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Meinungs- und Pressefreiheit: vom Grundgesetz garantiert, in der medialen Praxis nur bedingt realisiert

Von Hubert von Brunn 

Kriegerische Auseinandersetzungen der Neuzeit waren und sind immer auch Propagandakriege. Jede Kriegspartei nutzt die von ihr beherrschten Medien, um sich selbst besonders gut und menschenfreundlich, den Gegner besonders schlecht und verdammenswert darzustellen. Der Nachrichten-Konsument muss also davon ausgehen, dass er nicht immer – eher selten – die reine Wahrheit erfährt. Auch die bewusste Unterdrückung von Informationen verfälscht das Bild in der öffentlichen Wahrnehmung und ist letztlich eine Lüge. Ein Paradebeispiel dafür liefert der Absturz von Malaysian MH 017 Anfang Juli über der Ostukraine.

In totalitären Staaten sind die Medien gleichgeschaltet, eine strenge Zensur achtet darauf, das kritische Stimmen nicht zu Wort kommen, unliebsame Journalisten müssen mit langen Haftstrafen oder Schlimmerem rechnen. In vielen Ländern dieser Welt kann die freie Meinungsäußerung tödlich enden. Wir alle wissen das und verabscheuen die Missachtung dieses Grundrechts, das allen Menschen zustehen sollte, zutiefst. Dagegen haben wir hierzulande doch geradezu paradiesische Zustände. Schließlich heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 5, Abs. 1:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Die verfassungsmäßig legitimierte Meinungs- und Pressefreiheit ist eine tragende Säule jeder wahren Demokratie. Wir dürfen uns glücklich schätzen, denn wir haben dieses Privileg, frei und ohne Furcht vor Repressalien alles sagen zu können. Ist das wirklich so?

Die Unabhängigkeit der „Vierten Gewalt“ ist eine Farce

Schon richtig. Bei uns wird kein Journalist wegen eines kritischen Beitrags, der den Regierenden und/oder seinem Arbeitgeber nicht gefällt, ins Gefängnis gesteckt oder gar einen Kopf kürzer gemacht. Das ganz bestimmt nicht. Aber seinen Job kann er unter Umständen schon verlieren, wenn er die Redaktionsstatuten nicht einhält, wenn er zu frei denkt und offene Kritik übt, wo er schweigen sollte. Damit wird die vielgepriesene Unabhängigkeit der „Vierten Gewalt“ unversehens mit einem Fragezeichen versehen. Wie weit ist es denn wirklich her mit der im Grundgesetz garantierten Meinungs- und Pressefreiheit und der Abwesenheit von Zensur?

Halten wir fest: Jedes Medienunternehmen – Zeitung, Zeitschrift, TV, Radio – ist ein Tendenzbetrieb, d.h. alle Beiträge werden entsprechend der politischen, weltanschaulichen, religiösen etc. Linie, der sich das jeweilige Medium verpflichtet hat, gewichtet und gewertet – oder eben weggelassen. Zensur findet nicht offensiv statt, sie wird indirekt und mit sehr subtilen Mitteln ausgeübt. Mit wirklich freiem Journalismus hat das im Grunde genommen nichts zu tun.

Das „heiße Eisen“ MH 017 wird nicht mehr angefasst

Nehmen wir die Affäre um den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH 017 über der Ostukraine und den damit verbundenen Tod von 298 Menschen. Als es passierte, war der Aufschrei in den Medien groß, weltweit. Die Amerikaner wussten sofort, wer dafür verantwortlich ist und welche Waffen eingesetzt wurden: prorussische Separatisten haben den Flieger mit einer erbeuteten BUK-Rakete vom Himmel geholt. Heute weiß man längst, dass diese Version, die auch von unseren staatstragenden Medien unisono nachgebetet wurde, nicht stimmt, nicht stimmen kann. Dafür gibt es unzählige Belege und Expertisen, die im Internet frei zugänglich sind, die aber jetzt ebenso unisono von eben jenen Medien verschwiegen werden. Jeder Journalist, der sich damals mit dieser Katastrophe beschäftigt hat, weiß, dass Flugschreiber und Voicerecorder gefunden und zur Auswertung nach London gebracht wurden. Und er weiß ebenso, dass die Ergebnisse dieser Auswertung längst vorliegen und dass die Weltöffentlichkeit, ganz besonders die Hinterbliebenen der Opfer, ein Recht darauf haben, zu wissen, was wirklich geschehen ist. Aber stellt irgendjemand in irgendeiner unserer Massenmedien diesbezüglich einmal eine kritische Frage? Nein, es herrscht kollektives Schweigen. Seit Wochen ist dieses Thema vollkommen vom Tisch.

Kollektives Schweigen aus Angst vor Konsequenzen

Das ist doch schon einigermaßen erstaunlich – oder? Dass bestimmte Fakten von bestimmten Medien kleingehalten oder ganz verschwiegen werden, um der einmal definierten Linie in der Berichterstattung nicht untreu werden zu müssen (s.o.), ist nichts Neues und gehört zum Geschäft. Bemerkenswert indes ist die stillschweigende – oder vielleicht doch verordnete (?) – Übereinkunft der großen Zeitungen, Zeitschriften und TV-Stationen, kein Wort mehr über MH 017 zu verlieren. Normalerweise stehen die Medien in Konkurrenz, und jeder Journalist ist scharf darauf, Informationen „exklusiv“ zu haben und sich damit in seinem Medium profilieren zu können. Aber diese Sache ist offenbar den hartgesottensten investigativen Journalisten zu heikel, da wagt sich keiner dran.

