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Die Angst der Politsaurier vor Griechenlands neuer Politik

Von Peter Haisenko 

Traditionell werden einer neuen Regierung hundert Tage „Schonfrist“ zugestanden, in der sie Gelegenheit hat darzustellen, ob und in welcher Weise sie gedenkt, ihre Wahlversprechen in die Tat umzusetzen. Für die neue griechische Regierung gilt das nicht. Vom ersten Tag an haben die etablierten Politsaurier auf die Regierung Tsipras eingeschlagen. Warum grassiert eine solche Angst vor der neugewählten griechischen Regierung, dass sie vom Tag eins an angegriffen wird?

Syriza und Tsipras haben bereits in den ersten drei Tagen nach dem Wahlsieg die etablierten Politiker Europas vorgeführt. Hat man es jemals erlebt, dass Koalition und Regierung in derart kurzer Zeit nicht nur fix vereinbart waren, sondern sogar funktionsfähig vereidigt im Amt? Allein diese „unerhörte“ Tatsache hat die Politsaurier erschreckt, die monatelang brauchen Koalitionsverträge zusammenzuzimmern, welche dann immer noch in vielen Punkten nachverhandelt werden müssen. Der neue griechische Außenminister Nikos Kotzias – keine drei Tage im Amt – hat sofort Maßstäbe gesetzt, was diplomatisches Geschick anbelangt: Er hat erreicht was er wollte und die EU durfte ihr Gesicht wahren.

Wirtschaftswissenschaftler vs. Jurist

Dann der griechische Finanzminister Varoufakis. Er dürfte wohl der einzige Finanzminister der EU sein, der wirklich etwas von seinem Fach versteht. Neben vielbeachteten Publikationen zum Thema hatte er sogar einen fachbezogenen Lehrstuhl in Texas inne. Kein Wunder, dass sich unser Euro-Diktator und Jurist (!) Schäuble sofort auf die wenig hilfreiche (juristische) Position reduziert hat: „Verträge müssen eingehalten werden“. Was sollte ein Jurist auch anderes beitragen in der Diskussion mit einem Wirtschaftsfachmann? Wie kann man von einem parteigebundenen Juristen das offene Eingeständnis erwarten, dass auch Deutschland seine Schulden niemals wird begleichen können – obwohl die Rechenkünste eines Hauptschülers ausreichen, um diese Tatsache zu begreifen?

In Griechenland ist etwas passiert, was alle Politsaurier fürchten, wie der Teufel das Weihwasser: Das Volk hat den Versager-Regierungen die rote Karte gezeigt. Das Volk hat eine neue Generation an die Spitze gewählt, weil es kein Vertrauen mehr hat, in die immer gleichen und immer wieder erfolglosen Methoden einer verbildeten und korrupten „Elite“ von Transatlantikern, die uns seit Jahrzehnten von einer Krise in die nächste geführt haben; die uns weiß machen wollen, dass man genauso weitermachen muss, wie es eben seit Jahrzehnten nicht zum Erfolg geführt hat.

Falsche Politik kann nicht „alternativlos“ sein

In Deutschland ist der Umgang mit „Die Linke“ einfach. Obwohl der „Wahlomat“ bei den letzten zwei Bundestagswahlen eine überwältigende Mehrheit für die Positionen von „Die Linke“ gezeigt hat, schlägt sich das nicht in den Wahlergebnissen nieder. Warum? Die werden sowieso nicht das tun, was sie versprechen, wenn sie erst mal an der Macht sind, ist das Argument, das das entsprechende Kreuz auf dem Wahlzettel verhindert. Die Griechen sind aber jetzt in einer derart verzweifelten Lage, dass sie das einzig Richtige getan haben: Wir wollen sehen, ob andere, neue Methoden und Denkweisen nicht doch erfolgreich sein können. Stimmt es wirklich, dass gerade die Finanzpolitik „alternativlos“ ist, wo doch offensichtlich ist, dass es so nicht geht?

