebenes an sich. Denken wir etwa an den Wissensstand oder den Notstand, nicht zuletzt auch an den Ehestand. Gelegentlich ist unser Geldbestand teilweise durch Blütenstand vergällt. Ein glücklicher Umstand, wenn wache Bürger mit Anstand die Fälscher aufdecken. Sie geben diesen Tatbestand zu Protokoll und begeben sich womöglich in den Zeugenstand. Trotz richterlicher Standpauke hat der Ganove nur ein kurzes Standbein, nämlich das des Lügens.

In Wahrheit sind alle Heit’s und Keit’s die Großmacher des Wortes, denn sie substantivieren das Verb. Wie steht es aber mit dem Charakter der Voll’s und Lo’s? Daran kann man nicht sang- und klanglos vorübergehen. Wer aber meint, die Palette reiche von Null bis Hundert, von wertlos bis wertvoll, sieht sich getäuscht. Den Wortpaaren tatenvoll – tatenlos oder gnadenvoll – gnadenlos steht befremdend qualvoll ein „quallos“ gegenüber. Der kummervollen Mimik steht ein kummerloser Gesichtsausdruck vis-à-vis. Warum soll sich nicht ein wolkenloser Himmel bewölken und wolkenvoll über baumloser Steppe hängen, er erleichtert sich nicht über baumvollem Urwald.

Sammelbegriffe, so genannte Kollektiva, täuschen vielfach Bedeutsames vor. So ist und bleibt das Leergut ganz einfach leer. Auch nicht jedem Erbgut entstammen charaktervolle Intelligenzbestien, nicht jedes Kulturgut oder Gedankengut (immerhin besser als die Denke) verdient dieses Prädikat, selbst ein Weingut nicht.

Zum Glück gibt es ein anderes Kollektiva mit Understatement: das Stück. Dabei gehört es zum Worthochadel. Kunststück, denn wenn ein Meisterstück als Erbstück zu Bruch geht, werden aus dem Glanzstück lauter Bruchstücke. Verständlich, das Frühstück heisst so, weil es die erste Essteilmenge des Tages repräsentiert. Es ist aber durchaus denkbar, jene erste Gaumenfreude des Tages später zu genießen, nur müsste sie dann aus logischen Gründen Spätstück heißen, oder vornehmer Spätgut. Den Spagat zwischen dem Gut und dem Stück schafft nur das Stückgut.

Das ergibt folgende Zwischenbilanz der Affixe: Wer volltrunken mit Schlagseite bei Vollmond mit Silberblick ziellos auf Streugut einen Unfall baut, vollbringt kein Husarenstück, vielmehr verliert er seinen Vollkaskorabatt.

Wenden wir uns moderat wirkenden Suffixen, den Sam’s zu. Ist es nicht seltsam? Jemand kann behutsam, duldsam, folgsam, fügsam oder auch handsam sein. Doch Sesam öffne Dich: nicht gerade Balsam für die Menschheit ist ein grausamer Zeitgenosse. Gelegentlich stehen die Sam’s mit den vergleichbaren Haft’s in Konkurrenz. Erinnert sei an hünenhaft, roboterhaft, chamäleonhaft, riesenhaft und mumienhaft. Es wäre boshaft, wenn man verböte, herzhaft, ja, ja geradezu naschhaft in eine nahrhafte Speise zu Beissen.

Endlich schmücken überflüssige Wortkörper schicke Managerreden. Da wimmelt es von entwicklungsorientierten, leistungsspezifischen Eckdaten. Schließlich müssen zukunftsorientierte, dampfplauderspezifische Fakten das Gesagte untermauern, derweil sich der kleine Mann gehaltsmässig zumindest arbeitsplatzmässig in die Ecke gestellt fühlt.

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