Und warum ist das so? – Weil mit einer Veröffentlichung der Auswertungsergebnisse von Flugschreiber und Voicerecorder von MH 017 der gesamte Konflikt in der Ostukraine unter veränderten Vorzeichen zu bewerten wäre. Weil dann Präsident Putin in dieser Sache nicht länger zum „bösen Buben“ gemacht werden könnte und man die Verantwortlich für den Tod von 298 unschuldigen Zivilisten womöglich in Kiew suchen müsste. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Der Journalist, dem es, wie auch immer, gelänge, an die Informationen heranzukommen und sie ggf. im Internet oder gar gedruckt zu veröffentlichen, wäre die längste Zeit fester Angestellter mit regelmäßigen Bezügen gewesen. Womöglich wäre ihm sogar ein ähnliches Schicksal wie Edward Snowden beschieden. Wer will das schon? Da lässt man dann doch besser die Finger davon.

Die Freiheit des Internets – wir werden sie weiter nutzen

Halten wir fest. Die vom Grundgesetz garantiere Meinungs- und Pressefreiheit ist eine relative. Die fest angestellten Journalisten unterliegen dem Reglement eines Redaktionsstatuts, die Beiträge wirklich freier, d.h. den jeweiligen Redaktionen nicht assoziierter Journalisten, werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Immerhin – und dafür müssen wir dankbar sein – gibt es heutzutage das Internet, wo tatsächlich gänzlich ohne jede Zensur jeder seine Meinung verbreiten darf. Bei uns, muss man hinzufügen. Wären wir in China, Saudi Arabien, ja selbst in der Türkei, würde es ein so kritisches Internetportal wie anderweltonline.com nicht mehr geben und wir, die Macher, sähen uns höchstwahrscheinlich einer wesentlich unfreundlicheren Situation ausgesetzt als der hinter unseren Schreibtischen. So weit ist unser Grundgesetz also doch zuverlässig wirksam. Das nehmen wir dankbar zur Kenntnis und werden diese Freiheit weiter nutzen, um ungeschminkt und jenseits des Mainstreams Kritik zu üben und auf Dinge hinzuweisen, die anderen nicht gefallen und wieder andere nicht sagen dürfen.

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Amnesty International beklagt hierzu die Zustände im NATO-Land Türkei:

 

 

AMNESTY: MEINUNGSFREIHEIT MUSS AUCH IM INTERNET GELTEN

Amnesty International nimmt am Internet Governance Forum (IGF) in Istanbul teil/ Türkische Blogger in Izmir vor Gericht

BERLIN, 02.09.2014 – Anlässlich des heute beginnenden Internet Governance Forums (IGF) in Istanbul kritisiert Amnesty International die Doppelmoral des Gastgeberlandes Türkei. „Es ist eine bittere Ironie, dass die Türkei ein Treffen ausrichtet, bei dem die Meinungsfreiheit im Internet ein wichtiges Thema ist, und gleichzeitig Twitter-Nutzer vor Gericht stellt“, sagt Sebastian Schweda, Amnesty-Experte für Menschenrechte in der digitalen Welt, der am IGF in Istanbul teilnimmt.

In Izmir stehen nach Amnesty-Informationen derzeit 29 Twitter-Nutzer vor Gericht. Ihnen drohen bis zu drei Jahre Haft, weil sie während der Gezi-Park-Proteste im vergangenen Jahr getwittert hatten. Keiner der Tweets enthielt einen Aufruf zur Gewalt. Trotzdem wird ihnen Anstiftung zum Rechtsbruch vorgeworfen, dreien von ihnen außerdem Beleidigung des Ministerpräsidenten.

Die Türkei ist nur eines der Länder, denen Amnesty International anlässlich des IGF Gewalt und Willkür im Umgang mit Online-Kritikern vorwirft. In Äthiopien sind sieben Blogger zum Tode verurteilt, weil sie Informationen über Sicherheitslücken im Internet verbreitet haben sollen. In Vietnam sind zwei Blogger zu zehn und zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil sie über Menschenrechtsverletzungen berichteten, 31 weitere sind noch in Haft. In Saudi-Arabien wurde der Betreiber einer Website wegen „Beleidigung des Islams“ zu zehn Jahren Haft, 1000 Peitschenhieben und einer Geldstrafe verurteilt. „Diese Strafen müssen rückgängig gemacht werden, und jedes dieser Länder muss die Meinungsfreiheit  auch online gewährleisten“, sagt Schweda. „Staaten, die am IGF teilnehmen, müssen sich gegen die massiven Einschüchterungen und Verfolgungen von Internetnutzern aussprechen“, fordert Schweda.

Das IGF wurde 2005 durch den UN-Generalsekretär eingesetzt und ist eine Plattform für verschiedene Interessengruppen zum Thema Internet Governance im Rahmen des Weltgipfels über die Informationsgesellschaft (WISIS). Das IGF selbst kann keine völkerrechtlich verbindlichen Beschlüsse fassen, gilt aber als das wichtigste ständige Forum zu diesem Themengebiet. Das Treffen vom 2. bis zum 5. September in Istanbul ist das letzte IGF, bevor sich die UN-Generalversammlung 2015 mit den Ergebnissen des Prozesses zum Weltgipfel über die Informationsgesellschaft befasst.

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