Die größte Angst der Politsaurier, der Transatlantiker ist, dass der Kurs der neuen griechischen Regierung erfolgreich sein könnte. Dann nämlich müssten sie eingestehen, dass alles, was sie in den letzten zwanzig Jahren als alternativlos propagiert haben, einfach falsch war. Wenn sie nicht Psychopathen wären, dann müssten sie ihren Irrweg eingestehen und geschlossen zurücktreten. Allerdings wissen sie auch, dass das ein passiver Vorgang sein wird. Die anderen Völker Europas werden sie schlicht abwählen, wenn Griechenland erfolgreich ist. Die weitere Folge könnte sein, dass sie sogar für ihr unverantwortliches Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden.

Absurde Forderungen in absurd kurzer Zeit

Die Reaktion der etablierten Politiker auf die neue griechische Regierung war vorhersehbar. Es hat allerdings sogar mich erstaunt, dass nicht einmal übliche diplomatische Regeln eingehalten worden sind. Nämlich, einer neuen Regierung die hundert Tage Schonfrist zu gewähren. Nur drei Tage nach der Wahl wurde von Griechenland gefordert, sie müssten „etwas vorweisen“, um überhaupt ernst genommen zu werden. Die Griechen sollten nicht nur jammern, sondern erst einmal etwas Zuhause verändern. Wie ignorant kann man sein, solche absurden Forderungen drei Tage nach der Wahl aufzustellen? Vor allem wird hier schlicht ignoriert, dass die Griechen genau das getan haben, was gefordert wird: Sie haben schon mit der Wahl mehr verändert, als alle anderen Länder Europas zusammen in den letzten Jahrzehnten. Die Euro-Diktatoren aber wollen den Griechen gar keine Chance zugestehen, mit dieser dramatischen Veränderung erfolgreich weiter gehen zu können.

Im Wahlprogramm der Syriza steht genau das, was von Griechenland seit Jahren gefordert wird, aber von den bisherigen Regierungen nicht einmal in Angriff genommen worden ist. Ja, es stehen sogar Ziele drin, die nicht einmal von der „Troika“ gefordert worden sind, die aber essenziell für eine Erholung Griechenlands sind. Zum Beispiel auch Steuern von den Superreichen einzuziehen. Gerade unser Schäuble beharrt weiterhin darauf, die „Privatisierung“ weiter voranzutreiben, obwohl sogar in Deutschland dieser Irrweg bereits stellenweise revidiert wird. Wessen Geschäft betreiben diese Transatlantiker eigentlich? Kann es etwas anderes sein, als die Macht des Kapitals über die Staaten zu erhalten, zu verfestigen?

Zypern und Island haben gezeigt, wie es geht

Griechenland braucht gerade jetzt die Unterstützung Europas. Zum Beispiel müsste den Griechen geholfen werden, ihre Steuer- und Finanzflüchtlinge aufzuspüren, auf ihr Vermögen im Ausland zuzugreifen und sie zu bestrafen. Genau davor fürchten sich unsere Politiker aber, denn in dieser Hinsicht gibt es Versäumnisse in ganz Europa. Wie sonst ist erklärbar, dass es eine Diskussion darüber gibt, ob man die Daten der berühmten „Steuersünderdateien“ überhaupt verwenden darf? Dass diese Daten nicht schon längst alle angewendet worden sind? Wenn Griechenland, die neue Regierung ihre Steuersünder zur Rechenschaft zieht, dann sehen alle anderen ziemlich alt aus. Allerdings muss man der neuen Regierung schon die Chance geben, dieses Wahlversprechen einzulösen. Es ist sicher nicht hilfreich, mit Druck und Drohungen diese Regierung bereits wenige Tage nach ihrer Wahl im eigenen Land zu destabilisieren, indem man Bedingungen fordert, die dem Volk genau das zeigen sollen, was man bei uns einfach so annimmt: Die werden sowieso nicht ihre Versprechen halten, wenn sie erst einmal an der Macht sind.

Zypern. Wann hat man das letzte Mal etwas von Zypern gehört? Lang, lang ist’s her, und das hat einen Grund. Zypern hat das Unerhörte gewagt und einfach einen Teil der Vermögen größer 100.000 Euro eingezogen. Das hat funktioniert und Zypern ist erst mal aus dem Schneider. Darüber sollte nicht geredet werden, denn dieses Beispiel könnte Schule machen. So müsste zum Beispiel Deutschland nur etwa 30 Prozent der großen Vermögen einziehen und das Land könnte schuldenfrei sein. So, wie es Zypern vorgeführt hat, wird es keine Aufstände geben, wenn eine kleine Minderheit etwas von den Vermögen abgeben muss, die in den letzten Jahren überproportional, geradezu unanständig angewachsen sind. Oder hat man noch etwas von Island gehört? Dem Land, das in die Pleite gegangen ist, dann radikale Maßnahmen ergriffen und sogar Bankster vor Gericht gebracht hat – und dem es heute wieder richtig gut geht?

Angst vor dem Domino-Effekt

Diese zwei Beispiele zeigen, dass eben nichts alternativlos ist, und genau davor fürchten sich unsere phantasielosen Eurokraten. Wenn Griechenland mit der neuen Linie Erfolg haben sollte, muss man dann Angst haben vor einem Domino-Effekt? Oder vielleicht doch nur die Politsaurier? Ich selbst bin es leid, seit Jahrzehnten immer nur dieselben Gesichter in unserer Politik zu sehen. Diejenigen, die seit Jahren an Symptomen herumdoktern, ohne auch nur ansatzweise über die Ursachen nachzudenken. Darüber, ob der Unsinn, den sie vertreten, wirklich alternativlos ist.

Eine große Mehrheit von Wirtschaftswissenschaftlern gibt Griechenland recht in der Einschätzung, dass die bisherige Finanzpolitik für Griechenland so nicht zum Erfolg führen kann. Der griechische Wähler hat die Konsequenzen gezogen und einen Generationswechsel in der Regierung herbeigeführt. Das muss nicht nur respektiert werden, es muss erkannt werden, dass letztlich alle Länder Europas diesen Generationswechsel brauchen. „Never change a winning team“, sagen die Angelsachsen. Der Umkehrschluss kann nur bedeuten, dass die Mannschaften abgewählt, ausgetauscht werden müssen, die uns in die Krisen geführt haben und seit langen Jahren keinerlei Ideen präsentieren, wie wir da wieder herauskommen sollen.

Auch wir brauchen den Generationswechsel

Auch wenn es niemand zugeben will, die Angst der Etablierten vor einem Erfolg Griechenlands ist enorm. Er würde ein politisches Erdbeben größten Ausmaßes auslösen, das keiner der Etablierten überleben könnte. Hierin muss die ablehnende Haltung gegenüber der neuen griechischen Regierung gesehen werden. Es könnte ja sein, dass die Europäer aufwachen und europaweit neues Denken fordern und die Politsaurier endlich in Pension schicken, damit sie uns mit ihren ewig gleichen und erfolglosen Rezepten nicht noch näher an den Abgrund führen, den sie angeblich alternativlos bekämpfen.

Griechenland ist ein kleines Land. Es könnte gleichsam als Labor dienen, neue Methoden zu erproben, die dann auf alle Länder Europas übertragen werden können, wenn sie erfolgreich sind. Ein verbohrter Rollstuhlfahrer im Rentenalter wird dabei allerdings keine Rolle mehr spielen. Mit seiner Pension im Rücken muss er sich davor nicht fürchten. Es spricht also nichts dagegen, auch bei uns nach griechischem Vorbild einen Generationswechsel durchzuführen, der eine größere Chance bietet, mit neuen Ideen und Methoden einen Weg aus der ansonsten ewigen Krise zu finden. Wir sollten Griechenland dankbar sein, dass es als erstes diesen Weg beschritten hat. Und wir sollten alles dafür tun, dass Griechenland erfolgreich sein kann. Was sind dabei schon ein paar lächerliche Milliarden mehr, die sowieso nur Zahlen in einem Monopoly-Spiel sind, ohne jegliche Auswirkung auf das wirkliche Leben.